
"Currywurst" ist eins der Wörter, die jetzt offiziell englisch sind.
(Foto: imago images / Rüdiger Wölk)
Nie wurden im Deutschen und im Englischen so viele gleiche Wörter eingeführt wie 2020. "Bauer" und "Currywurst" sind jetzt auch englisch. Und wir müssen mit einer großen Portion neuer englischsprachiger Ausdrücke leben. Wächst da zusammen, was nicht zusammengehört?
Advent, Advent, the first candle is lit … Zeit für einen Rückblick auf ein Jahr, das in der Wahrnehmung vieler Menschen zu Ende geht, bevor es überhaupt richtig angefangen hat. Nicht für mich! Als Denglischer Patient kann ich aus sprachlicher Sicht sogar feststellen, dass 2020 sensationell war. Wenn ich nur an den deutschen "Bauern" denke, der seit Januar im Oxford English Dictionary (OED) geführt wird. Für Englischschüler ist es auf einmal völlig ok, in Zukunft in der Englischklausur zu schreiben: "The bauer has a farm." Der Plural ist selbstverständlich "bauers". Und ist der Bauernhof etwas kleiner, darf man seit Juni auch von einer "farmette" sprechen. Die Académie française mag darüber heulen - ich freue mich, weil es jetzt nur noch eine Frage der Zeit ist, bis auch unsere "Adilette" in den englischen Wortschatz schlappt.
Brexit hin oder her - seit einigen Jahren verspüre ich auf den Britischen Inseln ein Bedürfnis nach kultureller Anpassung an Germany. Einige unserer Produkte und Bräuche erfreuen sich auf einmal einer Beliebtheit, die ähnlich groß ist wie im 19. Jahrhundert die Freude über den Weihnachtsbaum. Prinzgemahl Albert hatte ihn eingeführt, indem er jedes Jahr in der Vorweihnachtszeit ein Exemplar aus seiner deutschen Heimat vor den Buckingham-Palast aufstellen ließ. Heute leuchten in englischen Geschäften und Wohnzimmern auf einmal Adventskränze, die es dort traditionell nicht gab.
Pünktlich zur Weihnachtszeit wurde in diesem Jahr auch "Spekulatius" in die englische Sprache aufgenommen. Da es aus dem Flämischen stammt, wird es allerdings "speculoos" geschrieben. Rund ums Jahr gilt dasselbe für deftiges deutsches Essen wie "Leberkas" und "Bockwurst". Während es mittlerweile in fast jeder englischen Stadt irgendeinen "German wurst stand" gibt, galt die Londoner Wurstbudenkette "Herman ze German" jahrelang als Anführer der Bewegung. Dass ihre deutschen Besitzer in diesem Jahr beschlossen haben aufzugeben (und nach Lörrach heimgekehrt sind), führte zu Schlagzeilen wie "Covid killed the German Currywurst". Obwohl ich viel mehr auf den Brexit als Ursache tippe, bleibt als Trost, dass "currywurst" im September offiziell ins OED eingetragen wurde. Wenn das kein Wurst Case ist! Fehlt nur noch, dass Boris Johnson und all die anderen durchgeknallten Brexiteers demnächst mit einer gepflegten deutschen "Pilsette" auf ihren souveränen Teufelspakt anstoßen.
"Superspreader" statt "Weekender"
Zugleich dürfen wir uns hierzulande, egal ob in Lörrach oder in Berlin, nichts vormachen. Denn egal, ob bodenständige Begriffe oder beflissene Bräuche - das alles sind nur Kleinigkeiten, gemessen an der Flut englischer Wörter, die uns im gerade ablaufenden Jahr wieder überschwemmt hat. Alleine an der Covid-19-Krise kann jeder nachvollziehen, wie englisch unser Deutsch geworden ist. Während sich die "Frequent Traveller", die "Weekender" und die "Conference Hopper" im März scheinbar in Luft auflösten, tauchten plötzlich "Superspreader", "Home Teacher" und "Zoom Hosts" auf. Den Rahmen bildete das "Social distancing", das zum Glück bald durch das weniger radikale "Physical distancing" abgelöst wurde. Und wer - so oder so - an der Gesichtsmaske Anstoß nimmt, kann sich mit "Mask shaming" hervortun: entweder weil sie fehlt oder weil sie - total covidiotisch - als überflüssige Vermummung empfunden wird.
Es ist tatsächlich bemerkenswert, wie viel Schwung alleine das unbeliebte Coronavirus in unseren Wortschatz gebracht hat - angefangen beim "Coronacoaster", den fast jeder irgendwann im Beruf oder daheim erleben durfte. Den größten Neuzugang bildete ohne Zweifel der "Lockdown", gefolgt vom hypothetischen "Shutdown". Unterdessen zählt das "Homeoffice" zu den Anglizismen, die - wieder einmal - nicht im Einklang mit der englischsprachigen Welt stehen, die seit diesem Jahr im OED auch als "Anglosphere" geführt wird. Niemand spricht vom "Homeoffice", wenn nicht das britische Innenministerium gemeint ist. Wer von englischsprachigen Menschen verstanden werden will, sagt "I work from home". Oder schreibt ganz kurz: "I wfh" - was meine Autokorrektur leider immer wieder mit "wtf" verwechselt - WHAT THE F***!
Während der Trend zur Heimarbeit für Freunde der heimischen Handarbeit den "crafternoon" hervorgebracht hat, haben Telefon- und Videokonferenzen auch neue Wörter und Wendungen populär gemacht. Das fängt damit an, dass im Unterschied zu früher kaum noch "geskypt", sondern vor allem "gezoomt" wird. Wer es dabei für vorteilhafter hält, auf dem Klo oder beim Essen das Mikrofon stumm zu schalten, spricht von "Muting". Wer es hingegen anlässt und zum Beispiel Cerealien kauend erwischt wird, erlebt ein "Cereal Killing". Und wer mit den körperlichen Bedürfnissen offen umgehen will, entschuldigt sich für eine "Bio Break".
Trendwörter eines beispielhaften Jahres
Auch ohne Corona hat uns das Jahr 2020 eine Menge neuer englischer Begriffe beschert. Sie sind so verschiedenartig, dass die Redaktion des OED ihren Jahreswettbewerb "Word of the Year" kurzerhand in "Word of an unprecedented year" umbenannt hat: das Wort eines beispiellosen Jahres! Der Grund dafür liegt in den vielen unterschiedlichen Themen und Lebensbereichen, die sich gleichzeitig in aller Welt entwickelt haben. Technologisch ist die "AI", also "Artificial Intelligence", in aller Munde. Sie hat 2020 einen neuen sprachbegabten Apparat hervorgebracht, der uns bald schon alle Übersetzungsschwierigkeiten nehmen könnte - und über den sich der 2013 gestorbene Rockmusiker Lou Reed wahrscheinlich gefreut hätte, weil er wie sein berühmtes Album heißt: "Transformer".
Gesellschaftspolitisch weiß ich gar nicht, wo ich anfangen soll, vor allem, weil die Gefahr besteht, dass ich am Ende a) alles wieder zurücknehmen muss und b) dafür öffentlich angeprangert werde, weil ich womöglich c) nicht achtsam und angemessen auf alle betroffenen Gruppen eingegangen bin. So ungefähr würde ich jedenfalls die drei englischen Trendwörter des Jahres 2020 beschreiben, die uns mit Sicherheit auch im kommenden Jahrzehnt beschäftigen werden:
a) Cancel Culture
b) Shaming
c) Woke, gesprochen wəʊk oder woʊk
Gelegentlich wird mir die Frage gestellt, ob - sprachlich - alles zusammenwächst. Ich möchte jetzt lieber aufhören mit "Mansplaining", wofür es mit "Herrklären" übrigens auch eine schöne deutsche Wortkreation gibt. Am Ende eines wahnsinnigen Jahres will ich trotzdem eine Bemerkung wagen: Je mehr wir uns von außen einen sprachlich einheitlichen Anstrich geben, desto mehr müssen wir wohl aufpassen, im Inneren nicht immer weiter auseinanderzudriften. In diesem Sinne wünsche ich Ihnen eine schöne Adventszeit and a Happy New Year!
Quelle: ntv.de