
Die große Freiheit, da fliegt sie davon!
(Foto: imago images/Eibner)
Neulich schrieb mir eine Freundin, ihr Sohn sei "auf Reisen". Herrliche Formulierung: Auf der Stelle habe ich Schrankkoffer, Kamele vor Pyramiden oder Ozeanriesen vor Augen, winkende, gut gekleidete Menschen mit Taschentüchern an der Reling. Die Realität sieht leider etwas anders aus.
In einigen Bundesländern herrscht bereits wieder Schulbetrieb, in Berlin, meiner Heimat, fing sie heute Morgen pünktlich um acht wieder an, die gute alte Schule. So weit, so prima, denn dass Schule stattfindet, auch noch in der Schule, ist ja nicht selbstverständlich in diesen Zeiten. Wir sind also erst einmal froh. Oder?
Eigentlich wollte ich aber über Urlaub schreiben, gar nicht über Schule, denn dafür ist es echt noch zu früh. Wer weiß schließlich, wie lange das gut geht in den Schulen, so überwiegend ohne Luftfilter. Denn Schulen, die gut durchlüften können, sprich, die Fenster haben, sind schließlich nicht unbedingt mit einem Luftfilter versorgt worden. Kitas übrigens, die keine Luftfilter haben, sind selbst schuld, wenn sie keine haben, denn diese muss der "Träger" der Kita "nur abrufen", so Berlins Bildungssenatorin Sandra Scheeres heute Morgen bei Radioeins. Kaum "abgerufen" (wo eigentlich?) kommt so ein Luftreiniger dann auch schon in die Kita - da sind wir nun aber mal gespannt, ob die auch wirklich reichen.
Wie gesagt, ich wollte eigentlich über Urlaub schreiben, bin gefühlt noch weit weg. Denn es braucht ja immer ein bisschen, bis die Seele auch wieder angekommen ist, wie wir Philosophen so sagen. Alles in allem war es wunderbar, dieses Wieder-Reisen-Können, sogar mit dem Flugzeug. Sie lachen? Sie lachen, weil Sie nun wissen, dass ich am BER abgeflogen und dort auch wieder angekommen sein muss. Verstehe. Ja, daran ist in der Tat viel Komisches! Lustig ist das allerdings nicht.
Willkommen in Deutschland
Komisch ist zum Beispiel, dass man, wenn man ankommt in Berlin, so gar kein bisschen kontrolliert wird. Nicht, dass ich drauf stehe, kontrolliert zu werden oder gar angefasst zu werden von behandschuhter Hand, aber was solls? An meinen Reisezielen war das so. Da musste ich meinen Impfpass zeigen, meine Temperatur kontrollieren lassen, mehrmals, ich wurde in eine Art Gatter geschleust, wo meine Einreisebescheinigung gecheckt wurde, und was soll ich sagen? Ja, es nervt ein bisschen, aber es verleiht einem auch ein bisschen ein sicheres Gefühl in diesen unsicheren Zeiten. In Berlin angekommen dagegen: nichts!! Naja, fast nichts, die Bundesregierung heißt mich in Form einer SMS immerhin willkommen und schickt zur Sicherheit die Quarantäneregeln mit, puh, fühle mich gleich besser.
Dafür dann nur ein Gepäckband für vier ankommende Urlaubsbomber aus Griechenland, Spanien, Italien und Frankreich, an welchem sich so an die 400 Leute tummeln. Klasse, dit is' Berlin, wa?! Man möchte sich dann weder am Gepäckband als Einheimischer zu erkennen geben noch am Taxistand vor dem schicken Flughafengebäude, oder wie würden Sie Gästen aus Indien, England und Australien erklären, dass wirklich KEIN einziges Taxi dort steht, wirklich njet, nada, zero, rien du tout, nothing, nüschte. Egal, man ist doch gut erholt und hat Zeit; immerhin Gruppen werden transportiert, denn Sammeltaxis schießen wie aus dem Nichts plötzlich um die Ecke.
So habe ich nun endlich Zeit, mir meine Mitreisenden noch einmal in Ruhe anzuschauen: Ist das nicht die Mutter, die den ganzen Flug über kein Wort zu ihrem quengeligen Kleinkind gesagt hat, das circa drei Stunden lang seine Füße oder seinen Kopf, abwechselnd, gegen meine Sitzlehne geknallt hat? Ach, und das ist der Vater, der die ganze Zeit so tat, als würde er schlafen? Ja, herrlich, sieht ganz frisch aus, der Knabe.
Und da ganz vorne, das ältere Paar? Die haben doch noch versucht, beim Einsteigen ins Flugzeug vorzudrängeln. Waren das dieselben, die beim Speedy Boarding so getan haben, als wüssten sie gar nicht, dass es Speedy Boarding gibt und sich dann lauthals beschwert haben, es wäre doch genug Platz für alle da!?
Und da, der Mann drei Reihen hinter mir, der seiner Tochter vorgelesen hat, mit verstellter Stimme in mehreren Rollen, süüüüß, also wirklich so engagiert, dass es auch noch die Reihen 2 und 27 hören konnten. Aber der Arme musste schließlich seinen Sohn übertönen, der leider die Kopfhörer für sein elektronisches Endgerät vergessen hatte und ein Baller-Spiel spielte, an dem auch die anderen Passagiere partizipieren durften, peng, du bist tot! Als wären sie alle allein auf der Welt ...
Wie gesagt, der Urlaub war herrlich, ich habe es hinbekommen, mich von Menschenmassen fernzuhalten. Jetzt wieder die harte Tour. Denn eines ist klar: Corona hat trotz #weareinthistogether die Menschen nicht zu besseren Artgenossen gemacht. Immer noch ist der ausgefahrene Ellenbogen an der Tagesordnung, man hat schließlich lange genug die Füße stillgehalten. Ist aber trotzdem schön, wieder zu Hause zu sein, trotz all der Baustellen in der Stadt. Hier wird wenigstens was getan, jawohl.
Quelle: ntv.de