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Der Denglische Patient Let's mention the war!

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Während des Parteitags der Konservativen in Birmingham zeigen Demonstranten, was sie vom Brexit halten.

(Foto: imago/ZUMA Press)

Denken Sie doch über den Brexit, was Sie wollen! Was er uns allen längst beschert hat, ist eine verbissene Meinungsschlacht in und über Europa. Anders gesagt: einen Krieg - der Worte. Die neueste Waffe der Engländer: Denglisch.

In der Berliner Botschaft der Briten habe ich schon viel erlebt. Zum Beispiel der Queen die Hand geschüttelt. Oder herrliche Nachhilfe in den Fächern Snobismus und Realsatire bekommen. Einmal fiel ein Botschafter fast vom Stuhl, als ein Fremder die Tür öffnete. An seinen Mitarbeiter gerichtet fragte er mit näselnder Stimme: "Is this a member of the common public?" Ich fühlte mich wie in einem Sketch von Monty Python und denke noch heute über die beste Übersetzung nach:

  • Ist das ein Vertreter des Volkes?
  • Ist das ein kleiner Mann von der Straße?
  • Ist das keiner von uns - sondern eine Gefahr?

Wer englischen Boden betritt, muss ja immer auf alles gefasst sein. Rein verbal, meine ich. Gerade diejenigen Engländer, die etwas privilegierter sind, werfen gerne mit lustigen Bällen und schon im nächsten Moment mit kleinen Giftpfeilen. Wir kennen diese Unberechenbarkeit. Im realen Leben kann sie einen leicht überfordern. Als Denglische Patienten sind wir ihr sprachlich oft nicht gewachsen, um in derselben Spielklasse zu kontern.

In Büchern und Filmen wissen wir den englischen Witz hingegen sehr zu schätzen. Unvergessen ist zum Beispiel eine Episode der Fernsehserie "Fawlty Towers" von Monty Python Gründer John Cleese. Sie ging 1975 (im Jahr des britischen Beitritts zur damaligen EG) in die Geschichte der deutsch-britischen Beziehungen ein. Basil Fawlty, Besitzer eines heruntergekommenen Hotels, verbietet seinem Personal mit deutschen Gäste über den Krieg zu sprechen:

"Don't mention the war!"

Der Witz ist allerdings, dass sich der Mann selbst nicht an die Losung hält. In einem fort schießt er mit sarkastischen Anspielungen auf den Zweiten Weltkrieg um sich und bringt die Deutschen zum Heulen. Aber sehen Sie selbst (weiter unten können Sie sich die Szene im Original anschauen):

Auch mir war neulich beinahe zum Heulen, als ich mal wieder die britische Botschaft besuchte. Ich war eingeladen zu einem "Clubgespräch" mit dem amtierenden Botschafter Sebastian Wood und dem Hauptgeschäftsführer des BDI, Joachim Lang. Und das Thema war mal wieder der Brexit - den Lang schlicht "nervig" nannte, weil er vermutlich mehr Energie von allen verlange als eine sinnvolle Reform der EU verlangen würde.

Botschafter Wood versuchte in makellosem Deutsch, seine Sicht auf den Punkt zu bringen: Man werde gerade aus der EU gedrängt. Während ich wohl nicht der einzige Anwesende war, der "wie bitte?" dachte, stellte Wood dem Publikum die rhetorische Frage:

"Und wer wird schon gerne gemobbt?"

Da fiel ich fast vom Stuhl. Schon die Drängelthese schien mir sehr gewagt und eigenwillig zu sein. Noch bemerkenswerter war jedoch, dass sich der Botschafter das Wort "mobben" zurechtgelegt hatte. Kein Engländer würde es in dieser Weise verwenden oder gar verstehen. Vielmehr war es astreines Denglisch so wie "Handy". In verständlichem Englisch würde man fragen: Who wants to be bullied?

Mich hat dieser Moment sehr nachdenklich gemacht. Hatte der Botschafter recht? Oder präsentierte er eine Art passive Aggression der wahren Drängler? Fest stand nur: Im Unterschied zu ähnlich haarsträubenden Behauptungen und Anfeindungen der sogenannten "Brexiteers", die zu Hause in England lediglich an die eigene Öffentlichkeit gerichtet sind, sollte sich die Botschaft des Botschafters an uns richten: Ihr seid schuld. Ihr seid gegen uns. Ihr gebt uns keine Chance. Ihr seid unfair!

Ganz offenkundig wohnt dem Gerangel um den Brexit etwas Größeres inne, als bloß eine insulare Null-Bock Haltung und die Lust auf eine große englische Extrawurst. Im Rausch der Rhetorik um mehr Freiheit, Unabhängigkeit und Souveränität erkenne ich auch eine demonstrative Bereitschaft zum großen Krach. Was die Kooperation in Europa verhindern sollte, ist nach 70 Jahren schleichend eingetreten: Wir westeuropäische Nationen streiten wieder unter der Gürtellinie. Auch wenn es schrecklich klingt: Wir befinden uns wieder mitten in einem Krieg - wenn es auch glücklicherweise nur einer der Worte ist. Es ist ein Konflikt, der am Anfang des 21. Jahrhunderts sogar zeitgemäß erscheint, weil er in die Kategorie "Information War" passt.

Wir sollten also nicht länger so tun, als sei unsere Kommunikation noch friedlich. Nicht weil bestimmte Dinge gesagt und sich gegenseitig an den Kopf geworfen werden, sondern weil es auf eine unangenehme Art geschieht. Von einer Club-Atmosphäre kann in der EU längst keine Rede mehr sein. Das ist doppelt schade, da die Engländer als Begründer der Club-Kultur sehr genau wissen, wie man sich "clubbable" verhält und dass stets Fairness geboten ist.

Lasst also uns wenigstens darüber sprechen: Let's mention the war!

Während Informationskriegern wie Wladimir Putin nachgesagt wird, verdeckt zu kämpfen, erleben wir eine öffentliche Meinungsschlacht über die Deutungshoheit in Europa. Geführt wird sie über Medien und auf politischen Konferenzen. In Familien genauso wie im Schulunterricht. In TV-Studios, in Büchern oder in Kolumnen (wie dieser). Besonders scharf geschossen wird auf Parteitagen wie jüngst bei der britischen Konservativen Partei. Dort verglich Jeremy Hunt, der britische Außenminister und Boss von Botschafter Wood, die Europäische Union mit einem sowjetischen Gefängnis, und er rief zum Ausbruch auf. Auch das war kein Ausrutscher, sondern ein Frontalangriff mit Anlauf. Und die darauf folgende Entschuldigung war Teil der taktischen Manöver in diesem Propagandakrieg.

Michael Heseltine, der früher einmal stellvertretender britischer Premierminister war, sagte vor einem Jahr: "Britain won the war, Germany won the peace." Wem die Entwicklung während der Regentschaft von Queen Elizabeth II. tatsächlich so erscheint, für den mag eine Rückkehr zu kriegerischen Zeiten reizvoll und geboten sein. Und wer in "Europe" ohnehin nichts anderes sieht als eine Umschreibung für "Germany", für den könnte die Frage des britischen Botschafters, "Who wants to be bullied?", eine andere Bedeutung haben: Who wants to be forever behind Germany?

Das alles würde wenigstens erklären, was mich im Moment an den "Brexiteers" so verblüfft und enttäuscht: das Fehlen der typisch britischen Ironie! Als wäre für sie Schluss mit lustig. Als hätte man sich selbst ausgetauscht und würde die großartigen Fähigkeiten zu medialer Inszenierung und zu narrativer Suggestion nicht mehr spielerisch einsetzen, sondern nur noch für einen todernsten Zweck: einen Überlebenskampf. Und das immer ein bisschen verzweifelt und neben der Spur. Da ist "Great" auf einmal nicht mehr groß genug, und man verpasst sich allen Ernstes den neuen Anstrich "Global Britain". Und obwohl die ganze Welt weiß, dass es eine eher ältere und ländliche Mehrheit von Engländern ist, die den "Exit" aus der EU will, lässt man das Anliegen mit dem Kunstwort "Brexit" so klingen, als sei es die Mehrheit der Briten. Dabei sind die meisten Schotten, Nordiren, Waliser und Londoner dagegen.

Ich wünsche mir in diesen Zeiten entgleisender Propaganda, dass sich alle noch einmal das Ende der schon erwähnten "Fawlty Towers" Episode ansehen. Es ist eine selbstironische Botschaft ihres Schöpfers John Cleese an die Engländer. In der Hotellobby fällt ein ausgestopfter Elchkopf nieder auf den obsessiven Hotelbesitzer. Die Besucher aus Deutschland können über das Chaos nur noch staunen und fragen in breitestem deutschem Akzent:

"However could sey win se war?"

Von mir aus können die hitzköpfigen Engländer den Krieg noch so viel und oft erwähnen, wie sie wollen. Ich hoffe nur, dass sie nicht so elchköpfig sind und uns weiter einreden wollen, dass wir schon wieder damit angefangen hätten.

Quelle: ntv.de

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