Panorama

Gegen den Massentourismus "Das Eintrittsgeld für Venedig ist ein Klacks"

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Die Kunstwissenschaftlerin Susanne Kunz-Saponaro stammt aus Deutschland und ist seit  2007 Stadtführerin in Venedig.

Die Kunstwissenschaftlerin Susanne Kunz-Saponaro stammt aus Deutschland und ist seit 2007 Stadtführerin in Venedig.

(Foto: Thomas Schmoll)

Venedig will den Besucheransturm durch ein Tagesticket eindämmen. Ab April beginnt der erste Testlauf. Die Stadtführerin Susanne Kunz-Saponaro hält das Konzept in geplanter Form für ungenügend und plädiert für eine Gäste-Obergrenze pro Tag, um das Welterbe zu schützen.

ntv.de: Wenn man im Winter in Venedig ist, kann man zu dem Schluss kommen, dass die Stadt fest in italienischer Hand sei. Man hört fast nur Italienisch.

Susanne Kunz-Saponaro: Da kommen sie mal im Mai wieder vorbei, da dominiert Deutsch. Im Karneval hört man vorwiegend Französisch, weil die Franzosen keinen eigenen Karneval haben. Abgesehen vom letzten Wochenende des Karnevals. Da hören Sie alle möglichen Sprachen, keine dominiert. Dann platzt die Stadt aus allen Nähten, ich selbst flüchte Jahr für Jahr und komme erst nach dem Karneval wieder zurück.

Das heißt, zwei Jahre nach der Pandemie ist der Massentourismus zurück?

So wie eh und je. Politisch ist es gewollt. Die linksgerichtete Stadtregierung unter Bürgermeister Massimo Cacciari gab nach der Jahrtausendwende den Kurs vor: Je mehr Touristen kommen, desto besser ist es für Venedig. Seine Nachfolger setzten diese Politik fort. Luigi Brugnaro, der jetzige Bürgermeister, ist der Meinung, dass die Altstadt nur dazu da ist, ausgepresst zu werden. Eine Haltung, die ich überhaupt nicht teile, weil sie Venedig immer weiter in eine unschöne Richtung verändert.

Wie äußert sich das?

Der Rückgang der Einwohnerzahl geht weiter. Wir Venezianer zahlen für die Abfuhr des Mülls, den wir nicht verursachen. Der Alltag wird zunehmend schwieriger. Besorgen Sie hier einmal bestimmte Dinge für die Wohnung, etwa Material für Handwerksarbeiten. Das kostet Zeit und Nerven, da entsprechende Läden und Werkstätten schließen. Dafür öffnen ständig neue Souvenirgeschäfte. Mir ist unbegreiflich, warum die Stadtregierung keine Obergrenze für diese Läden einführt.

Aber nun kommt doch das Eintrittsgeld.

Generell eine richtige Maßnahme. Doch auch der Vorschlag kam nicht aus der Politik, sondern von uns Einwohnern der Altstadt. Als die UNESCO Maßnahmen gegen den Massentourismus forderte, damit Venedig den UN-Welterbestatus behalten darf, verkündete die Stadtregierung zwei Tage vor der entscheidenden Sitzung der UNESCO: Wir nehmen künftig Eintrittsgeld von fünf Euro. Das ist ein Klacks. Der Betrag müsste so hoch sein, dass er eine gewisse Hemmschwelle darstellt. Oder das Ticket wird kombiniert mit dem Kauf einer Eintrittskarte für ein frei wählbares Museum. Obendrein gehen mir die Ausnahmen zu weit.

Welche sind das?

Leute, die hier wohnen, arbeiten und geboren sind, müssen nicht bezahlen, was nachvollziehbar ist. Aber dass sämtliche Einwohner der Region Venetien (vergleichbar mit einem Bundesland - Anm. d. Red.) auch kein Ticket kaufen müssen, halte ich für falsch. Inzwischen kommen ja 50 Prozent der Besucher aus Venetien.

Dann täuscht der Eindruck also doch nicht, dass die Italiener Venedig entdecken.

Venedig ist für viele Menschen auf der Welt ein Traumziel.

Venedig ist für viele Menschen auf der Welt ein Traumziel.

(Foto: imago/CHROMORANGE)

Das ist erst seit Corona so. Während der Öffnungen in der Pandemie haben die Italiener Venedig für sich entdeckt. Jetzt ist es eine regelrechte Schwemme auch mit furchtbaren Erscheinungen wie Partys junger Leute etwa zum Uni-Abschluss oder Junggesellenabschiede an Wochenenden.

Die öffentliche Debatte drehte sich fast nur um die Kreuzfahrtschiffe. Es entstand der Eindruck: Dürfen die nicht mehr in die Lagune von Venedig, wird alles besser.

Kreuzfahrtschiffe kommen tatsächlich in deutlich geringerer Zahl und müssen in Mestre ankern, also einige Kilometer jenseits der Altstadt. Oder sie steuern andere Städte wie Triest an. Schiffspassagiere zahlen wie Übernachtungsgäste eine Umweltabgabe. Der Massentourismus wird dadurch nicht weniger. Von den durchschnittlich 80.000 Besuchern am Tag übernachten nur knapp 10.000 in Venedig. Jeder Bewohner der Altstadt zahlt für die Müllabfuhr von drei Tagesbesuchern. Da fände ich eine Müllgebühr für Touristen richtig.

Das heißt, das Eintrittsgeld wird das Problem des Massentourismus nicht lösen?

Nein, erst eine Obergrenze würde zu einem qualitativ hochwertigen Tourismus führen und die Kunstwerke der Stadt schonen. Es dürfen ja nun auch nur noch Gruppen von maximal 25 Leuten durch Venedig laufen. Kontrolliert wird sowieso nichts. Hier gibt es inzwischen sogar unautorisierte Stadtführer, die erklären, Marco Polo sei im Markusdom beerdigt. Alle Überlegungen, die Zahl der Touristen etwa auf 50.000 pro Tag zu begrenzen, wurden fallen gelassen. Ich begreife deshalb nicht, warum die UNESCO sofort applaudiert hat. Das ist reine Augenwischerei. Die Frage ist auch, ob die Einnahmen aus dem Eintritt zum Erhalt der Altstadt oder für den Bau von Bürgersteigen in Mestre verwendet werden.

Bekannt ist auch, dass viele Venezianer das Eintrittsgeld ablehnen.

Die Einwohner sind geteilter Meinung. Die einen sind für die Einführung der Taxe, die anderen dagegen. Letztere befürchten, dass Venedig zu einem Disneyland mutiert oder potenzielle Gäste das Eintrittsgeld nicht bezahlen können oder wollen und dann ausbleiben. Allerdings bekommen die Schattenseiten des Massentourismus nur die zu spüren, die in der Altstadt wohnen, nicht aber die, die auf dem Festland leben.

Wie so oft geht es also am Ende nur ums Geld.

Das ist ja auch verständlich, denn die Stadt lebt nun mal vom Tourismus. Die Frage ist nur: Wie verdient man es? Das Beispiel Amsterdam zeigt, wie man den Massentourismus im Interesse der Einwohner einer Stadt zurückdrängt, ohne Besucher auszuschließen. Sie müssen nur mehr zahlen, um in Amsterdam zu sein. Solche innovativen Konzepte braucht es auch für Venedig.

Aber verlassen wollen Sie Venedig trotzdem nicht, stimmt's?

Nein, auf keinen Fall, ich liebe diese Stadt wie eh und je.

Mit Susanne Kunz-Saponaro sprach Thomas Schmoll.

Quelle: ntv.de

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