Übergang in die Endemie? Corona-Pandemie erreicht neue Dimension
03.01.2022, 20:36 Uhr
Drive-In-Tests in Australien: Auch dort verursacht Omikron Rekord-Neuinfektionen, aber vergleichsweise wenige Krankenhauseinweisungen.
(Foto: imago images/AAP)
Die Welt sieht derzeit einen ungekannten Anstieg der Corona-Neuinfektionen. Mit der Ausbreitung von Omikron steigen Fallkurven fast vertikal an. Doch die Zahl der Krankenhauseinweisungen hält sich vielerorts in Grenzen. Die Pandemie scheint eine neue Phase zu erreichen.
In den vergangenen zwei Jahren Corona-Pandemie schwappten zunächst drei große Infektionswellen um die Erde. Mehrere Hunderttausend neue Fälle täglich wurden an ihren Höhepunkten verzeichnet. Doch was derzeit geschieht, sprengt jedes Maß: Die Welt blickt auf einen vorher nie gesehenen Anstieg der Neuinfektionen. Mehr als eine Million neue Fälle sind es seit Ende Dezember - pro Tag. Am Sonntag wurde ein Rekordwert von fast 1,5 Millionen Neuinfektionen erreicht.
Nicht in allen Ländern der Erde ist die Entwicklung gleich: In manchen sind die Zahlen rückläufig, etwa in Teilen Osteuropas, einschließlich Russland. Auch in Deutschland ist noch nichts von dem steilen Anstieg zu sehen, der mit der Ausbreitung der Omikron-Variante früher oder später erwartet wird.
In Westeuropa und anderen Weltregionen hingegen zeigt die Kurve der Neuinfektionen steil nach oben. Zuletzt war sie so dramatisch, dass man von einer neuen Dimension der Coronavirus-Pandemie sprechen kann. "Die Welt wird vertikal", twitterte der US-Mediziner Eric Topol zu einem Bild der steil ansteigenden globalen Infektionskurve. "Die Omikron-Signatur", ergänzte er.
"Fast vertikaler Anstieg"
Auch der medizinische Berater der US-Regierung, Anthony Fauci, spricht von "fast einem vertikalen Anstieg" der Neuinfektionen in den USA, der "wirklich beispiellos" sei. "Wir befinden uns definitiv mitten in einem sehr ernsten Anstieg und Aufwärtstrend der Fälle", sagte er dem Fernsehsender ABC. Ende vergangener Woche waren zum Teil mehr als eine halbe Million Neuinfektionen verzeichnet worden - ein großer Teil der weltweit erfassten neuen Fälle geht also auf die USA zurück.
Aber auch andere Länder sehen ähnlich steile Kurven. In Europa etwa Großbritannien, Portugal, Frankreich und Dänemark. Darunter auch Länder, die eine sehr hohe Impfquote aufweisen. Aber offenbar hilft das wenig gegen Omikron. In Portugal etwa sind fast 90 Prozent der Bevölkerung vollständig geimpft, dennoch zeigt die Kurve der Neuinfektionen steil nach oben. Auch in Dänemark mit einer ebenfalls hohen Impfquote von fast 80 Prozent dominiert Omikron und treibt die Sieben-Tage-Inzidenz auf den europäischen Höchstwert von mehr als 2500.
Ähnliches war auch in Südafrika beobachtet worden, wo die Omikron-Variante Ende November erstmals nachgewiesen wurde. Doch kurz vor Silvester erklärte die südafrikanische Regierung, der Höhepunkt der durch Omikron ausgelösten Welle sei überschritten. Seitdem sinken am Kap die Neuinfektionen fast genauso schnell, wie sie gestiegen waren.
Weniger Schwerkranke und Tote
Aber nicht nur die extremen Anstiege und Rekord-Infektionen, sondern auch die vergleichsweise geringeren Krankenhauseinweisungen und Todesfälle kennzeichnen die neue Dimension der Pandemie. Zuerst beobachtet wurde dies ebenfalls in Südafrika. Auch US-Immunologe Fauci verwies darauf, dass die Hospitalisierungs- und Sterberate in den USA in den vergangenen Wochen deutlich niedriger gewesen sei als bei vorherigen Corona-Wellen. Zwar steigt dort die Zahl der Krankenhausaufenthalte ebenfalls, allerdings in einem geringeren Tempo als die der Neuinfektionen.
Auch Australien verzeichnete zuletzt Rekordwerte bei den Neuinfektionen, was auf die Verbreitung von Omikron zurückgeführt wird. Die Zahl der Krankenhauseinweisungen und Todesfälle erreichte bisher jedoch nicht das Ausmaß früherer Ausbrüche. Ein Umstand, der viele Städte trotz steigender Fallzahlen das neue Jahr mit opulenten Silvesterfeiern begehen ließ.
Mehrere Studien hatten bereits Hinweise geliefert, dass sich die Omikron-Variante zwar wesentlich schneller verbreitet als die Delta-Variante, aber auch etwas weniger schwere Fälle verursache. Allerdings ist bisher unklar, ob das nur für Geimpfte und Genesene gilt oder auch für Ungeimpfte.
Auf Twitter schrieb Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach, dass Omikron in Großbritannien zwar zu "sehr vielen" Krankenhauseinweisungen führe, Einweisungen auf die Intensivstation stiegen hingegen langsamer. Der Grund sei jedoch, dass die Älteren eine "hohe" Impfquote hätten und 75 Prozent geboostert seien. Mit Blick auf die noch unklare Entwicklung in Deutschland betonte Lauterbach gegenüber ntv: "Die Fallzahlen werden sehr stark steigen, und das wird dann auch viele Ungeimpfte treffen, und die sind nicht geschützt. Daher mache ich mir da große Sorgen."
Deutschland vor Eintritt in Endemie?
Angesichts der sich verändernden Pandemie sehen Experten bereits den Übergang zur Endemie erreicht, in der das Virus zwar noch zirkuliert, aber keine außergewöhnliche Belastung mehr für das Gesundheitssystem darstellt. Südafrika sei "sicherlich ein Blick in eine Zukunft, in eine endemische Situation, die sich dort jetzt gerade einstellt", sagte Charité-Virologe Christian Drosten im ZDF. Nur leider seien "wir in Deutschland davon noch ein ganzes Stück entfernt".
Zuversichtlich ist auch Michael Weber, Präsident des Verbands der Leitenden Krankenhausärzte Deutschlands. "Wenn sich die Omikron-Variante auch bei uns so stark durchsetzt wie in Südafrika, Großbritannien oder Dänemark und die Infektionen so überwiegend mild verlaufen wie dort, besteht eine realistische Wahrscheinlichkeit, dass die Pandemie auch hierzulande zu einer Endemie wird", sagte Weber der "Welt". Das bedeute, dass das Virus keine relevante Bedrohung mehr für das Gesundheitssystem darstelle.
Quelle: ntv.de