Kontrolle abgeben und gewinnen Das Geheimnis der "Let them"-Theorie


Einfach mal Kontrolle abgeben - gerade im Haushalt ist das nicht immer einfach, lohnt sich aber.
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Werden Erwartungen nicht erfüllt, führt das im Job, in der Partnerschaft oder in Freundschaften schnell zu Konflikten. Die "Let them"-Theorie soll helfen, Kontrolle abzugeben und gelassener zu reagieren. Doch wie wirksam ist dieser Ansatz wirklich?
"Lass sie." Diese zwei einfachen Wörter sollen helfen, Kontrolle im Alltag abzugeben und gleichzeitig wieder zu mehr Macht zu gelangen - und zwar über sich selbst. Das verspricht die US-amerikanische Bestseller-Autorin Mel Robbins in ihrem Buch "Die Let them Theorie", das nach seinem Erfolg in den USA nun ins Deutsche übersetzt wurde. Die Theorie, die Robbins selbst entwickelt hat, soll helfen, die eigene Macht zurückzuerobern und die eigene Zeit, die eigene Energie und das eigene Glück nicht länger zu vergeuden, indem man versucht, Dinge zu kontrollieren, die man nicht kontrollieren kann. Gemeint sind beispielsweise Meinungen, Stimmungen oder Reaktionen anderer. Stattdessen soll man sich lieber auf das konzentrieren, was man wirklich kontrollieren kann: sich selbst.
"Wenn du aufhörst, dir darüber Gedanken zu machen, was andere denken, sagen oder tun, hast du endlich Energie, dich auf dein eigenes Leben zu konzentrieren", schreibt Robbins. Lässt man andere einfach gewähren, merkt man, dass das eigene Glück nicht von der Meinung, dem Verhalten oder der Stimmung anderer abhängt, sondern von der eigenen Handlung. Alles, was man dazu braucht, sind die zwei Wörter "lass sie", so Robbins.
Konkret bedeutet das: Ist die Kollegin schlecht gelaunt, soll man sich von dieser Laune nicht herunterziehen lassen, sondern einfach sagen "lass sie". Genauso wenn der eigene Vater wieder mal nicht mit den Entscheidungen, die man in seinem Leben trifft, einverstanden ist. Robbins rät: "Lass ihn" seine Meinung haben, man selbst darf trotzdem glücklich mit den eigenen Entscheidungen sein. Und auch wenn der Partner oder das eigene Kind etwas ganz anders angeht als man es selbst machen würde - "lass ihn oder sie".
Die Grenzen der "Let them"-Theorie
Auf den ersten Blick wirkt das Konzept wahnsinnig entspannend - endlich mehr Gelassenheit, indem man andere einfach machen lässt. Aber kann das wirklich in jeder Lebenslage funktionieren? Paar- und Familienberaterin Ruth Marquardt findet die Theorie gut, doch sie hat auch Grenzen, wie sie im RTL/ntv-Interview erklärt. "Hilfreich kann die 'Let them'-Theorie sein bei alltäglichen Kleinigkeiten, an denen wir uns so oft aufreiben", erklärt die Expertin. Ist die Zahnpastatube aufgewickelt oder mittig ausgequetscht? Ist die Spülmaschine "richtig" eingeräumt? "Machen Sie sich bewusst: Ist dies ein großer Aufreger? Gibt es wirklich richtig oder falsch oder mache ich meiner Partnerin oder meinem Partner, statt Kritik zu üben, lieber ein Kompliment?" Laut Marquardt eignen sich vor allem der Haushalt und das Zusammenleben gut für die Theorie. "Besonders wenn beide in einer Partnerschaft so denken und handeln. Denn dann steht das Wohl der gemeinsamen Beziehung im Vordergrund."
Allerdings gibt es auch Bereiche, in denen es kontraproduktiv ist, andere immer "zu lassen". "Let them bedeutet nicht, dass wir ständig massive Grenzverletzungen zulassen sollten", betont Marquardt. Komme ein Kollege immer zu spät und habe dies Auswirkungen auf das Team, sollte das besprochen und verändert werden. Das gelte auch für die eigene Beziehung oder bei der Erziehung des eigenen Kindes: "Beschimpft mich mein Partner regelmäßig, ist es wichtig, aus Selbstschutz eine Grenze zu ziehen in dem Bewusstsein, dass es mir selbst sonst schadet." Verhalte sich mein Kind anderen Kindern gegenüber respektlos, sei es wichtig, ihm klarzumachen, welche Werte in unserer Gesellschaft oder der Familie gelten. Und an diese Werte halten sich dann alle.
Gerade in zwischenmenschlichen Beziehungen sei Streit essenziell, solange er konstruktiv bleibt: "Konstruktiver Streit ist die Verteidigung eigener wichtiger Grenzen und daher wichtig." Ebenfalls nicht gedacht sei die Theorie für Fälle, in denen Menschen diskriminiert, bedroht oder beleidigt werden.
Weniger Konflikte, mehr Akzeptanz
Werde das beachtet, hätte Robbins' Theorie aber viele Vorteile für die Beziehung zu anderen, aber auch für einen selbst. "In der Beziehung zu anderen hat diese Technik den Vorteil, dass wir nicht in den Widerstand zu etwas gehen, also Konflikte vermeiden können. Konflikte entstehen innerlich und äußerlich immer dann, wenn wir nicht einverstanden sind. Wenn wir etwas anders haben wollen, als es ist. Let them sagt: Es ist ok. Akzeptiere, was ist", erklärt Marquardt. Auf diese Weise vermeiden wir Konflikte mit anderen. Und: "Wir üben uns darin, wohlwollend auf andere Menschen zu schauen, die Andersartigkeit zu sehen - und sie zu akzeptieren. Damit schenken wir anderen etwas, das wir uns selbst ja auch wünschen: So angenommen und akzeptiert zu werden, wie wir sind."
Unsere Beziehungen können so verbessert werden. Und nicht nur das: "Je mehr Gedanken von Akzeptanz und Wohlwollen ich denke, desto besser für mich selbst. Damit wir in einem guten seelischen Gleichgewicht bleiben können, sollten wir für jeden negativen Gedanken zehn positive denken", rät Marquardt. Nur so sei es ausgeglichen. Akzeptieren wir die Dinge, wie sie sind, machen wir uns bewusst, dass das einzige, was wir wirklich beeinflussen können, unsere Reaktionen auf eben diese Dinge beziehungsweise auf die Handlungen anderer Menschen ist. Diese können wir kontrollieren, alles andere nicht.
"Let them" will geübt sein
Genau darum ist es laut Buchautorin Mel Robbins auch so entscheidend, dass nach dem "Lass sie"-Teil auch noch ein "Lass mich" folgt. "Wenn man 'lass mich' sagt, setzt man seine eigene Macht frei, indem man sich auf seine Reaktion konzentriert", schreibt sie in ihrem Buch. Damit übernimmt man Verantwortung dafür, was man als Nächstes tut, denkt oder sagt. Sich nur auf einen der beiden Teile der Theorie zu konzentrieren, funktioniert nicht. Die "Let them"-Theorie besteht aus "lass sie" und "lass mich", so Robbins. "Je mehr du den anderen erlaubst, ihr Leben zu leben, desto besser wird dein eigenes Leben. Je mehr Kontrolle du aufgibst, desto mehr gewinnst du."
Genau an diesem Punkt sieht Paar- und Familienberaterin Ruth Marquardt eine weitere Schwierigkeit: "Es liest sich so leicht, die Kontrolle loszulassen. Dabei sollten wir nicht aus dem Blick verlieren, dass der Wunsch nach Kontrolle eines unserer menschlichen Grundbedürfnisse darstellt. Kontrolle bedeutet für uns, wir können uns sicher fühlen. Der Gegenspieler dieses Wunsches ist ein Gefühl von Ohnmacht oder Unsicherheit."
Wer die "Let them"-Theorie also anwenden möchte, müsse üben, viel üben. "Die 'Let them'-Theorie ist aus meiner nichts für Anfänger oder Menschen, die glauben, dass das ganz einfach geht. Das ist nichts, das man sich einfach vornimmt. Die Theorie ist Teil einer Haltung, die trainiert werden will", sagt die Expertin. Denn sonst könne es passieren, dass man nur seinen Frust herunterschlucke, aber klammheimlich eine Strichliste führe und irgendwann explodiere. Dennoch sei es einen Versuch wert, denn auch laut Marquardt ist "die Haltung großartig - sie braucht jedoch Übung und Zeit".
Quelle: ntv.de