Wieder Fälle am Wochenende Zahl der Messerangriffe nimmt deutlich zu
17.06.2024, 11:29 Uhr Artikel anhören
Trauer in Mannheim um den getöteten Polizisten.
(Foto: picture alliance/dpa/pr-video)
Nach dem Messermord in Mannheim ist die Empörung in der Politik groß. Auch am vergangenen Wochenende gibt es mehrere Attacken - mit zwei Todesopfern. Wie groß ist die Gefahr durch Messer mittlerweile? Zahlen geben Hinweise.
Seitdem ein Afghane in Mannheim einen Polizisten brutal ermordet hat, hat es noch mehrere Messerstechereien in Deutschland gegeben - so auch am vergangenen Wochenende: In Wolmirstedt in Sachsen-Anhalt erstach ein 27-jähriger Afghane einen jungen Mann und griff anschließend Feiernde bei einer Party zur Fußball-Europameisterschaft an. Er verletzte eine Frau und einen Mann schwer.
Am Samstag griff ein 17-jähriger Afghane in Ingolstadt einen Mann in einem Park an. Im bayerischen Schliersee griff ein 49-jähriger Deutscher einen Polizisten mit einem Messer an, nachdem er einen 84-Jährigen umgestoßen und schwer verletzt hatte. In Frankfurt am Main wurde ein 31-Jähriger erstochen, nachdem seine Gruppe mit einer anderen in Streit geraten war. Ein 30-Jähriger wurde festgenommen - ein Deutscher.
Nach dem Mord an dem Polizisten von Mannheim ist die Aufmerksamkeit für Messerangriffe besonders groß. Ob die genannten Fälle abgesehen von der Tatwaffe noch mehr gemeinsam haben, muss erst noch ermittelt werden. Dennoch stellt sich die Frage, wie gefährlich es mittlerweile in Deutschland zugeht. Sind solche Taten gar normal geworden?
Das lässt sich immerhin klar verneinen. Richtig ist aber, dass es immer mehr Messerangriffe gibt. Seit 2021 werden diese gesondert in der Polizeilichen Kriminalstatistik (PKS) erfasst. Demnach stiegen die Fallzahlen von gefährlicher und schwerer Körperverletzung sowie Raub mit Messer bis 2023 deutlich an - von 10.131 auf 13.844.
Tatsache ist aber auch: Der Anteil von Messerangriffen an der gesamten Gewaltkriminalität blieb relativ stabil. Jeweils fünf bis sechs Prozent der schweren und gefährlichen Körperverletzungen wurden mit einem Messer begangen. Beim Raub waren es zwischen 10 und 11 Prozent. Da Messerangriffe erst seit drei Jahren gesondert erfasst werden, lässt sich daraus kaum ein Trend herauslesen. Die Gewaltkriminalität insgesamt nimmt jedoch zu und damit eben auch das Fallaufkommen in absoluten Zahlen. Diese Zahlen gelten natürlich für das vergangene Jahr. Erst in der kommenden PKS wird es Angaben über das Jahr 2024 geben.
Jochen Kopelke, Vorsitzender der Gewerkschaft der Polizei, sieht diesen Anstieg der Zahl der Messerangriffe auch in der Praxis. "Wir sehen das in den Kriminalstatistiken, die immer das Jahr vorher betrachten. Und wir erleben das in den Einsätzen. Das Messer ist gerade ein besonderer Fokus im Dienstalltag." Die Polizei sei darauf vorbereitet und trainiert, wenn ein Gegenüber eine Waffe habe. "Das Problem ist natürlich, dass sie zunehmend Situationen haben, in denen sie nicht damit rechnen und deswegen die Polizei zunehmend gefordert ist, auch bis hin zu dem Schusswaffeneinsatz."
2023 gut 3500 politisch motivierte Gewalttaten
In die genannte Zahl von knapp 14.000 Gewaltverbrechen mit Messern fließen alle erfassten Messerstechereien ein, also vom Tankstellenräuber bis zum Drogendealer - oder eben auch einem politisch-religiös motivierten Täter. Doch auch zu politisch motivierter Kriminalität gibt es eigene Zahlen, die das Bundesinnenministerium regelmäßig veröffentlicht. Die zeigen ganz klar: Rechtsextreme sind für den größten Teil der politisch motivierten Kriminalität (PMK) verantwortlich. So wurden 2023 rund 60.000 Straftaten in diesem Bereich erfasst. Die Hälfte davon, rund 29.000, gingen auf das Konto von Rechtsextremen. Täter mit "religiöser Ideologie" liegen nur auf Platz vier, nach "PMK links" und "PMK ausländische Ideologie".
Ein sehr großer Teil dieser Straftaten sind Propaganda, Hetze im Netz oder auch Sachbeschädigungen. Politisch motivierte Gewalttaten wurden 2023 insgesamt 3561 gezählt. Ein Drittel davon begingen Rechtsextreme. Dem Bereich "religiöse Ideologie" wurden 2023 nur 90 Taten zugeordnet. Das war allerdings ein drastischer Anstieg gegenüber 51 im Vorjahr. Auf diesem niedrigen Niveau bewegen sich die Zahlen der vergangenen drei Jahre. Das Bild dominieren allerdings die Bereiche "rechts" und "links" sowie solche, die nicht zuzuordnen sind. Bei Letzteren handelt es sich oft um Taten, die mit der Corona-Pandemie zu tun haben.
Auch die Zahl islamistischer Gefährder ist aus Sicht des BKA gesunken, wie eine Statistik zeigt. Nach einem Höhepunkt 2018 mit fast 800 beobachteten Personen, sind es mittlerweile etwa 500. Laut BKA gab es seit dem Jahr 2000 in der Bundesrepublik elf vollendete islamistisch motivierte Angriffe oder Anschläge. 25 seien verhindert worden, 5 seien technisch gescheitert. Der folgenschwerste Anschlag fand auf dem Berliner Breitscheidplatz statt. 13 Menschen starben, als am 19. Dezember 2016 der Attentäter Anis Amri einen Lastwagen in den dortigen Weihnachtsmarkt lenkte. Amri war den Behörden bekannt gewesen.
Die Afghanistan-Expertin Ellinor Zeino von der Konrad-Adenauer-Stiftung sagte ntv.de im März, es sei nicht vollständig zu kontrollieren, ob Gefährder nach Deutschland kommen. "Viele sind bereits in Deutschland und Europa, von denen wir nicht wissen, welche Intentionen sie haben. Das Potenzial ist da. Eigentlich ist es nur eine Frage der Zeit, wann es einigen gelingt, auch bei uns zuzuschlagen", sagte sie.
Afghanen und Syrer unterdurchschnittlich oft kriminell
Richtig ist aber auch, dass der allergrößte Teil der in Deutschland lebenden Afghanen nicht kriminell auffällt. Junge Männer aus Afghanistan und Syrien seien unterdurchschnittlich in der Kriminalitätsstatistik vertreten, wie BKA-Präsident Holger Münch bei der Vorstellung der polizeilichen Kriminalstatistik im April sagte. Überdurchschnittlich tauchten dort hingegen Männer aus Nordafrika auf. Dabei haben Statistiken wie PKS und PMK ihre Schwächen. Es gibt eine unbekannte Dunkelziffer an Taten und erfasst werden Verdachtsfälle, nicht Verurteilungen.
Nach dem Mord in Mannheim sprachen sich Bundeskanzler Olaf Scholz, aber auch der Vizekanzler der Grünen, Robert Habeck, für die Abschiebung von Straftätern auch nach Afghanistan aus. Jüngsten Berichten zufolge könnte Usbekistan dabei helfen. Das wäre erforderlich, da Deutschland mit dem Taliban-Regime in Kabul keine diplomatischen Beziehungen unterhält.
Dieser Artikel erschien in ähnlicher Form bereits am 3. Juni 2024.
Quelle: ntv.de, vpe