Mit dem Twin auf Tour Honda NT 1100 - nur ein Lückenfüller?
06.12.2021, 10:11 Uhr
Honda baut sein Tourer-Angebot aus. Die neue NT ist eine Mischung bekannter Komponenten. Sie verspricht jede Menge Kurvenspaß auf der Langstrecke, ist aber nicht perfekt.
(Foto: Honda)
Mit der NT 1100 baut Honda sein Tourer-Angebot weiter aus. Der Neuzugang ist eine Mischung aus bekannten Komponenten, die vor allem aus der legendären Africa Twin stammen. Damit verspricht die NT jede Menge Kurvenspaß auf der Langstrecke. Doch perfekt ist sie nicht.
Honda hat sich an die eigenen Wurzeln erinnert und mit der NT 1100 einen reinrassigen Tourer aufgelegt, der die hauseigene Lücke zwischen NC 750, Africa Twin und Gold Wing füllen soll. Als Ausgangsbasis fungiert eben jene Africa Twin, die mit ihrer alltagstauglichen Praktikabilität viele Freunde gewonnen hat. Dabei kommt die NT in eine Vollverkleidung gehüllt, die mit einer rundum modernen Formensprache den Motorrad-Ästheten anspricht: Vorn läuft die Verkleidung spitz zu, zwei markante LED-Lichtschlitze sowie das LED-Tagfahrlicht verleihen ihr eine dezent-aggressive Note und hinten sorgen zwei schmale Kunststoffkoffer für den entsprechenden Abschluss.
Als Vollwert-Tourer stellt die NT Fahrkomfort und Alltagstauglichkeit in den Mittelpunkt, was das Platznehmen auf der lediglich 82 Zentimeter hohen Sitzbank - eine Höhenverstellung ist nicht vorgesehen - bestätigt. Der konifizierte Lenker ist da, wo er hingehört, die Rasten so weit unten, dass die Knie locker sitzen, und das Polster breit genug für ein wohliges Plätzchen. Bei aufrechtem Oberkörper kommen auch Normalstaturen locker auf den Boden.
Reihenzweizylinder der Africa Twin
Unterm Kunststoffkleid pocht der 270-Grad-Reihentwin der aktuellen Africa Twin, zwar mit geändertem Kennfeld und längeren Ansaugwegen auf Tour getrimmt, doch mit gleichen Maximalwerten von 102 PS sowie 104 Nm. Dem Fahrer stehen wie bei der Reiseenduro fünf Fahrmodi zur Verfügung, die Motorkennfelder, Traktions- und Wheeliekontrolle und die Motorbremsmomentregelung beeinflussen. Steuern lassen sich diese über das wenig intuitive, monströse Bedienelement am linken Lenkerende, angezeigt im farbigen TFT-Display - beide haben wegen der Unübersichtlichkeit schon reichlich Kritik einstecken müssen. Doch wer eine NT besitzt, wird die Bedienung bald verinnerlichen.
Die NT gibt es auch mit herkömmlichem Sechsganggetriebe, für den Fahrtest stehen ausschließlich Versionen mit dem nur von Honda angebotenen Doppelkupplungsgetriebe zur Verfügung. Leicht modifiziert, schaltet dieses die ersten beiden Gänge spürbar sanfter, beim vollen Aufziehen auf der Ausfallstraße scheinen die Schaltvorgänge wie versprochen schneller, als in der Africa Twin abzulaufen, allerdings auch mit härteren Reaktionen.
Der Reihenzweizylinder steckt im gleichen Rahmen wie bei der abenteuerlichen Schwester, eine neue Schwinge und komplett neue Federelemente machen die Geometrie jedoch deutlich agiler. Zusammen mit leichten Gussrädern und 17-Zoll-Reifen im Format 120/70 vorn und 180/55 hinten fährt die immerhin 248 Kilogramm schwere NT - das DCT wiegt allein zehn Kilogramm - dank guter Balance schön neutral und verlässlich, Richtungsbefehle setzt die Honda mühelos um. Durch unzählige Wechselkurven mit den verschiedensten Radien lässt sie sich folgsam und völlig unangestrengt dirigieren - ihr quicklebendiger Charakter verschafft auch anspruchsvollen Tourenfahrern Kurvenspaß.
Spontaner Vortrieb aus jeder Ecke
Aus jeder Ecke heraus setzt der Twin die Vortriebswünsche sehr spontan um und drückt im sportlichen Tour-Modus mit saftigem Schmalz aus der Kurve. Über mangelnden Schub aus dem Drehzahlkeller kann sich wirklich niemand beschweren, gefolgt von einer fleischigen Mitte sowie wunschgemäßem Schaltcharakter - im D-Automatikmodus herrschen Fahrkomfort und Effizienz, die dreistufige S-Automatik lässt die Honda sportiver, höher drehen und für mehr Motorbremswirkung früher zurückschalten. Wem das noch nicht passt, kann selbst per Schaltwippe jederzeit die Gänge sortieren - für gehobenes Reisevergnügen eine wahrlich gute Kombination.
Zumal die Upside-Down-Gabel und noch mehr das Federbein mit sensiblem Ansprechverhalten besten Fahrbahnkontakt liefern. Was dann noch stört, landet in den für Tourerverhältnisse sehr langen 150-Millimeter-Federwegen vorn wie hinten. Abstriche bei der Stabilität muss man deswegen keine machen: Mit straffer Abstimmung hält die Japanerin auch bei höherem Tempo und heftigeren Bremsungen stabil den Kurs.
Gute Serienausstattung
Neben den aktiven Eigenschaften überzeugt die Honda mit ihrer guten Serienausstattung: Ein 6,5-Zoll-Farb-TFT mit Connectivity, fünfstufige Heizgriffe, der Hauptständer, eine USB- und 12V-Bordsteckdose sowie der Tempomat und die abnehmbaren Kunststoffkoffer sind von Hause aus an Bord. Trotz schmaler Breite fassen sie links 33, rechts 32 Liter. Leider passt selbst ein kleiner Klapphelm nur unter Gewaltanwendung in den linken Behälter - zwei Zentimeter mehr würden den Nutzen deutlich erhöhen. Über jede Kritik erhaben ist der Wind- und Wetterschutz hinter der nur im Stand fünffach höhenverstellbaren Scheibe, die zusammen mit den unscheinbaren durchsichtigen Deflektoren auf Handhöhe und den aufgesetzten Abweisern rechts und links des Motors die Besatzung weitestgehend schützen.
Insofern ist die NT 1100 ein rundum geglücktes Tourenmotorrad, das ab Februar zu vernünftigen 14.900 Euro mit DCT und 1000 Euro weniger für die Schaltversion zu haben ist. Wer Hightech-Goodies wie einen Schräglagensensor oder ein semiaktives Fahrwerk verlangt, kommt hier (noch) nicht zum Zug und dürfte deutlich mehr hinblättern müssen. Doch die NT macht auch so diejenigen glücklich, die ausreichende Leistung, müheloses Handling, guten Alltags- und Langstreckenkomfort sowie moderne Technologie verlangen, von den üppigen Dimensionen oder der martialischen Optik großer Reiseenduros aber abgeschreckt werden.
Quelle: ntv.de, Thilo Kozik, sp-x