Wirtschaft

Fragen an einen Finanz-Professor Zölle, Trump, riesiger Markt - jetzt chinesische Aktien kaufen?

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"Man muss sich von der Vorstellung verabschieden, dass sich die wirtschaftliche Lage immer eins zu eins in den Aktienkursen widerspiegelt", sagt Holger Graf.

"Man muss sich von der Vorstellung verabschieden, dass sich die wirtschaftliche Lage immer eins zu eins in den Aktienkursen widerspiegelt", sagt Holger Graf.

(Foto: REUTERS)

Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck ist in China und versucht dort, den Handelskrieg mit China zu entschärfen. Derweil droht Peking Taiwan, und wirtschaftlich läuft es in der Volksrepublik überhaupt nicht rund. Was das für Anleger bedeutet, erklärt der ehemalige Goldman-Sachs-Banker und heutige Professor für Finanzmanagement, Holger Graf, im Interview.

ntv.de: Chinesische Aktien zu kaufen, erscheint riskant. Drohende Handelskriege, ein möglicher Angriff auf Taiwan oder die wirtschaftlichen Probleme der Volksrepublik, die sich unter anderem in der Immobilienkrise zeigen. Was heißt das für mögliche Investitionen in chinesische Aktien?

Holger Graf: Sollte es wirklich zu einem offenen Konflikt in Taiwan kommen, sind auch deutsche Firmen ohnehin massiv betroffen. Dann macht es wahrscheinlich keinen großen Unterschied, ob etwa die Aktie des chinesischen E-Autoherstellers BYD um 90 Prozent fällt oder die Mercedes-Aktie um 70 Prozent. Auch die nach wie vor schwelende Immobilienkrise ist ein Risiko, wobei man China zugute halten muss, dass es über die Jahre versucht hat, mit gezielten Maßnahmen gegenzusteuern - und nicht mit der Bazooka.

Inwiefern?

Die chinesische Zentralbank beispielsweise hat im Zuge der Immobilienkrise vergleichsweise vorsichtigere geldpolitische Lockerungen durchgeführt und hat daher jetzt noch durchaus relevante Firepower übrig. Allerdings kritisieren einige Volkswirte dieses langsamere Vorgehen und wünschen sich stärkere Maßnahmen. Die aktuelle Wachstumsschwäche ist dagegen ein eher generelles Problem. China kommt natürlich von einem relativ hohen Niveau. Das macht es schwierig, weiterhin mit den gleichen Raten zu wachsen.

Aber das ist noch nicht alles. Brüssel droht, ab Juli Strafzölle auf chinesische Elektroautos zu erheben.

China scheint sich bereits in Stellung zu bringen. Im Januar kündigten sie Untersuchungen wegen Preisdumpings bei Weinbrand an - vermutlich als Retourkutsche an die Franzosen für die damals schon debattierten Zölle auf Elektroautos. Vor allem französische Firmen exportieren Weinbrand nach China, das für sie ein wichtiger Absatzmarkt ist. Weltweit wird fast jede dritte Spirituose in China getrunken. Und jetzt soll es auch noch Untersuchungen gegen Schweinefleisch geben, was die insbesondere Spanien treffen würde. Die Lage ist also angespannt.

Das klingt nicht gut.

Holger Graf ist Professor für Allgemeine Betriebswirtschaftslehre, insbesondere Finanzmanagement an der HfWU Nürtingen. Er arbeitete mehrere Jahre bei der Investmentbank Goldman Sachs und ist wöchentlich im Podcast "Marktgeflüster" zu hören.

Holger Graf ist Professor für Allgemeine Betriebswirtschaftslehre, insbesondere Finanzmanagement an der HfWU Nürtingen. Er arbeitete mehrere Jahre bei der Investmentbank Goldman Sachs und ist wöchentlich im Podcast "Marktgeflüster" zu hören.

(Foto: Holger Graf)

Das mag sein. Aber man muss sich von der Vorstellung verabschieden, dass sich die wirtschaftliche Lage immer eins zu eins in den Aktienkursen widerspiegelt. Man denke hier beispielsweise an das Jahr 2020 zu Beginn der Covid-Pandemie. Damals wurde von teilweise dramatischen wirtschaftlichen Prognosen ausgegangen. Aber dann verzeichneten die breiten Aktienmärkte ab Frühjahr eine nie dagewesene Rallye. Dementsprechend wäre es zumindest denkbar, dass es China wirtschaftlich schlecht geht, der Aktienmarkt dies aber bereits eingepreist hat und deshalb wieder steigt. Getreu der Börsenweisheit "Politische Börsen haben kurze Beine" sollten kurz- und mittelfristige wirtschaftspolitische Entwicklungen nicht überbewertet werden.

Mit Blick auf die USA: Wird es einen Unterschied machen, ob Donald Trump oder Joe Biden US-Präsident ist?

Wohl eher nicht. Demokraten und Republikaner sind sich im China-Kurs relativ einig. Sie würden wahrscheinlich nur unterschiedliche Produkte unterschiedlich hoch besteuern. Das macht die Sache nicht besser aus Sicht von chinesischen Unternehmen.

Neben den genannten Risiken wird als Vorteil eines China-Investments immer wieder das große Wachstumspotenzial genannt. Immerhin ist China mit rund 1,4 Milliarden Einwohnern das zweitbevölkerungsreichste Land der Welt und die Marktkapitalisierung aller börsennotierten Unternehmen in China liegt noch deutlich hinter dem S&P 500. Gibt es hier Aufholpotenzial?

Viele chinesische Unternehmen erscheinen gemessen am Kurs-Gewinn-Verhältnis relativ günstig - eben weil ein gewisses politisches Risiko bereits eingepreist ist. Hinzu kommt, dass China der zweitgrößte Verbrauchermarkt der Welt ist. Die Mittelschicht umfasst derzeit 400 Millionen Menschen, die Regierung zielt darauf ab, sie innerhalb von zehn Jahren auf 800 Millionen zu erhöhen. Wenn das gelingt, wird es natürlich noch mehr privaten Konsum geben, der für viele Unternehmen wichtig ist und die Kurse antreiben könnte.

China wird als Absatzmarkt also immer wichtiger?

Ja, und zwar unabhängig vom Ausgang des Handelskonflikts und sowohl für chinesische als auch für ausländische Unternehmen. Jedes zweite Produkt, das online gekauft wird, wird aktuell in China gekauft. Derzeit schwächt sich das Konsumwachstum zwar seit Längerem ab, aber das kann sich wieder ändern. Zum Vergleich: 2023 wurden immerhin 30 Prozent der weltweiten Luxusgüter und 27 Prozent der Hautpflegeprodukte in China gekauft. Generell sollte man sich bei Investitionen von kurzfristigen Horizonten verabschieden und eher einen Zeitraum von zehn, zwanzig oder mehr Jahren ins Auge fassen. In dieser Zeit kann viel passieren. Ob ein Engagement in China gewünscht ist oder nicht, muss natürlich jeder für sich entscheiden. Es gibt sowohl gute Argumente dafür als auch dagegen.

Wer in chinesische Aktien investieren möchte, stellt fest, dass es verschiedene Aktientypen gibt. Welche Arten chinesischer Aktien sollten Anleger kennen, und wie unterscheiden sie sich?

Es gibt drei wichtige Arten von China-Aktien: Die A-Aktien bzw. H-Aktien, ADR und VIE. A- und H-Aktien sind echte Aktien von echten Unternehmen, die sich jedoch voneinander unterscheiden: A-Aktien werden in Shenzhen oder Shanghai gehandelt, also an den beiden Börsen auf dem chinesischen Festland. Nicht-Festland-Chinesen konnten A-Aktien lange Zeit nicht kaufen, das hat sich aber geändert. Heute können sowohl institutionelle Anleger als auch Privatanleger die Aktien erwerben, wobei es für Privatanleger ungleich schwieriger ist, sie zu kaufen. Bevor diese Möglichkeit existierte, mussten sich chinesische Firmen etwas anderes einfallen lassen, um an ausländisches Kapital zu kommen: die H-Aktien. Die werden im Unterschied zu den A-Aktien in Hongkong gehandelt. Das führt dazu, dass es von manchen Unternehmen eine A-Aktie in Shanghai/Shenzhen und eine H-Aktie in Hongkong gibt. Wirtschaftlich betrachtet sind beide Aktien im Prinzip das Gleiche, aber es gibt zum Teil extreme Preisdivergenzen zwischen ihnen. Da man aber nicht einfach die eine in die andere tauschen kann, ist eine Arbitrage nicht möglich.

Wie erkenne ich, ob ich eine H-Aktie oder ein anderes Wertpapier des Unternehmens vor mir habe?

Nehmen wir als Beispiel BYD. Von diesem Unternehmen kann man bei deutschen Brokern H-Aktien kaufen. Man erkennt sie oft an der ISIN, der International Security Identification Number, einer Identifikationsnummer für Wertpapiere. Die ISIN der H-Aktie beginnt mit CNE. Als Faustregel gilt: Wenn man eine CNE-ISIN sieht, handelt es sich oft um eine echte Aktie, mit der man Anteile an dem Unternehmen erwirbt.

Wenn ich die BYD-Aktie über einen deutschen Broker kaufen möchte, habe ich die Wahl zwischen einem ADR und der H-Aktie. Was bedeutet die Abkürzung ADR?

Die sogenannten ADRs kommen ins Spiel, wenn eine Aktie nicht an einer amerikanischen Börse gehandelt wird. Die Amerikaner sehen das kritisch, weshalb diese Aktien nicht ohne weiteres gekauft werden können. Einen Ausweg bieten ADRs - die Abkürzung ADR steht für American Depositary Receipts, zu Deutsch Hinterlegungsscheine. Sie notieren in US-Dollar und können an US-Börsen gehandelt werden. Vereinfacht gesagt kauft man damit das Recht an einer Aktie, die irgendwo hinterlegt ist. ADRs gibt es aber nicht für chinesische Aktien. Nestlé hat zum Beispiel auch einen ADR, der in den USA gehandelt wird. Bei chinesischen Aktien stellt sich aber aus Sicht eines europäischen Anlegers natürlich die Frage, warum ich ein Zertifikat in den USA kaufen soll, wenn ich die eigentliche Aktie auch in Hongkong kaufen könnte. Ein Argument für den ADR könnte sein, dass diese oftmals etwas liquider und dementsprechend zu niedrigeren Geld-Brief-Spannen, den Spreads, handeln.

Fehlt noch der dritte Aktientyp, den man als potenzieller China-Investor kennen sollte.

Ja, die sogenannte Variable Interest Entity Structure, abgekürzt VIE. Dabei haben wir es mit Briefkastenfirmen zum Beispiel auf den Cayman Islands zu tun, die Geld durch einen Börsengang in Hongkong einsammeln und dann finanzielle Verträge mit Firmen wie Tencent und Alibaba abschließen. Diese beiden bekannten chinesischen Unternehmen sind übrigens selbst nicht börsennotiert. Es gibt nur die Cayman-Briefkastenfirmen - und ADRs auf diese. Diese Cayman-Strukturen bergen aber ein Risiko, das man kennen sollte: Sie sind eigentlich nicht mit chinesischem Recht vereinbar, werden jedoch geduldet. Der chinesische Regulator bzw. die Kommunistische Partei könnten aber im Prinzip jederzeit sagen, dass die VIEs mit sofortiger Wirkung wertlos sind.

Das ist doch recht kompliziert. Geht es nicht auch einfacher?

Ja. Aus wissenschaftlicher Sicht ergibt es oft wenig Sinn, in Einzelaktien zu investieren. Eine bessere Strategie scheint – ohne eine Anlageempfehlung geben zu wollen – zu sein, beispielsweise in passive ETFs zu investieren. In diesen börsengehandelten Indexfonds finden sich zahlreiche Aktien. Im MSCI Emerging Markets Index ist China derzeit mit rund 27 Prozent gewichtet und setzt sich größtenteils aus Hongkong Aktien wie H-Aktien und VIEs zusammen. Die A-Aktien nehmen dort noch einen eher geringen Teil ein, sind aber über andere Index-ETFs ebenso zugänglich.

Mit Holger Graf sprach Julia-Eva Seifert

Dieser Beitrag stellt keinerlei Empfehlung zum Kauf oder Verkauf von einzelnen Aktien oder anderer Finanzprodukte dar. Für die Richtigkeit der Daten wird keine Haftung übernommen.

Quelle: ntv.de

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