Fette Beute mit Diätspritzen Was taugt der Börsenüberflieger Novo Nordisk?
10.08.2023, 17:22 Uhr Artikel anhören
Das in den USA schon seit längerem gehypte Abnehm-Wundermittel ist inzwischen auch in deutschen Apotheken erhältlich. Wegovy dürfte das dänische Unternehmen Novo Nordisk wohl bald zum wertvollsten Konzern Europas machen.
(Foto: IMAGO/Levine-Roberts)
Wundermittel gegen Fettleibigkeit bescheren einem dänischen Pharmaunternehmens kometenhafte Kursgewinne. Der Marktwert übertrifft bereits die Wirtschaftsleistung des Heimatlandes. Bald könnte Novo Nordisk auch das wertvollste Unternehmen in Europa sein. Wo liegen die Grenzen?
Alles begann mit einem harmlosen Tweet von Elon Musk am 1. Oktober vergangenen Jahres. Damals reagierte der Tesla-Chef auf die Frage einer Aktionärin bei X, damals noch Twitter, warum er so "großartig, fit, durchtrainiert und gesund" sei, mit zwei sparsamen Worten: "Fasten und Wegovy." Niemand ahnte damals, welchen Stein er damit an der Börse ins Rollen bringen würde. Schnell war klar, nicht nur Musk, auch andere Promis wie Kim Kardashian setzten in Sachen Speckrollen auf Helferchen aus der Pharmabranche.
In diesem Fall eine Abnehmspritze, die in den USA bereits Mitte 2021 auf den Markt und kürzlich auch in Deutschland in den Verkauf kam: Wegovy. Dem dänischen Pharmaunternehmen Novo Nordisk, das hinter dem Produkt steht, hat das Mittel zu Rekordumsätzen verholfen. Und der Aktienkurs zog mit. Seit damals legte der Börsenwert bereits um 170 Prozent zu. Allein in diesem Jahr waren es 32 Prozent. Der Marktwert von rund 400 Milliarden Dollar an der Börse ist bereits jetzt höher als die jährliche Wirtschaftsleistung des Heimatlandes. Damit ist Novo Nordisk mit Turbogeschwindigkeit zum zweitwertvollsten börsennotierten Unternehmen in Europa nach dem Luxusgüterkonzern LVMH aufgestiegen. Und der Thron von LVMH wackelt bereits.
Novo Nordisk - das neben Wegovy auch noch Ozempic herstellt, beides sind rezeptpflichtige Medikamente, die den Appetit reduzieren und den Blutzuckerspiegel und die Darmbewegung regulieren - ist eine absolute Ausnahmeerscheinung. "Denkt man an Dänemark, dann sicher nicht zuerst an Novo Nordisk. Dieses Unternehmen macht aber mittlerweile 50 Prozent des gesamten dänischen Aktienmarktes aus", sagt Konstantin Oldenburger, Marktanalyst von CMC Markets ntv.de. "Ozempic von Novo Nordisk ist wahrscheinlich das bekannteste Adipositas-Medikament. Die gesamte Gesundheitsbranche steht Kopf. Das Plus bei Novo Nordisk seit der großen Finanzkrise liegt bei rund 3000 Prozent", so Oldenburger. Ozempic kam bereits 2018 auf den Markt.
Der größte Blockbuster der Pharmageschichte?
Am Mittwoch erhielt der Hype um die Diätspritzen des Unternehmens weitere Nahrung. Wegovy senkt einer Studie zufolge zusätzlich das Risiko von Schlaganfällen und Herzinfarkten bei übergewichtigen Menschen um 20 Prozent. Dass es neben dem Gewichtsverlust einen weiteren medizinischen Nutzen des Präparats gibt, befeuert Hoffnungen, dass Wegovy nun das Image eines Lifestyle-Präparats abstreifen kann - und sich zu einem richtigen Medikament entwickelt. Ein besseres Ergebnis hätte man sich nicht erhoffen können, kommentierte die Analystin Emily Field von der britischen Bank Barclays. Es sei ein regelrechtet "Homerun". Die Aussicht, dass Novo Nordisk weiteres Wachstumspotenzial besitzt, katapultierte die Aktien noch einmal 17 Prozent nach oben.
Immer mehr Patienten reißen sich inzwischen um das Wundermittel. Die Lieferkapazitäten des Unternehmens sind bereits am Limit. Um die Nachfrage der Bestandskunden bedienen zu können - das Medikament muss einmal wöchentlich gespritzt werden -, soll der Zugang zu Wegovy für Neupatienten in den USA noch weiter eingeschränkt werden als bisher. Auch hierzulande rennen Übergewichtige ihren Ärzten für das verschreibungspflichtige Medikament offenbar die Türen ein, wie der stellvertretende Leiter der Sektion für Adipositas und Metabolische Chirurgie an der Universität Freiburg, Jodok Fink, im Interview mit RTL bestätigt. "Immer mehr meiner Patienten haben sich nach Wegovy erkundigt", berichtet er. Die Kassen übernehmen die Kosten nicht. Fink geht davon aus, dass viele Patienten bereit sein werden, das Medikament aus eigener Tasche zu bezahlen.
Anleger hat das Börsenfieber gepackt. Die Analysten von Jefferies beziffern den jährlichen Weltmarkt für Injektionspräparate wie Wegovy oder Ozempic auf bis zu 150 Milliarden Dollar. es gibt Prognosen, die besagen, dass die Medikamentenklasse alle bisherigen Schallmauern in der Pharmabranche durchbrechen wird. Wegen der rasant steigenden Nachfrage hob Novo Nordisk seine Prognose für das Gesamtjahr an. Das Unternehmen erwartet nun für 2023 ein Umsatzwachstum von 27 bis 33 Prozent statt 24 bis 30 Prozent. Das Betriebsergebnis soll um 31 bis 37 Prozent statt nur um 28 bis 34 Prozent zulegen.
"Novo Nordisk könnte Dänemarks Börse in die Depression stürzen"
Luft nach oben scheint vorhanden, aber soe könnte auch schnell dünner werden. Ist Wegovy und der Hype um Abnehmspritzen die nächste Blase? "Wenn Novo Nordisk unter einem Schnupfen leidet, könnte das Aktienbarometer eines ganzen Landes in eine monatelange Depression stürzen", sagt CMC-Markets-Analyst Oldenburger. Gleichzeitig beschwichtigt er: "Derzeit sieht es jedoch nicht so aus, als ob Novo Nordisk dieses Schicksal ereilt, da es mit seinen Medikamenten genau den Nerv der Zeit trifft." Was künstliche Intelligenz für die Technologie-Branche ist, sind aus seiner Sicht Medikamente zur Gewichtsreduzierung für die Pharmaindustrie. "Etwas weniger Hype, aber ein ähnlicher Verlauf."
Trends ändern sich. Wie immer in der Pharmabranche ist es laut Oldenburger wichtig, langfristig auf das Auslaufen von möglichen Patenten zu achten, die aktuell gut laufende Medikamente betreffen. "Haben Unternehmen keine weiteren Blockbuster im Programm , könnte die Erfolgsstory an der Börse schneller zu Ende sein als es Anleger auch nur erahnen können." Zudem könnte sich das Thema Gewichtsreduzierung als Modeerscheinung entpuppen. Auch die Nebenwirkungen des Medikamentes müssten beachtet werden. Diese könnten sich in der Zukunft ebenfalls auf die Umsätze und damit auf die Bilanz des Unternehmens auswirken, so Oldenburger. Der Arzt Christoph Spec bestätigt schon heute: "Nebenwirkungen wie Magen-Darm-Probleme, Durchfall, Krämpfe und Verstopfung sind sehr häufig."
Trotz der Risiken sieht Oldenburger den Trend in der Aktie vorerst aufwärts gerichtet. Er empfiehlt das Juli-Tief bei 1008 dänischen Kronen zu beachten. "Fällt der Wert darunter, könnte sich das Sentiment schnell abkühlen und weitere Kursverluste in Richtung 750 Kronen drohen." Dann wäre an der Börse viel Speck weg.
Quelle: ntv.de