
Trendy Olaf Scholz hat "the zeitenwende" eingeläutet - zumindest sprachlich, findet der Kolumnist.
(Foto: AP)
Sprechen Sie auch schon Krise? Unser Kolumnist erklärt neue (und alte) Wörter, die in Zeiten der Spannung und des Kriegs aufkommen. Die meisten stammen mal wieder aus unserer Lieblingsfremdsprache Englisch.
Zunächst war es das deutsche Wort "Zeitenwende", das nach dem russischen Einmarsch in der Ukraine um die Welt ging. Kaum hatte es Bundeskanzler Olaf Scholz im Bundestag verkündet, um einen fundamentalen Wandel der Außen- und Sicherheitspolitik zu beschreiben, war "the zeitenwende" schon Teil des nach neuen Begriffen stets hungrigen englischen Wortschatzes.
Illusionen sollten wir uns trotzdem nicht hingeben. Denn es ist einmal mehr die englische Sprache, die uns in der gegenwärtigen Krise mit neuen Wörtern versorgt: "Doomscrolling", "Air Policing", "Battlegroups", "Tripwire", "Hacktivsm", "Lawfare", "Groupthink" "Dragon Bear" und viele mehr. Überall poppen sie hoch – und das in vielen Ländern gleichzeitig.
Schon vor dem Krieg konnte man viel von "Appeasement" hören und lesen – jenem Wort gewordenen Wunsch aus dem Jahr 1938. Der britische Premierminister Neville Chamberlain hatte sich damals bemüht, Adolf Hitler vom Frieden zu überzeugen. Seitdem Wladimir Putins Krieg gegen die Ukraine wütet – weil er genauso wenig vom Frieden hält wie Hitler –, erscheint auch unsere Sprache kriegerischer. Englischer ist sie auf jeden Fall. Das liegt unter anderem daran, dass Begriffe aus dem Militärjargon der NATO die Runde machen. Aus "tripwire" machte Annalena Baerbock kurzerhand den "Stolperdraht". Gemeint ist der Auslöser für einen Krieg, wenn eine kleine Truppe der NATO – a battlegroup – angegriffen wird und das gesamte Bündnis reagiert.
Besonders schwer in der Luft liegt seit Russlands Angriff die Forderung nach einer Überwachung ihres Luftraums: das sogenannte "Air Policing". Und während unsere "Eurofighter" hoffentlich nie abheben müssen, kommen "Fire-and-forget"-Flugabwehrraketen längst zum Einsatz. Auch Deutschland hat sie in die Ukraine geliefert.
Die Kunst der PSYOPS
Apropos "die Ukraine" – die auf Englisch früher "the Ukraine" war. Heute, genau genommen seit ihrer Unabhängigkeit 1991, ist nur noch von "Ukraine" die Rede, etwa so: "Russia's invasion of Ukraine". So gewöhnungsbedürftig das für uns klingt: Englisch gibt hier den politisch korrekten Ton vor.
Ein anderer Anglizismus, den die meisten erst mit Putins Gewaltmarsch kennenlernten, war die englische Abkürzung "Swift": "The Society for Worldwide Interbank Financial Telecommunication" – auf Deutsch: "Internationale Genossenschaft für den Zahlungsverkehr". Sie war Teil der "hybriden" Reaktion auf den Krieg – ein weiteres "Buzzword" der Krise. Allerdings ist man im Westen bemüht, es zu vermeiden, damit nicht der Eindruck einer "hybriden Kriegsführung" entsteht – auf Englisch: "hybrid warfare". Dazu zählt auch "PSYOPS", die Kunst der psychologischen Kriegsführung, die oft über Medien gestreut und gesteuert werden.
Das führt mich zum "Hacktivism", der mit seinen "Hacktivists". Sie erfreuen sich einer gewissen Beliebtheit, seitdem es das "Hacker-Kollektiv" @anonymous auf Russland abgesehen hat. Es ist zum Beispiel in Rechner des Moskauer Verteidigungsministeriums eingedrungen, hat Friedensbotschaften ins laufende russische Fernsehprogramm eingeblendet oder die privaten Daten von 120.000 russischen Soldaten veröffentlicht.
Dabei beschreibt das englische Wort "Hacks" nicht nur knifflige Computerprogramme. Es ist auch das, was wir "Kniff" nennen, also ein Inbegriff für die praktische Lösung aller möglichen Alltagsprobleme. Es gibt "Food hacks", "Beauty hacks", "Recycling hacks", "Survival hacks" – und was einem in der Not sonst noch einfällt.
Hier kommen die "Preppers" und ihr "Prepping" ins Spiel – ein Verhaltenstrend zur Vorbereitung auf Krisen, Katastrophen, Krieg oder wie man früher sagte: für schlechte Zeiten. Während die einen robuste, paramilitärische Ausrüstung kaufen, Bunker bauen oder für ihre Flucht Fahr- oder Flugzeuge und Boote beschaffen, hamstern die anderen – wie schon während des Corona-"Lockdowns" – Klopapier oder Proviant. Und ich rufe: Denglischalarm! Denn auf Englisch spricht man nicht von "Hamstering", sondern von "Hoarding".
Schnell noch Sex vorm Weltuntergang, aber flott!
Die breite Allgemeinheit übt sich unterdessen im "Doomscrolling" – der Krieg und seine Folgen fesselt uns an die Bildschirme. In einem Fort "scrollen" wir durch die unfassbar schlechten Nachrichten und fürchten den Untergang der Welt – auf Englisch: "the doom". Manche sollen auch schon "Doomsex" praktizieren, um die Realität zu verdrängen.
Andere Anglizismen gibt es schon länger, etwa die ominöse "Kremlinology", die wir früher "Kremlastrologie" nannten. Es ist die Deutung des russischen Machtapparats, mit seinem eigenen Konformismus und Gruppenzwang – kurz "Groupthink". Mag uns "Kremlinology" so vage erscheinen wie Futurologie, ist sie plötzlich so relevant wie Virologie, Psychologie, Gerontologie und Zoologie zusammen.
Deutlich fundierter als alle Kremldeutungen sind die Warnungen der Politikforscherin Velina Tchakarova vor "Drache und Bär" – kurz: "DragonBear", der Zusammenarbeit zwischen China und Russland, um einen neuen Machtblock zu bilden.
Mein Lieblingsanglizismus ist derweil "lawfare" – was unüberhörbar mit dem Klang von "warfare" spielt. Es bezeichnet die Kriegsführung mit juristischen Mitteln (und bestens bezahlten Anwälten). Der Versuch russischer Oligarchen, die Sanktionen westlicher Staaten mithilfe ihrer Gesetze abzuwehren, führt vor, dass demokratische Verfassungen die besten Voraussetzungen für "Lawfare" bieten.
Alles Shithousery, deine Elli ...
Was mich zur Arschlochtour führt – "Shithousery". Abgeleitet von "Shithouse" – Scheißkerl – ist es eine gängige Methode auf dem Fußballplatz, etwa für Zeitschinden, Beinstellen oder Schwalben. Im Alltag steht Shithousery für alles, was wir bislang "Schikane" nannten. Selbstverständlich ist es eine Frage des Standpunkts. Ich würde sagen, dass die Forderung von Rubel für Gas- und Öl-"Shithousery" im ganz großen Stil ist. Das Einfrieren von Devisen der russischen Zentralbankgeld ist es vielleicht auch.
Selbst wenn wir sprachlich noch keine "Zeitenwende" erleben – übrigens auf Englisch "paradigm shift" [parradaim schifft], "sea change" oder "turn of (the) eras": Jede Krise bringt neue Anglizismen mit sich. Mehr über ihren Sinn und Unsinn – sowie viele weitere Beispiele – finden Sie in meinem neuen Buch: "Hello in the Round! Der Trouble mit unserem Englisch und wie man ihn shootet".
Quelle: ntv.de