Riffe aus dem 3D-Drucker Große Lego-Bausteine retten Korallen und Inseln
24.06.2023, 15:33 Uhr Artikel anhören
Die Unterwasser-Bausteine aus Lehm wiegen etwa sieben Kilogramm.
(Foto: rrreefs)
Korallenriffe sind ein knallbuntes Ökosystem - und akut vom Aussterben bedroht. rrreefs will den Verfall stoppen: Das angehende Unternehmen stellt im 3D-Drucker große Unterwasser-Bausteine aus Lehm her und baut daraus neuen Wohnraum für Korallen und alles andere, was im Meer kreucht und fleucht. Und zwar schönen, wie rrreefs-Gründerin Ulrike Pfreundt im "Klima-Labor" von ntv erzählt: "Wir haben sogar einen Architekturpreis gewonnen!" In den kommenden zehn Jahren will die Meeresbiologin mit ihren Geschäftspartnerinnen an den Küsten dieser Welt gut 700 Kilometer Korallenriffe wieder aufbauen. Denn die Rettung ist mehr als ein Kunstprojekt für Fische, wie sie betont: Speziell in tropischen Regionen sind Stürme und der steigende Meeresspiegel eine Gefahr für Strände, den Fischfang und Inselstraßen. Lebendige Korallenriffe schaffen Abhilfe - und sind in der Nähe von Hotels auch ein neuer Schnorchel-Blickfang für Touristen.
ntv.de: Was ist rrreefs eigentlich? Mehr als ein Lego-Kunstprojekt für Fische?
Ulrike Pfreundt: Kunst und Architektur für Fische machen wir auch (lacht), aber nein, unsere Vision ist eine andere: Wir wollen in den kommenden zehn Jahren ein Prozent aller Korallenriffe an den Küsten wieder aufbauen, das sind etwa 710 Kilometer. Denn Korallenriffe schützen Küsten vor Erosion und vor Sturmfluten, die ja immer häufiger werden.
Denen geht es nicht so gut, wie so vielen Regionen und Landschaften auf der Welt?
Ja. Korallenriffe sind das Ökosystem, das auf der Welt am rasantesten stirbt und degradiert, weil das Leben im Meer von so vielen Faktoren negativ beeinflusst wird. Dieses Jahr schauen wir zum Beispiel wieder auf sehr hohe Meerestemperaturen. Bei hohen Temperaturen kann man jedes Mal eine große Absterbewelle beobachten, durch die sich die dreidimensionale Struktur der Riffe verändert: Das Gestein, das die Korallen über Jahrhunderte aufgebaut haben, beginnt zu zerbröseln. Das passiert relativ schnell, innerhalb eines Jahres. Dadurch verlieren alle Lebewesen dieses Riffs ihr Zuhause. Wir bauen es wieder auf.
Das sind diese Lego-Bausteine? Korallen sind ja selbst Lebewesen.
Manchmal sagen wir, dass wir Immobilien unter Wasser bauen. Denn Fische, Invertebrata, also Wirbellose, Krebse, Oktopusse, Muscheln und alles andere, was kreucht und fleucht, brauchen Hohlräume zum Leben, Verstecken, Schlafen und Fressen. Für die bauen wir genauso einen Lebensraum wie für Korallen. Ihre Nachkommen, die Korallenlarven, brauchen Oberflächen wie Steine oder Felsen, an denen sie ansetzen und wachsen können. Wenn diese Steine zu flach oder zu glatt sind, klappt das nicht. Deshalb haben wir unsere Module dahingehend optimiert, dass sich vor allem kleine Korallen besonders gut ansiedeln können und geschützt sind.
Auch eine Form von Geo-Engineering.
Aber unser Fokus ist wirklich das Ökosystem: Was brauchen wir, damit sich Biodiversität, die Artenvielfalt im Meer, wohlfühlt? Und zwar alle möglichen Lebewesen zur gleichen Zeit. Denn diverses Leben bedeutet resilientes Leben.
Und warum ist das für den Menschen wichtig?
Der wichtigste Grund ist die Biodiversität, auch wenn das schwer zu greifen ist. Aber die Menschheit hat sich fast alle wichtigen Entwicklungen von anderen Lebewesen abgeschaut, das Verfahren zur Düngemittelherstellung zum Beispiel von Bakterien. Das ist ein chemischer Prozess, den wir gefunden und nachgebildet haben. Denn Biodiversität bedeutet genetische Vielfalt, die eine wahre Fülle an Funktionen und Stoffen bereitstellt. Wir müssen sie nur finden.
Der Versuch, Spinnweben als Kleber zu nutzen oder wie Vögel zu fliegen?
Genau. Ein weiterer wichtiger Grund ist der Küstenschutz. Korallenriffe schützen vor Strand- und Küstenerosion und speziell in tropischen Regionen leben die meisten Menschen an Küsten. Unser erstes Riff haben wir 2021 auf der Insel San Andrés vor Kolumbien gebaut. Auf dieser Insel gibt es eine Ringstraße. Die wird durch den steigenden Meeresspiegel und Sturmfluten langsam weggefressen. Ein Riff kann die Wucht mindern, mit der diese Fluten auf die Küste prallen.
Sie sind eine Art natürliche Flutbarriere und Wellenbrecher, wie man sie in New York, den Niederlanden oder Venedig künstlich baut?
Und diese Wellenbrecher bestehen im Wesentlichen aus sehr massiven Betonblocks, in denen wahnsinnig viel Material drinsteckt und die energieintensiv hergestellt werden müssen. Aber noch sind unsere Systeme für den Küstenschutz in Sturmzonen noch nicht stabil genug. Aktuell können wir Biodiversität und Küstenschutz in einer Wellenzone bieten. Wenn zum Beispiel vor einem Hotel der Strand erodiert, muss ständig woanders neuer Sand abgepumpt und heran gekarrt werden. Dieser Strand wird meistens durch Strömungen abgetragen. Die können wir umleiten.
Das klingt aber nach einem größeren Eingriff in die Natur.
Meistens entsteht Erosion dadurch, dass durch eine Hafenmauer die Einströmung von einem Fluss ins Meer begradigt wurde. Dann fehlt entlang der ganzen Küste Sand, der normalerweise vom Fluss herangetragen worden wäre. Und Lagunen erodieren häufig, weil ein Barriereriff kaputtgegangen ist und ein Loch hat. Dann kommen von außen viel stärkere Strömungen rein. Die waren vorher auch nicht da. Also klar, irgendwas beeinflusst man immer. Aber damit müssen wir leben, denn die Alternative ist, mit riesigen Staubsaugern Sand vom Meeresgrund an den Strand zu pumpen.
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Das heißt, man kann sowohl kaputte Riffe reparieren als auch neue aufbauen?
Genau. Aber natürlich nur dort, wo es Riffe geben sollte. Nicht an Orten, wo sich ein Kelpwald befindet oder so. Wir wollen Riffe in Regionen reparieren und wieder aufbauen, in denen die Menschen davon abhängig sind, zum Beispiel durch den Fischfang oder Tourismus.
Und wie genau würde das funktionieren?
Wir stellen unsere Module mit Lehm-3D-Druckern her. Die sind etwas größer als die kleineren für Plastik-Filament, die mittlerweile viele kennen. Die Module sind etwa 40 Zentimeter lang und ein paar Zentimeter hoch. Sie sehen aus wie ein größerer Lego-Stein, nur spezieller geformt und hohl, damit sie sich für Korallen und kleine Fische eignen. Momentan haben wir Hersteller in der Schweiz und in Mexiko. Wir wollen das auch in Indien hinbekommen, um Südostasien besser versorgen zu können.
Die Module selbst wiegen sieben Kilogramm. Das war uns wichtig, damit sie von Menschen transportiert und im Wasser verlegt werden können, denn nur dann können wir Anwohner in das Projekt einbeziehen. Wenn wir mit einem großen Kranschiff ankommen und die Module ins Wasser fallenlassen, wäre das nicht sehr nachhaltig.
Der künstlerische Aspekt ist also tatsächlich wichtig, das Riff soll eine möglichst schöne "Immobilie" werden?
Ja, wir haben sogar einen Architekturpreis gewonnen (lacht)! Das hilft uns, aber auch Hotelketten.
Damit man beim Schnorcheln etwas zu sehen bekommt?
Und Bilder oder Videos machen kann, die ästhetisch ansprechend sind. Das schafft Aufmerksamkeit und Bewusstsein. Wir hatten letztes Jahr auch fünf internationale Ausstellungen und es ist doch toll, wenn in einem Designmuseum über Korallen gesprochen wird.
Werden für die einzelnen Riffe auch Baupläne entworfen? Im Sinne von: Hier kommen drei Module hin, hier vier. Hier legen wir eine Gartenlandschaft an.
Für unser Riff vor San Andrés haben wir auf einem Tisch einen kleinen Prototyp entworfen und ein Handy darüber angebracht. Dann haben wir die Steine Reihe für Reihe entfernt und immer wieder von oben Fotos gemacht. Die Aufnahmen haben wir laminiert, mit unter Wasser genommen und das Riff nachgebaut.
Bisher ist das aber ein Crowdfunding-Projekt. Kann man damit auch Geld verdienen?
Wir sind momentan noch ein Verein, der wird aber gerade in ein Unternehmen umgewandelt. Das Geschäftsmodell hat zwei Hauptsegmente. Das erste ist Tourismus. Das andere sind Biodiversitätsaktionen wie Bäume pflanzen. Das machen ja viele Unternehmen.
Diese Aktionen haben sich nicht bewährt.
Ja, diese CO2-Credits sind zu Recht in Verruf geraten. Viele Firmen überlegen, was sie stattdessen machen können. Erste Kunden haben uns beauftragt, ein Riff wieder aufzubauen. Wir sagen, wo, und messen zweimal im Jahr, was sich dort in puncto Biodiversität, Fischvielfalt und Korallenwachstum entwickelt. Diese Daten geben wir an die Firmen für ihr Reporting weiter.
Ganz ohne Sorge, dass die Projekte für Greenwashing missbraucht werden?
Davor habe ich wenig Angst. Aber wir achten darauf, dass sich unsere Kundinnen und Kunden schon auf einem Weg der Transformation befinden.
Wäre Shell ein akzeptabler Kunde? Die wollen sich ja auch transformieren.
Wir haben darüber diskutiert, aber momentan würden wir das nicht machen. Das wäre für uns im ersten Jahr als Unternehmen schwierig zu kommunizieren. Bis rrreefs auf stabilen Beinen steht, möchten wir Projekte mit Kundinnen und Kunden umsetzen, die etwas weiter sind - ohne jemandem zu nahe treten zu wollen. Grundsätzlich würden wir Shell aber sehr gerne auf dem Weg der Transformation begleiten.
Shell ist als Ölriese natürlich ein sehr zugespitztes Beispiel, aber auch andere Unternehmen haben großen Anteil an der Klimakrise. Mit denen wäre eine Zusammenarbeit trotzdem denkbar?
Unbedingt. Man kann ja nicht allen Unternehmen aufgrund von Verfehlungen der letzten 10 bis 30 Jahre die Wiedergutmachung verweigern. Da bin ich klar pro Transformation und dafür, Gutes zu tun. Und wir brauchen natürlich Gelder, wenn wir irgendwann zehn Kilometer Riff auf einen Schlag bauen wollen.
Was würde das denn kosten?
Momentan kosten 100 Quadratmeter Riff etwa 250.000 Euro.
700 Kilometer wären also sehr teuer.
Es muss viel passieren, ja. Wir arbeiten daran, die Produktion günstiger hinzukriegen. Schaffen wir das, ist großflächiger Küstenschutz möglich. Dann steigen hoffentlich Regierungen ein, die sehr große Projekte finanzieren.
Und die bisherigen Projekte sind erfolgreich?
Wir hatten zwei wegweisende Experimente. Auf den Malediven haben wir Ende 2019 zum ersten Mal das Material getestet. Dabei haben wir festgestellt, dass wir pro Fläche mehr Korallen anziehen, als es in wissenschaftlichen Vergleichsstudien für die Malediven in der Vergangenheit der Fall war. Nach 15 Monaten hatten wir auch eine hohe Überlebensrate von 91 Prozent. Drei Jahre später sind die Korallen immer noch da und mittlerweile so groß wie Fußbälle.
Man kann ihnen beim Wachsen zuschauen?
Ja. Und das Tolle ist, sie kamen aus dem Nichts. Wir haben keine Fragmente von anderen Korallen gepflanzt oder so. Wir haben die Module hingestellt und drei Jahre lang nichts gemacht, geputzt oder angefasst.
Korallenlarven sind aus der Umgebung vorbeigekommen und haben sich dort angesiedelt?
Genau. Sie mögen offensichtlich das Material. Bei unserem zweiten Projekt in San Andrés haben wir seit September 2021 vor allem die Biodiversität gemessen. Die offiziellen Ergebnisse stehen noch aus, aber die Fischvielfalt war nach drei Monaten schon so groß wie in auf anderen Riffen in der Umgebung.
Den echten und natürlichen?
Was zeigt, dass es mindestens genauso gut funktioniert. Unser Ziel ist aber eine größere Vielfalt, denn den natürlichen Riffen geht es nicht so gut. In fünf Jahren sehen wir idealerweise also noch mehr verschiedene Fischarten.
Mit Ulrike Pfreundt sprachen Clara Pfeffer und Christian Herrmann. Das Gespräch wurde zur besseren Verständlichkeit gekürzt und geglättet.
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Quelle: ntv.de