Panorama

Mordurteil gegen Raser kassiert "Andere Auslegung wäre möglich gewesen"

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Noch ist nicht sicher, wie hart die beiden Raser am Ende verurteilt werden.

(Foto: imago/Rolf Kremming)

Beim BGH hat das Mordurteil gegen zwei Berliner Raser keinen Bestand. Für Dieter Müller ist das nicht ganz nachvollziehbar. Der Verkehrsrechtsprofessor an der Fachhochschule der Sächsischen Polizei hält deshalb auch ein neues Mordurteil nicht für ausgeschlossen.

n-tv.de Der BGH hat das bundesweit erste Mordurteil in einem Raserfall aufgehoben. Das war sicher eine schwierige Entscheidung. Stimmen Sie mit dem Ergebnis überein?

Dieter Müller: Ich will es mal so sagen. Die Entscheidung ist juristisch möglich, aber sie ist spitzfindig und eine andere Auslegung wäre genauso möglich gewesen.

Das klingt recht kritisch. Der BGH sah vor allem den Vorsatz der beiden Männer nicht als erwiesen an. Aber wenn jemand so rücksichtslos im Straßenverkehr unterwegs ist. Kann man da nicht davon ausgehen, dass er den Tod anderer zumindest billigend in Kauf nimmt?

Das war genau die Frage, um die es ging. So wie ich die BGH-Begründung bisher gelesen habe, schließt das Gericht einen Mord nicht grundsätzlich aus. Wäre das so, hätte kein weiterer Staatsanwalt einen Mord anklagen können. Was die BGH-Richter aber gesagt haben, ist, dass der Mordvorwurf schlecht begründet war. Weder das Mordmerkmal noch der bedingte Vorsatz waren nachvollziehbar begründet.

Stimmen Sie dem zu?

Aus meiner Sicht greift der BGH zu kurz, weil er sich nur auf die Erklärung zur Unfallsituation auf der Kreuzung stützt. Denn das Landgericht Berlin begründet in seinem Urteil mehrfach, dass die ganze Fahrt gefährlich war und das den beiden Autofahrern bewusst sein musste. Und damit haben sie sich abgefunden. Diese Begründung trägt meines Erachtens. Was die Berliner Richter zu der Kreuzungssituation geschrieben haben, das war aus meiner Sicht ein bisschen ungeschickt formuliert.

Inwiefern?

Das Landgericht Berlin hat in seiner Entscheidung Begriffe hineingeschrieben, die eher so aus dem Bauch herauskamen. Das war unjuristisch. Damit war das eine Steilvorlage für die Verteidiger.

Es wird ja nun einen neuen Prozess in Berlin geben. Warum glauben Sie, ist ein Mordurteil auch diesmal nicht ausgeschlossen?

Ich denke, die Staatsanwaltschaft wäre gut beraten bei ihrer bisherigen Linie zu bleiben und das ausführlicher zu begründen. Die Richter müssen ja entscheiden, wer im Widerstreit zwischen Staatsanwalt und Verteidiger die besseren Argumente hat. Dann steht nach der richterlichen Überzeug objektiv und subjektiv ein bestimmter Sachverhalt fest. Im letzten Prozess waren die drei Landgerichtsrichter überzeugt, dass das Mordmerkmal vorgelegen hat. Dass die beiden Autofahrer wussten, dass es gefährlich ist und dass es ihnen egal war, ob da jemand getötet wird oder nicht. So schlecht können diese Argumente also nicht gewesen sein.

Zu dem Mordurteil hatte es sehr viel Zustimmung aus der Bevölkerung gegeben. Ist das zu einfach mit der gefühlten Gerechtigkeit?

Das muss man differenziert sehen. Man sagt: Das ist eine gefährliche Fahrweise, dann muss das Mord sein. Das stimmt dann natürlich insofern, dass jemand, der mit 170 Stundenkilometern durch die Innenstadt rast, extrem gefährlich unterwegs ist. Das sagt auch die Rechtsprechung. Wo es schwierig wird, ist, wenn man aus dem Verhalten herauslesen will, was derjenige, der sich so verhält, gedacht hat oder gedacht haben will. Wenn man keine Aussage des Angeklagten hat, bleiben dafür nur Indizien. Aber genau damit  hat der BGH Schwierigkeiten. Vielleicht vertraut der Raser einfach nur darauf, dass keiner kommt. Damit stimme ich überhaupt nicht überein.

Warum nicht?

Man befindet sich im Verkehrsraum, dort, wo auch andere Autos fahren. Die anderen haben Grün, die rote Ampel war schon mehrere Sekunden lang Rot. Da liegt es für mich als Bürger, als Polizist und als Jurist auf der Hand, dass es dem egal ist, was mit den anderen passiert. Das ist dann für mich der bedingte Vorsatz. Und dann ist da natürlich noch die Tatsache, dass es zu diesem Unfall überhaupt nicht hätte kommen müssen.

Wie meinen Sie das?

Ich habe mir mal angeschaut, was die beiden Autofahrer zum Zeitpunkt des Unfalls schon auf dem Kerbholz hatten. Das schreiben die Berliner Richter ganz zum Schluss, als es darum geht, die Fahrerlaubnis lebenslang zu entziehen. Das waren so viele Delikte, dass die lebenslange Sperre zwangläufig ist. Polizei, Bußgeldbehörde, Staatsanwaltschaft und Gericht haben alle einzeln Meldepflichten an die Fahrerlaubnisbehörde. Und die hätte beide Fahrer zur MPU einladen müssen. Dort waren sie aber nicht. Bei dem, was die an Charakter gezeigt haben, hätte man ihnen wahrscheinlich die Fahrerlaubnis entzogen. Dann wäre das nicht passiert.

Vielleicht wären sie dann ohne Führerschein gefahren?

Das weiß man nicht. Aber auf jeden Fall hat ihnen der Schuss vor den Bug gefehlt, die Entziehung der Fahrerlaubnis und die MPU. Es wäre in jedem Fall sicherer, wenn solche Leute von einem Verkehrspsychologen gesagt bekämen, dass sie eine Gefahr für andere sind. Aber in diesem ganzen Bereich gibt es leider kaum Forschungsgrundlagen, an denen wir die grundsätzlichen Mechanismen sehen können. Wenn wir die hätten, wäre vieles klarer.

Sie unterrichten Polizisten des Landes Sachsen im Fach Verkehrsrecht. Inwiefern wird dieses BGH-Urteil in Ihren Unterricht einfließen?

Ich muss natürlich die BGH-Rechtsprechung jetzt mit aufnehmen, weil das eben die letzte Instanz ist. Ich bringe den Polizisten bei, wie sie manche Tatbestände und manche Rechtsbegriffe auslegen müssen und auch dürfen. Das betrachten wir einmal vom Gesetzgeber aus und einmal von der Rechtsprechung aus. Manche Urteile sind schwer zu lesen, das muss ich dann regelrecht übersetzen. Daraus kann man dann beispielsweise Rückschlüsse für die Befragung von Beschuldigten ziehen. Aber die beiden Berliner haben bei der Polizei und im Prozess nichts gesagt. Da ist es ganz wichtig, dass die Unfallaufnahme sauber funktioniert. Damit die Tatsachengrundlage, die von den Polizisten und den Sachverständigen zusammen erarbeitet wird, eindeutig ist. In dem Berliner Fall hat der Sachverständige herausermittelt, dass die beiden Fahrer mit 160 bis 170 Stundenkilometern auf die Kreuzung gefahren sind und dass es da die Kollision gegeben hat. Die Polizisten haben dann ausgemessen, das Fahrzeug wurde 60 Meter durch die Luft geschleudert. Das sind Fakten, die ganz deutlich die Gefährlichkeit der Situation beschreiben. Damit kann man auch im Prozess überzeugen.

Mit Dieter Müller sprach Solveig Bach

Quelle: ntv.de

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