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(Über)leben am Riff Am größten Korallenriff der Erde wird die Zeit knapp

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Eine Unterwasserlandschaft ist in Gefahr -  und Sie können bei der Rettung helfen!

Eine Unterwasserlandschaft ist in Gefahr - und Sie können bei der Rettung helfen!

(Foto: picture alliance/dpa/Theundertow Ocean & Divers for Climate/AAP)

Das Great Barrier Reef vor der Nordostküste Australiens ist das größte Korallenriff der Erde. Doch Klimawandel und Vermüllung gefährden das artenreiche Ökosystem. Wissenschaftler, Naturschützer und Menschen, die am Riff leben und arbeiten, kämpfen dagegen an. Ein Besuch vor Ort.

Zwischen Steinen sprießen violett-gelbe Weichkorallen, davor wachsen Riesenmuscheln und eine Seegurke windet sich Richtung Wasseroberfläche. Mitten im endlosen Blau des Ozeans taucht man bei einer Tour in die größte von Tieren errichtete Struktur der Erde ein: das Great Barrier Reef, seit 1981 Unesco-Weltnaturerbe. Korallen zählen zu den Nesseltieren. Hunderte Arten von ihnen bilden dieses Bauwerk der Superlative. Es besteht aus 2900 Einzelriffen, die sich über 350.000 Quadratkilometer verteilen – eine Fläche, fast so groß wie Deutschland und sogar vom All aus sichtbar.

Wer das Great Barrier Reef aus der Nähe betrachten will, muss weit ins Meer hinaus. Taryn Agius organisiert vom Hafen der Stadt Cairns im tropischen Norden des Bundesstaates Queensland jeden Tag Bootstouren zu 30 bis 40 Kilometer entfernten Zielen. Heute steuert ihr Katamaran das Upolu Reef an. An Deck erzählt Agius, wie sie vor 30 Jahren aus Malta an die australische Nordostküste kam, um ihren Abschluss als Physiotherapeutin zu machen. In ihrer Freizeit begann sie zu tauchen, verliebte sich in das Unterwasserparadies – und blieb.

Für Agius ist das Riff auch nach den vielen Jahren, in denen sie es Reisenden zeigt, von einzigartiger Schönheit. "Ich liebe es bei jedem Wetter und entdecke immer wieder so viel Neues", beschreibt sie das Gefühl während ihrer Tauchexpeditionen.

Was auf dem Spiel steht

Doch Taryn Agius ist sich auch schmerzlich der Fragilität des Naturwunders bewusst, sie macht sich Sorgen um das Riff und damit auch um ihre berufliche Existenz und die Zukunft ihres kleinen Unternehmens. "Wir müssen uns alle darüber im Klaren sein, was steigende Meerestemperaturen und die Vermüllung des Wassers hier anrichten. Wir müssen dieses Gebiet unter allen Umständen erhalten und schützen", erklärt sie bestimmt. Die Touristen seien nicht das Problem, im Gegenteil, "sie besuchen nur einen kleinen Teil der Rifflandschaft, und wir achten sehr darauf, dass alle sich umsichtig darin bewegen. Vielmehr ist es wichtig, dass Menschen sich dieses einzigartige Gebilde ansehen können – denn dann treten sie in eine Beziehung dazu, wissen, worum es geht und was auf dem Spiel steht!"

Für jeden Urlauber, der mit einem zertifizierten Bootsunternehmen unterwegs ist, werden 4,50 Euro an die Meeresparkbehörde abgeführt. Das Geld fließt in Forschungs- und Erhaltungsmaßnahmen rund um das Riff.

Für jeden Urlauber, der mit einem zertifizierten Bootsunternehmen unterwegs ist, werden 4,50 Euro an die Meeresparkbehörde abgeführt. Das Geld fließt in Forschungs- und Erhaltungsmaßnahmen rund um das Riff.

(Foto: F. Rüth)

Mit ihrer Sorge ist Taryn Agius nicht allein: Gerade teilte das Australische Institut für Meereswissenschaften (AIMS) in seinem Jahresbericht mit, dass die Schäden am Great Barrier Reef durch die Korallenbleiche ein Rekordausmaß erreicht haben: Im vergangenen Jahr verlor es so viele Korallen wie noch nie seit Beginn der Messungen vor fast 40 Jahren.

Sehr gut erklären, welche wichtige Rolle Korallenriffe spielen, kann Katharina Fabricius. Die gebürtige Münchnerin ist eine der renommiertesten Meeresbiologinnen und forscht seit 30 Jahren am AIMS. Sie sagt: "Korallenriffe sind nicht nur prachtvoll anzusehen, wir profitieren auch enorm von ihnen. Sie schützen Küsten vor Stürmen und Erosion und bilden die Heimat für Fische, auf die weltweit 500 Millionen Menschen angewiesen sind - sei es für ihre Ernährung oder weil sie den Tourismus und damit das Einkommen vieler in den Küstenregionen fördern." Zudem böten Riffe "einen riesigen Lebensraum für Algen, Seegras und Mangroven, die Photosynthese betreiben", weiß die Expertin, "sie nehmen also Kohlendioxid auf und geben Sauerstoff ab. Das hat großen Einfluss auf das globale Klima. Es liegt also in unser aller Interesse, diesen Lebensraum zu schützen – und etwas gegen den Klimawandel zu tun."

Bleiche Zeichen der Zerstörung

Wenn man am Riff taucht, ist der Klimawandel keine abstrakte Vorstellung mehr, die man verdrängen kann, denn zwischen all der Schönheit sind unübersehbar Zeichen der Zerstörung zu sehen. Nach der Ankunft am Upolu-Reef zwängen sich alle aus der Reisegruppe in Ganzkörper-Neoprenanzüge. Ohne sie kein Tauchgang, denn zu dieser Jahreszeit sind die gefährlichen, hochgiftigen Würfelquallen unterwegs. Nach dem Sprung ins Wasser formiert sich ein Kaleidoskop aus Formen und Farben vor der Taucherbrille, Clownfische verstecken sich zwischen Seeanemonen, ein Napoleon-Lippfisch linst neugierig umher und sogar eine Karettschildkröte schwimmt eine Weile neben der Gruppe mit. Das Great Barrier Reef bildet ein hochdiverses Ökosystem, in dem Tausende Organismen leben, darunter Fisch-, Weichtier-, Stachelhäuter- und Seetang-Arten, Haie, Seekühe und Wale.

Doch unter Wasser leuchtet nicht alles: Immer wieder stößt sich das Auge an einem weißen, ausgeblichenen Korallenstock, einem Opfer der Korallenbleiche. Das Phänomen wurde erstmals 1980 beobachtet und nahm in den vergangenen Jahren an Häufigkeit und Intensität zu: Seit 2016 kam es nach extrem heißen Sommern zu fünf großen Massenbleichen.

Suche nach Neuanfang

"Korallen sind sehr hitzeempfindlich, bereits einige Grad über ihrer bevorzugten Wassertemperatur reichen aus, um sie ausbleichen und schlechtestenfalls absterben zu lassen", wird mir einige Tage später in Townsville die Biologin Britta Schaffelke, eine Kollegin von Katharina Fabricius am AIMS, erklären. "Bei einer Bleiche stoßen die Korallen die bunten, einzelligen Algen ab, mit denen sie in Symbiose leben und die ihnen ihre Farben verleihen. Zwar können sich gebleichte Korallen wieder erholen, wenn die Temperaturen sinken. Entscheidend ist jedoch, dass sie dafür genügend Zeit haben. Und die fehlt mittlerweile."

Schaffelke führt die Besucher in eine Halle des Marine-Instituts, in der Dutzende Aquarien stehen: "Sie bilden den National Sea Simulator, den weltweit größten und modernsten Simulator für Meeresforschung." Vor einem der Bassins bleibt die Wissenschaftlerin stehen und deutet auf einen stacheligen Korpus: "Hier sehen wir eine weitere Bedrohung für das Riff, den Dornenkronenseestern. Durch Dünger und Sedimente, die aus der Landwirtschaft über Flüsse ins Meer gelangen, vermehrt sich der eigentlich seltene Dornenkronenseestern explosionsartig. Aufgrund von Überfischung hat er kaum natürliche Feinde und fällt in der Folge über die Korallen her – er vernichtet ganze Flächen." Im Becken liegt auch ein ausgeblichenes Kalkstück, "der Seestern frisst das Gewebe der Koralle und scheidet ihr Kalkskelett aus", erklärt die Biologin. Um die Plage in den Griff zu bekommen, injiziert man vielen der Dornenkronenseesterne in aufwendiger Handarbeit Ochsengalle oder auch Essig, woraufhin sie eine allergische Reaktion bekommen und meist innerhalb eines Tages sterben.

Was passiert bei einer Korallenbleiche?

Riffe zählen zu den ältesten Ökosystemen der Erde; sie existieren seit etwa 500 Millionen Jahren. Die Baumeister dieser Strukturen sind Steinkorallen, die Kalkskelette abscheiden und damit ihr Zuhause bilden.
Korallen leben in Symbiose mit mikroskopisch kleinen Algen zusammen, die sie mit Nährstoffen und Farbe versorgen. Die ideale Wassertemperatur für diese Symbiose beträgt zwischen 23 und 29°C. Zu hohe Temperaturen können zu einer Korallenbleiche führen: Wird der Ozean zu warm, beginnen die Mikroalgen, Giftstoffe zu produzieren. Um Schäden zu verhindern, stößt die Koralle fieberhaft die Algen ab. Das hilft nur kurzfristig. Der Energiebedarf der Koralle wird nicht mehr gedeckt, in der Folge bleicht sie aus, wird weiß und stirbt schlimmstenfalls, wenn das Wasser sich nicht abkühlt.

Damit die Riffe noch eine Chance haben, bunt und vor allem lebendig zu bleiben, wird am Marine-Institut intensiv geforscht und nach Lösungen gesucht. "In Feldstudien, bei denen überall am Great Barrier Reef Beobachtungsstellen eingerichtet werden, untersuchen wir, welche Korallen sich besonders gut und schnell von der letzten Massenbleiche 2024 erholen und wie man sie dabei unterstützen kann", sagt Schaffelke. So prüfen die Forschenden, darunter auch Evolutionsbiologen und Genetikerinnen, welche Korallen von Natur aus besonders hitzetolerant sind, und ob man Riffe mit diesem Typus besiedeln kann. Schaffelke beschreibt einen weiteren Aufforstungs-Ansatz: "Während der jährlichen Laichzeit sammeln die Wissenschafts-Teams Koralleneier und Spermien gesunder Riffe, um Millionen Babykorallen in speziellen Tanks zu züchten, die sie dann – geschützt von einer Keramikschale – auf kleine Bereiche beschädigter Riffe ausbringen, um sie wiederzubesiedeln." Die Erkenntnisse, die am AIMS gewonnen werden, sind wertvoll für Korallenriffe weltweit: Im März dieses Jahres wurde das Aquakultursystem während der Laichzeit auf den Malediven getestet, um den Riffen im Malé-Atoll bei der Restaurierung zu helfen.

Im Schildkröten-Krankenhaus

Am nächsten Tag geht es weiter nach Fitzroy Island, eine Insel südöstlich von Cairns, um Raine, Portia und Shelby zu besuchen: Tiere, die ebenfalls auf Hilfe angewiesen sind. Die Grünen Meeresschildkröten leben seit mehreren Jahren im "Cairns Turtle Rehabilitation Center", dem Schildkröten-Krankenhaus des Great Barrier Reef. Auch hier versteht man schnell, dass ein menschengemachtes Problem die drei an diesen Ort gebracht hat: Die Plastik-Vermüllung – geschätzt werden jährlich weltweit rund 460 Millionen Tonnen Plastik produziert– hat dafür gesorgt, dass die Ozeanbewohner als Langzeitpatienten ins Krankenhaus mussten.

Bald soll die Schildkröte in ihre natürliche Umgebung zurück.

Bald soll die Schildkröte in ihre natürliche Umgebung zurück.

(Foto: F. Rüth)

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Shelby verlor 2018 bei einem Haiangriff eine Flosse, Raine und Portia wurden 2018 und 2021 aus dem Meer gerettet; alle drei litten am sogenannten "Floater-Syndrom", bei dem die Schildkröten Plastiktüten oder andere Verpackungen schlucken, die im Wasser treiben. Das verschließt ihren Darm und es entstehen Gase, die dafür sorgen, dass die Tiere an die Wasseroberfläche treiben. Physiotherapeutin Amber beugt sich zu Shelby ins Becken, um die verbliebene Flosse zu massieren. Sie erklärt währenddessen: "Beim Floater-Syndrome können die Schildkröten nicht mehr abtauchen, um Nahrung zu suchen oder vor ihren Feinden zu fliehen. Dabei kommt es dann zu solchen Unfällen!" Es hat lange gedauert, bis es den dreien besser ging, aber Amber hofft, Schildkröte Raine im November wieder ins Gewässer des Great Barrier Reefs entlassen zu können.

Das Great Barrier Reef ist 2025 für den höchsten Umweltpreis der Vereinten Nationen nominiert, den "Champions of the Earth"-Award. Mit einer Teilnahme an der Unterschriftenaktion der Initiative "Lifetime of Greatness" – ein Zusammenschluss aus engagierten Gemeinden, Meereswissenschaftlern, Tourismusunternehmen und Regierungsorganisationen aus dem australischen Queensland – kann man dabei helfen, dass das größte Korallenriff der Erde ausgezeichnet wird.

Quelle: ntv.de

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