
Das Risiko für heute Sechsjährige, Dürre, Hochwasser oder Brände zu erleben, hat sich verdreifacht, so eine Studie.
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Dürre, Hitze und Hochwasser werden wahrscheinlicher - der Klimawandel trifft uns alle. Die Bedrohung löst eine Palette an Reaktionen aus, sagt ein Psychologe. Vor allem junge Menschen spüren Angst, einige verfallen in Panik. Manchmal so sehr, dass Zukunftspläne über Bord geschmissen werden.
"Ich habe total Schiss", sagt Lina. "Ich habe einfach Angst, meine Zukunft zu planen." Die 21-Jährige quält das Wissen um den Klimawandel und "die Abwärtsspirale, die wir nicht mehr aufhalten können". Ursprünglich wusste die junge Auszubildende genau, was sie will, erzählt sie im Gespräch mit ntv.de: Lina wollte studieren und Kinder wünschte sie sich eigentlich auch. "Nun muss ich mir überlegen, ob das überhaupt noch vertretbar ist und ob ich das überhaupt noch möchte", sagt sie mit Blick auf Hitzewellen, Dürren und Starkregen. "Manchmal bekomme ich dann schon das Gefühl von Panik."
So wie Lina geht es vielen jungen Menschen auf der ganzen Welt. In den sozialen Medien finden sich unter dem Hashtag "Klimaangst" unzählige Zukunftssorgen. Mehr als die Hälfte der Menschen zwischen 16 und 25 Jahren fühlen sich wegen des Klimawandels traurig, ängstlich, wütend, machtlos, hilflos und schuldig, wie ein internationales Forscherteam nach einer Befragung von 10.000 Menschen herausfand. Die Studie zeigt die Verzweiflung einer Generation: 56 Prozent der Befragten glauben, dass die Menschheit "zum Scheitern verurteilt" ist.
"Man hat die Krise vor Augen und merkt, wie allumfassend und gigantisch der Klimawandel ist", erklärt Nils gegenüber ntv.de. Der junge Student fürchtet eine düstere Zukunft: Die Welt werde in 20 bis 30 Jahren ganz anders aussehen. "Die Hälfte von Hamburg wird dann regelmäßig überschwemmt sein". Es sei kaum möglich zu begreifen, was die Krise noch alles bedeutet, sagt der 21-Jährige. "Das löst in mir ganz viel Unruhe und Stress aus."
Ein Wechselbad der Gefühle
Die Gefühle von Nils und Lina seien völlig normale psychische Reaktionen auf eine reale Bedrohung, sagt der Diplom-Psychologe Felix Peter im Gespräch mit ntv.de. "Wir müssen aufpassen, dass wir diese Reaktionen nicht als pathologisch einordnen, denn das sind sie eben nicht." Die Klimakrise bedeute für die Menschen, dass sich ihre Lebensbedingungen deutlich ändern werden oder das schon jetzt tun. "Und wenn sich Menschen dadurch bedroht fühlen, reagieren sie darauf emotional." Die in der Regel unangenehme emotionale Reaktion fungiere wie ein Signalgeber: Jetzt muss sich etwas ändern.
Peter, der Sprecher der Organisation Psychologists for Future ist, beobachtet ganz verschiedene emotionale Reaktionen, wie Frustration, Hilflosigkeit oder Ärger. Dies betreffe nicht nur die junge Generation - Ängste gebe es in allen Altersgruppen. Während sich einige fragen, wie sie mit den heißen Sommern in 30 Jahren umgehen sollen, ob sie die hohen Energiepreise noch stemmen können oder ob sie von Extremwettereignissen betroffen sein werden, haben andere eher Angst um ihre Familie, Freunde oder Kinder. Wieder andere machen sich Sorgen um das große Ganze oder denken an die Gefährdung von Tieren und Pflanzen.
Allerdings sei der Begriff "Klimaangst" in seiner derzeitigen Verwendung irreführend. "Angst ist nur eine Komponente einer ganzen Palette von emotionalen Reaktionen gegenüber der Erderhitzung und ihren Folgen", betont der Psychologe. "Klimagefühle oder Klimasorgen trifft es daher viel eher."
Auch Lina ist im Wechselbad der Gefühle. Angst und Wut auf die, denen die Krise scheinbar egal ist, keimen oft in ihr auf. Nach der Wahl gesellt sich Hoffnungslosigkeit dazu. "Vor der Wahl hatte ich Hoffnung auf einen Umschwung", sagt die junge Frau aus Nordrhein-Westfalen. "Aber der Klimawandel war einfach viel zu wenig Thema in den Wahlkampagnen." Und dann ist da noch eine weitere Reaktion auf die Krise - ein Gefühl, das immer mitschwingt. "Es ist dieses Gefühl von Hilflosigkeit." Lina und Nils kennen sich nicht, fühlen dabei jedoch identisch: "Egal was man tut, es ist nicht genug." Dieses Gefühl hinterlasse der Klimawandel, sagt Nils. Bei ihm komme die Angst in Wellen. Besonders schlimm sei es, wenn Klimaforscher neue Berichte vorlegen.
"Gefühl von früher habe ich nicht mehr"
Der jüngste Bericht des Weltklimarats zeigt auf, dass sich der menschengemachte Klimawandel beschleunigt. Das angestrebte Ziel, die Erderwärmung möglichst bei 1,5 Grad gegenüber der vorindustriellen Zeit zu begrenzen, ist kaum zu erreichen. Der Meeresspiegel steigt schneller, Gletscher und das Eis an den Polen schmelzen rascher. In einer neuen US-Studie, die im Fachmagazin "Science" erschienen ist, rechnen die Forscher vor, dass heute Sechsjährige im Vergleich zu 1960 Geborenen das dreifache Risiko haben, Brandkatastrophen, Ernteausfälle, Dürren oder Überschwemmungen zu erleben. Außerdem war die Konzentration des wichtigsten Treibhausgases in der Atmosphäre, Kohlenstoffdioxid (CO2), nie höher als 2020, wie die Weltmeteorologieorganisation in Genf jüngst meldete.
Dies sind nur drei von vielen neuen Meldungen, die die Dramatik der Erderwärmung deutlich machen. Es sind eben diese Berichte, die den Klimastress bei Nils und vielen anderen Menschen auslösen. Für den jungen Physikstudenten hat sich der Fokus dadurch verschoben. "Das Gefühl von früher, dass Laufbahn und Uni das Wichtigste sind, habe ich nicht mehr." Nun stehe der Klimaaktivismus im Vordergrund, erklärt Nils. Er hat sein Studium gestreckt, um mehr Zeit zu haben, sich klimapolitisch zu engagieren. "So kann ich meine Verzweiflung in Bahnen lenken."
Der Drang, gegen die Bedrohung, also die Klimakrise, zu kämpfen, sei eine von drei Facetten bei unangenehmen emotionalen Reaktionen, sagt der Psychologe Peter. Ängste oder Sorgen seien grundsätzlich nichts Schlechtes - sie zeigen zum Beispiel auch, dass "ich mir selbst etwas wert bin oder meine Mitmenschen sowie die Umwelt mir etwas wert sind". Werden diese für mich wertvollen Dinge bedroht, "bin ich schon dabei, zu überlegen, was ich tun kann".
Bis zur Ohnmacht
Eine andere Möglichkeit, auf die Krise zu reagieren, ist eine altbekannte Strategie: Verdrängung. Hierbei werde die Bedrohung gedanklich klein gehalten oder so getan, als gäbe es sie nicht. "Damit schützen wir uns kognitiv." Im Alltag sei diese Umdeutung nicht immer schlecht. So müsse "der Kopf filtern, damit wir nicht ständig überfordert sind", so Peter. Es dürfe nur nicht zur Untätigkeit führen, wie es bei der Erderhitzung vor allem in Europa lange Zeit der Fall war.
Schließlich gebe es noch eine dritte Facette. Wenn die Angst zu lange anhalte, unser Leben beeinträchtigt, keine Handlungsoptionen gesehen werden und das Verdrängen nicht mehr gelinge, "dann kann sich eine Ohnmacht entwickeln, die ein pathologisches Ausmaß annehmen kann". Dies kann sich dann zum Beispiel in einer Depression oder Angststörung manifestieren. Umso wichtiger sei es, frühzeitig über Sorgen und Ängste zu sprechen, sagt Peter. "Die soziale Einbettung ist wichtig, um unsere Widerstandskraft in Krisen zu stärken."
Angst kann lähmend sein und man kann sie verdrängen. Sie kann aber auch antreiben - vielleicht ist sie sogar der beste Innovator. Lina und Nils hat die Panik vor den Folgen des Klimawandels dazu getrieben, Wälder zu besetzen und Zementwerke zu blockieren, um die Umwelt zu schützen. Die junge Auszubildende erklärt, so könne sie für sich selbst zumindest sagen, dass sie ihren Teil zum Versuch beigetragen hat, die Abwärtsspirale zu bremsen. "Wenn ich eine sehr aktivistische Phase habe, merke ich auch, wie die Klimaangst langsam einem Pflichtgefühl weicht, etwas tun zu müssen", sagt Nils.
Im Januar 2019 forderte die Fridays-for-Future-Initiatorin Greta Thunberg auch Politiker und Wirtschaftsvertreter auf, panisch zu sein und ein Pflichtgefühl zu entwickeln. Ihr Aufruf "I want you to panic" auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos ist knapp drei Jahre später weder vergessen noch überholt.
Quelle: ntv.de