
Ossobuco muss lange köcheln, soll dabei aber möglichst wenig Energie verbrauchen.
(Foto: PantherMedia / Natalie Hanin)
Die steigenden Gas- und Strompreise machen Italiens Nationalgerichte zu einem teuren Vergnügen. Ein Nobelpreisträger gibt gute Ratschläge und entfacht eine hitzige Debatte, während in den Familien experimentiert wird.
Gegen 19 Uhr kommt die Whatsapp-Nachricht von Patrizia: "Ich habe 'Pasta e fagioli' gemacht, soll ich dir etwas hinaufbringen?" Patrizia ist eine Freundin, die ein Stockwerk tiefer wohnt. Sie ist eine leidenschaftliche und deshalb auch fantastische Köchin, die mich während der ersten Pandemiewelle und des Lockdowns versorgt hat. Im Gegenzug brachte ich ihr und ihrem Mann die Zeitung. Natürlich lautet meine Antwort: "Her mit der Pasta e Fagioli". Dieses aus Teigwaren und Bohnen bestehende Gericht, leicht wässrig, aber nicht zu sehr, kommt ursprünglich aus Neapel. Es schmeckt nicht nur ausgezeichnet, man kann es auch zu jeder Jahreszeit essen. Im Sommer kalt, im Herbst und Winter warm. Und einen Tag später schmeckt es noch besser.
Ein paar Minuten später klingelt es an der Tür. Patrizia kommt hinein, stellt ein kleines Tongeschirr ab und sagt: "Du hast mich doch gestern gefragt, ob sich in der italienischen Küche wegen der hohen Gas- und Strompreise etwas ändern wird. Hier, diese Pasta e Fagioli habe ich im Schnellkochtopf gemacht. Statt 40 Minuten, weil ja die Bohnen, auch wenn man sie die ganze Nacht im Wasser lässt, viel Zeit brauchen, um gar zu werden, hat es damit ein Drittel der Zeit benötigt. Zehn Minuten nach dem Dampfsignal hab' ich den Topf mit den Bohnen abgedreht und stehen gelassen. Später hab ich dann die Pasta hinzugegeben, wieder aufkochen lassen, diesmal aber beim Dampfsignal gleich abgedreht und dann stehen gelassen."
Und in der Tat schmeckt die Pasta e fagioli ausgezeichnet, nur mit dem Salz muss man etwas vorsichtiger sein, weil, wie mir Patrizia am Abend noch schreibt "mehr davon aufgesaugt wird". Demnächst will sie so auch Ossobuco, was wortwörtlich Knochen mit Loch bedeutet, zubereiten. Ossobuco ist ein Schmorgericht aus Kalbshackenscheiben, das normalerweise viel Zeit braucht. Verringert sich diese im Schnellkochtopf schon um Etliches, wird sie noch kürzer beim passiven Kochen.
Passives Kochen
Das passive Kochen gehört im Moment zu den Debatten, bei denen sich auch die renommierten, mit Michelin-Sternen ausgezeichneten Küchenchefs hierzulande in den Haaren liegen. Das Thema ist zwar nicht neu, wurde aber von Giorgio Parisi wieder angestoßen. Parisi ist einer der drei Nobelpreisträger für Physik im vorigen Jahr. Vor ein paar Wochen postete er seinen Ratschlag, um den Energieverbrauch beim italienischen Leibgericht, der Pasta, zu verringern.
Und der geht so: Nachdem man die Teigwaren ins kochende Wasser geworfen hat, lässt man sie noch für ein paar Minuten aufkochen, deckt sie dann zu und dreht ab. Garen sollten sie insgesamt eine Minute länger als normal. Auf diese Weise spare man bis zu 47 Prozent Kosten, meint Parisi und versichert, dass die Pasta trotzdem "al dente" bleibt. Denn das ist das oberste Gebot. Wenn sie nicht "al dente ist", kann man damit nur mehr Wandtapeten kleben, heißt es in Italien.
Für den römischen Chef Antonello Colonna ist diese Kochweise jedoch ein absolutes No-Go. "Mit allem Respekt für den Nobelpreisträger", meinte er unlängst in einer Stellungnahme. "Das ist Quatsch. Die Pasta ist so weder durch noch roh, sie ist undefiniert". Ganz anders sieht es der Mailänder Davide Oldani: "Das passive Kochen ist nicht neu für mich", sagt er zu Parisis Vorschlag. "Ich habe diese Methode schon bei meiner Mutter gesehen und wende sie selbst bei manchen Zutaten an."
"Man muss aber schon darauf achten, welche Pasta man verwendet", fügt Patrizias Tochter Lilli hinzu, die auf der Suche nach ihrer Mutter zu mir gekommen ist. Lilli ist Bibliothekarin, nebenberuflich und aus Leidenschaft macht sie ab und zu auch Catering. "Eierteigwaren, Spaghetti und kleinere Pastasorten eignen sich bestens dafür, nicht aber die dicken Rigatoni oder Paccheri." Besonders ideal sei diese Kochweise beim Gemüse, meint sie. Natürlich muss man sich darin etwas üben, damit es nicht zerkocht. "Aber das hat man schnell im Griff."
Wer in der Ewigen Stadt die typische, deftige römische Küche genießen will, hat eigentlich nur die Wahl der Qual. Ich bin Stammgast in der "Trattoria Checco er Carrettiere" im Herzen des Viertels Trastevere. Also rufe ich Stefania Porcelli an, eine der Besitzerinnen, um sie zu fragen, wie man bei "Checco! versucht, die Kosten in den Griff zu bekommen. Es gibt römische Speisen wie zum Beispiel die "Coda alla vaccinara", der Ochsenschwanz, die lange vor sich hin schmoren müssen. "Ich halte von all diesen Ratschlägen, die in den Zeitungen stehen, herzlich wenig", sagt Stefania. "Gleich, ob zu Hause oder in der Gastronomie, allzu oft wird die Flamme zu hoch gehalten. Schon darauf zu achten, erspart viel an Energiekosten." Beim Schmoren oder beim neapolitanischen Ragù solle das Gericht viele Stunden vor sich hin köcheln. "Nicht umsonst heißt es beim neapolitanische Ragù, "Il sugo deve pippiare", also die Fleischsoße müsse 'schnaufen'."
Die Lösung findet sich in "Nonnas" Küche
Auch Paola, meine Freundin aus Palermo, ist eine begnadete Köchin. Wenn sie zu Besuch in Mailand ist, bitte ich sie immer, etwas für mich vorzukochen. Paola führte einst ein Restaurant im Palazzo Gancia, dem Palast, in dem der Regisseur Luchino Visconti die berühmte Ballszene in "Der Leopard" drehte. Sie glaubt nicht, dass die hohen Energiekosten der italienischen Küche etwas anhaben können. Vielmehr tippt sie darauf, dass neue Rezepte hinzukommen werden. "An Fantasie fehlt es uns Italienern ja nicht", meint sie. "Viele unserer berühmten und beliebten Gerichte kommen aus sehr schlichten Verhältnissen und bestehen aus Resten."
Was das Sparen betrifft, wird man, anstatt jeden Tag zu kochen, gleich größere Mengen zubereiten und diese dann einfrieren. Auch das sei aber nicht Neues, meint Paola. "Etliche sizilianische Speisen wurden erfunden, damit sie mehrere Tage halten." Zu diesen gehören die vielen süßsauren Gerichte. Wie zum Beispiel die Gemüse-Caponata. "Dass wir so viele süßsaure Speisen haben, hat mehrere Gründe", sagt Paola. "Sie halten sich länger, schmecken am Tag danach noch besser, weswegen man auch gleich größere Menge zubereitet."
Einst gab es den Sparherd. Patrizia erinnert sich noch an den ihrer "Nonna" (Großmutter). "Der sah aus wie ein kleiner Schrank. Mich faszinierten die Türchen, die er hatte. Eins, um die Speisen warmzuhalten, ein anderes, um das Holz für das Feuer aufzubewahren. Außerdem gab es Ringe, die sich an die Größe der Töpfe anpassten." Die modernen Elektroherdplatten folgen diesem Prinzip. Paola mag also recht behalten: Man wird effizienter kochen, an der typisch italienischen Küche wird sich aber prinzipiell nichts ändern.
Quelle: ntv.de