Gutachten belastet Ex-Papst Benedikt XVI. will für Missbrauchsopfer beten
20.01.2022, 18:34 Uhr
Ein Gutachten zu sexuellen Übergriffen im Erzbistum München und Freising belastet den ehemaligen Papst Benedikt XVI. Ihm wird vorgeworfen, während seiner Zeit als Erzbischof in mehreren Fällen nichts gegen den Missbrauch unternommen zu haben. Nun äußert sich das frühere Kirchenoberhaupt.
Der emeritierte Papst Benedikt XVI. bedauert nach den Worten seines Privatsekretärs Georg Gänswein den Missbrauch von Kirchenbediensteten an Minderjährigen. "Der emeritierte Papst drückt, wie er es bereits mehrmals in den Jahren seines Pontifikats getan hat, seine Scham und sein Bedauern aus über den von Klerikern an Minderjährigen verübten Missbrauch und erneuert seine persönliche Nähe und sein Gebet für alle Opfer", zitierte das Medienportal "Vatican News" Gänswein.
Benedikt habe "bis heute Nachmittag" das Gutachten der Kanzlei Anwaltskanzlei Westpfahl Spilker Wastl (WSW) zu Missbrauchsfällen im Erzbistum München und Freising nicht gekannt. Er wolle es in den kommenden Tagen studieren und prüfen, erklärte Kurienerzbischof Gänswein weiter. Das Gutachten lastet dem heute 94-Jährigen Fehlverhalten im Umgang mit sexuellem Missbrauch in seiner Zeit als Erzbischof der Diözese München und Freising an. Benedikt habe als damaliger Münchner Erzbischof Joseph Ratzinger in mehreren Fällen nichts gegen den Missbrauch unternommen, teilten die Gutachter mit.
Mindestens 497 Kinder und Jugendliche sind laut der heute vorgestellten Studie zwischen 1945 und 2019 in dem katholischen Bistum von Priestern, Diakonen oder anderen Mitarbeitern der Kirche sexuell missbraucht worden. Mindestens 235 mutmaßliche Täter gab es laut der Anwaltskanzlei - darunter 173 Priester. Allerdings sei dies nur das sogenannte Hellfeld. Es sei von einer deutlich größeren Dunkelziffer auszugehen. Gutachter Ulrich Wastl nannte dies eine "Bilanz des Schreckens".
In dem fast 2000-seitigen Gutachten heißt es, 40 Kleriker seien auch nach Missbrauchsfällen weiterhin in der Seelsorge tätig gewesen beziehungsweise sei dies geduldet worden. Bei 18 davon erfolgte dies sogar nach "einschlägiger Verurteilung", wie der Jurist Martin Pusch sagte. Insgesamt seien bei 43 Klerikern "gebotene Maßnahmen mit Sanktionscharakter" unterblieben. Dafür verantwortlich - auch das macht das Gutachten klar - sind aus Sicht der Anwälte vor allem die Münchner Bischöfe und Generalvikare und damit auch der spätere Papst Benedikt XVI., der von 1977 bis 1982 Erzbischof von München und Freising war.
Gutachter: Ratzinger sagte nicht die Wahrheit
Fehlverhalten in vier Fällen halten die Anwälte Ratzinger vor. In zwei davon soll er Priester, bei denen er "überwiegend wahrscheinlich" von ihrer Missbrauchsvergangenheit wusste, nach Bayern geholt haben. In allen Fällen habe Benedikt ein Fehlverhalten strikt zurückgewiesen. Seine 82 Seiten lange Stellungnahme ist im Anhang des Gutachtens zu lesen, das inzwischen auf der Internetseite der Kanzlei veröffentlicht wurde.
In einem dieser Fälle geht es um einen Priester, der im Ausland rechtskräftig wegen Missbrauchs verurteilt worden war, in einem anderen um den bekannten Fall eines Priesters aus Essen, der trotz Vorfällen in Nordrhein-Westfalen in Bayern wieder als Seelsorger mit Kindern und Jugendlichen arbeitete.
Besonders brisant: Die Gutachter gehen davon aus, dass Ratzinger in Bezug auf die Fälle nicht die Wahrheit gesagt hat. Denn laut der Studie legt ein Sitzungsprotokoll nahe, dass er - anders als er selbst behauptet - 1980 als Erzbischof von München sehr wohl bei dem heiklen Treffen dabei war, bei dem beschlossen wurde, dass der Priester nach Bayern übersiedeln soll. Der Geistliche missbrauchte dort später erneut Kinder und wurde dafür rechtskräftig verurteilt. Der Jurist Wastl sagte, er halte Benedikts Angabe, er sei in dieser Sitzung nicht anwesend gewesen, für "wenig glaubwürdig".
Quelle: ntv.de, mbe/dpa