"Das nimmt jeden mit" Charité behandelt deutlich mehr Stichverletzungen
06.08.2024, 14:15 Uhr Artikel anhören
Die Notaufnahme der Berliner Charité erfasst deutlich mehr Stichverletzungen.
(Foto: picture alliance/dpa)
Die Daten sind eindeutig: Die Zahl der Messerangriffe in Deutschland steigt. Besonders extrem scheint die Lage dieses Jahr in Berlin zu sein. Die Charité behandelt im ersten Halbjahr so viele Stichverletzungen wie sonst im Gesamtjahr. Das medizinische Personal leidet.
Die Berliner Charité beklagt eine deutliche Zunahme von Patienten, die das Krankenhaus mit Stichverletzungen besuchen. Bereits in den ersten sechs Monaten dieses Jahres waren es demnach so viele wie sonst in einem ganzen Jahr. "Wir haben normalerweise etwa 50 bis 55 Messerstichverletzungen pro Jahr, aber die haben wir im ersten Halbjahr dieses Jahr schon", sagte Ulrich Stöckle im RBB. Stöckle ist der geschäftsführende Direktor des Centrums für Muskuloskeletale Chirurgie der Charité.
Dem Mediziner zufolge decken sich seine Erfahrungen mit der Kriminalstatistik der Berliner Polizei. Demnach behandeln die Mitarbeiter der Charité im Schnitt zwei bis vier Verletzungen pro Woche. Das sei eine bedrohliche Entwicklung für die Gesellschaft, aber auch für die Stadt Berlin, sagte Stöckle weiter. "Wir sehen im Anstieg dieser Verletzungen einfach auch eine offensichtlich deutlich niedrigere Schwelle für diese Körperverletzungen in der Gesellschaft", erklärte der Mediziner auch mit Verweis auf einen Berliner Fall, in dem ein Parkplatzstreit in einem tödlichen Messerangriff resultierte.
Messerangriffe werden seit 2021 gesondert in der Polizeilichen Kriminalstatistik (PKS) erfasst. Demnach stiegen die Fallzahlen von gefährlicher und schwerer Körperverletzung sowie Raub mit Messer bis 2023 deutlich an - von 10.131 auf 13.844. Ein besonders brutaler Fall ereignete sich im Mai im baden-württembergischen Mannheim: Beim mutmaßlichen Versuch, einen Islamkritiker zu töten, erstach ein 25-jähriger Afghane den eingreifenden Polizisten Rouven Laur.
"Jung, männlich und nicht-deutsch"
In mehreren deutschen Großstädten wird deswegen über Waffenverbotszonen diskutiert. In diesen können Waffen verboten werden, deren Mitführung nicht grundsätzlich strafbar ist. Ob damit Messerangriffe tatsächlich verhindert werden können, ist Kriminalexperten zufolge unklar.
Die sozialen Hintergründe sind den Ermittlungsbehörden zufolge dagegen eindeutig: "Nach unseren Zahlen ist die Gewalt in Berlin jung, männlich und hat einen nicht-deutschen Hintergrund", erklärte Berlins Polizeipräsidentin Barbara Slowik im Interview mit ntv.de. "Das gilt auch für Messergewalt." Sie spricht sich für eine Verschärfung des Waffenrechts aus.
Charité-Direktor Stöckle weist darauf hin, dass die Zunahme von Messergewalt zunehmend auch für das medizinische Personal belastend ist. Keiner könne nach der Behandlung einer tödlichen Verletzung zur Routine übergehen, sagte er im RRB. "Das nimmt jeden mit, wenn jemand verstirbt." Vor allem jüngere Mitarbeiter bräuchten mehr psychologische Unterstützung: "Wenn wie letztes Jahr einem Taxifahrer quasi die Kehle durchgeschnitten wurde morgens um halb neun, braucht es eine ganz andere Einstellung und auch eine ganz andere Arbeitsatmosphäre."
Quelle: ntv.de, chr