
Die Idee eines bedingungslosen Grundeinkommens gibt es schon lange - während der Corona-Krise gewinnt das Konzept deutlich an Zustimmung.
(Foto: imago images/Petra Schneider)
Die Idee des Grundeinkommens ist einfach: Jeder erhält eine gesetzlich festgelegte und für jeden gleiche finanzielle Zuwendung vom Staat, ohne dafür eine Gegenleistung erbringen zu müssen. In der Corona-Krise klingt das für viele offenbar schlüssiger als je zuvor.
"Das bedingungslose Grundeinkommen ist eine Schwester der Krise", sagt die Politikwissenschaftlerin Barbara Prainsack. Für die Leiterin des Instituts für Politikwissenschaften an der Universität Wien zeigt sich das in der Corona-Pandemie besonders deutlich. In der Befragung ihrer Universität, an der jeden Monat seit Beginn der Corona-Krise dieselben Menschen teilnehmen, ist die Zustimmung zur Idee eines Grundeinkommens zwischen April und Oktober um sieben Prozentpunkte gestiegen.
Diese Dynamik hält Prainsack auch für übertragbar auf Deutschland. "Ich vermute, dass es da keine prinzipiellen Unterschiede gibt", sagt sie ntv.de. In den Zahlen mag es Abweichungen geben, doch prinzipiell gewinne das Thema an Rückhalt. Das sieht auch der Ökonom und Philosoph Philip Kovce so. "Die Corona-Pandemie ist ein Akzeptanzbeschleuniger des bedingungslosen Grundeinkommens", sagt er ntv.de.
Noch mag das Thema nicht wahlentscheidend sein, wie Kovce vor gut einem Jahr prophezeite, doch die Parteien öffnen sich der Debatte zunehmend. Selbst die AFD hatte das Grundeinkommen in einem ideologisch angepassten "Staatsbürgergeld" ausschließlich für Deutsche prinzipiell auf der Agenda, auch wenn der Parteitag in Kalkar schließlich nicht über das Konzept abstimmte. Die Delegierten des Grünen-Parteitags sprachen sich auf ihrem Parteitag perspektivisch für ein bedingungsloses Grundeinkommen aus, und zwar gegen den erklärten Willen der Parteiführung. Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller schlug die Ausweitung des solidarischen Grundeinkommens, wie es in Berlin derzeit 1000 Arbeitslose in einem Pilotprojekt erhalten, auf ganz Deutschland vor. Der SPD-Politiker ist damit auch nicht gerade auf einer Linie mit der Spitze seiner Partei. Den Vorschlag macht er trotzdem. "Das ist ein absoluter Fortschritt, weil darüber diskutiert wird, wie der Sozialstaat zukunftssicherer werden kann", schätzt Prainsack ein.
In Deutschland läuft zudem seit August eine Studie, die das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung und das Max-Planck-Institut zur Erforschung von Gemeinschaftsgütern zusammen mit dem Verein "Mein Grundeinkommen" organisieren. Ziel ist es, über drei Jahre hinweg belastbare Erkenntnisse über die Wirkung eines bedingungslosen Grundeinkommens in Höhe von 1200 Euro monatlich zu erhalten. Um die 120 dafür vergebenden Grundeinkommen bewarben sich dem Verein zufolge weit mehr als 1,5 Millionen Menschen. Seit 2014 hat der Verein bereits mehr als 650 Grundeinkommen von je 1000 Euro im Monat für jeweils ein Jahr aus Spenden verlost.
Suche nach neuen Wegen
DIW-Präsident Marcel Fratzscher fand lange die Argumente gegen ein Grundeinkommen überzeugender. Inzwischen ist er anderer Ansicht. Die wirtschaftlichen Folgen der Corona-Pandemie und die zu geringe Effektivität der bestehenden Sozialsysteme in Deutschland seien starke Argumente, "nach neuen Wegen zu suchen, mit dem Ziel, Teilhabe und Chancengleichheit möglichst für alle zu gewährleisten", schrieb er in der "Zeit".
Auch für Prainsack ist besonders auffällig, wer inzwischen seine Meinung zum Grundeinkommen ändert. "Es sind nicht die Menschen in einer verzweifelten finanziellen Lage. Sondern es sind zum großen Teil Leute, die sagen, sie kommen finanziell gut zurecht. Sie sorgen sich aber um diejenigen, denen es schlechter geht." Die 45-Jährige forscht seit Jahren schwerpunktmäßig zu den Themen Solidarität und Gesundheitspolitik. Sie beobachtet, dass in diesem Jahr viele Menschen die Erfahrung gemacht hätten, "dass jede Person von Arbeits- oder Einkommenslosigkeit betroffen sein kann". Damit verliere beispielsweise die Idee, dass Arbeitslosigkeit eine Frage des fehlenden Arbeitswillens ist, an Kraft.
Arbeit ist nicht der einzige Gesellschaftsbeitrag
Lehrreich könnte auch gewesen sein, wer sich in der Corona-Pandemie als systemrelevant erwiesen hat. Plötzlich wurde klar, dass das Land ohne Supermarktkassiererinnen oder Pflegepersonen ganz schön alt aussieht. Wenn es aber um die finanzielle Anerkennung von Arbeit geht, stehen ausgerechnet diese Berufsgruppen eher am unteren Ende der Verdienstskala. "Es gibt ein Umdenken dahin, dass man bei der Bewertung von Arbeit mitdenkt, welchen Beitrag man für die Gesellschaft leistet", betont Prainsack.
Kovce sieht damit ein wesentliches Argument für das Grundeinkommen bestätigt. Denn damit sei nicht nur das Existenzminimum krisenfest gesichert, es werde auch Bullshit-Jobs und schlechten Arbeitsbedingungen der Kampf angesagt. "Nicht zuletzt die Corona-Pandemie hat gezeigt, dass das bedingungslose Grundeinkommen dem Hartz-IV-Regime allemal überlegen ist", so der Ökonom. "Es sorgt dafür, dass tatsächlich niemand durchs Raster fällt - ganz einfach, weil alle es erhalten." Zugleich erspare man sich "die ebenso ineffiziente wie entwürdigende Kontrollbürokratie".
Sogar die sehr schnell aufgesetzten Novemberhilfen sind Prainsack zufolge geeignet, für das Grundeinkommen zu werben. Normalerweise durchaus Gutverdienende hätten daran gemerkt, dass es gar nicht so leicht ist, treffsichere Krisenunterstützung zu bekommen, wenn sich der Status überraschend ändert. Dies sei aber in immer mehr Erwerbsbiografien die Regel. Die Menschen wechseln von Vollzeit in Kurzarbeit in Arbeitslosigkeit oder in Existenzgründung, darauf könne der Sozialstaat in seiner bisherigen Struktur kaum schnell und unbürokratisch reagieren.
Am Mittwoch hat der Verein "Mein Grundeinkommen" wieder zehn weitere Grundeinkommen verlost. Dabei war auch die Sängerin Judith Holofernes beteiligt, die beschrieb, dass sie das Thema Grundeinkommen zunächst für ein Nischenthema gehalten habe. Inzwischen stelle sie fest, dass die Auseinandersetzung mit Leistung und Erfolg viel in Menschen auslöst. "Das Erfreuliche an der Corona-Zeit ist, das plötzlich so sichtbar wird, wie wenig das aufgeht." Ihre Hoffnung sei, dass sich die einseitige Sicht auf Arbeit verändere.
Bei Überlegungen zur Gesellschaftsentwicklung kommt das Grundeinkommen, egal ob bedingungslos oder solidarisch, immer öfter zur Sprache. Trotzdem ist keineswegs jedes Argument nun entkräftet. So hört Prainsack beispielsweise das Argument, das bedingungslos gezahlte Geld werde die Menschen faul machen, noch genauso oft wie früher. Auch die Finanzierbarkeit ist weiterhin einer der am heftigsten diskutierten Punkte. Die Belastungen für die Wirtschaft und sinkende Steuereinnahmen dürften das noch verstärken. Wissenschaftlich ungeklärt bleibt bisher auch die Frage, wie sich ein Grundeinkommen auf Erwerbsarbeit auswirkt. Werden die Menschen weniger arbeiten oder gar nicht mehr? Bisher gibt es Prainsack zufolge keine Hinweise darauf, dass Erwerbsarbeit bei Grundeinkommensversuchen zurückgeht. "Aber es gibt auch keinen Versuch mit einem universellen Grundeinkommen für eine ganze Gesellschaft."
Quelle: ntv.de