Overthinking in der Liebe Wie Grübeln zum Beziehungskiller wird
26.04.2025, 10:59 Uhr
Artikel anhören
Statt zu grübeln, sollten Paare besser miteinander kommunizieren.
(Foto: Getty Images)
Viele Menschen quälen sich mit zu vielen Gedanken über ihre Beziehung - mit zerstörerischen Folgen: Overthinking nennt Coach Phil Bolanz dieses Phänomen, das sich bei Männern und Frauen unterschiedlich darstellen kann.
Ob Single oder in einer Beziehung - die meisten Menschen dürften das kennen: Antwortet der Partner oder die Partnerin länger nicht auf Nachrichten oder ruft er oder sie nicht zurück, melden sich die eigenen Gedanken. Bin ich nicht gut genug? Besteht doch kein Interesse? Oder wird am Ende etwas verheimlicht?
Was dahintersteckt, ist überwiegend eigene Unsicherheit. Menschen wollen sich absichern und verfolgen darum sogenannte "Bestätigungslügen", wie Coach und Buchautor Phil Bolanz sie in seinem Buch "Overthinking Love - Wenn zu viel Grübeln deine Beziehung belastet" nennt.
Was das genau ist? Vor allem Frauen neigen dem Experten zufolge dazu, ihre Gefühle zu "zerdenken". Die eigene Unsicherheit will das Gehirn dann bestätigt wissen und so konstruieren sie sich nicht selten Annahmen wie: "Er gibt mir nicht mehr so viel Aufmerksamkeit, also liebt er mich nicht mehr."
Frauen grübeln, Männer machen dicht
Wer jetzt denkt, Männer interessiert so etwas gar nicht, liegt allerdings falsch: Auch Männer beschäftigen diese oder ähnliche Themen, erklärt Bolanz. "Je nachdem, wie sie gestrickt sind. Nur kommt es bei Frauen häufiger vor, weil sie meist mehr über Menschen und Emotionen nachdenken."
Während Frauen dann anfangen zu grübeln und an sich und der Beziehung arbeiten möchten, machen Männer eher dicht und werden emotionskalt, so der Experte. "Das ist das andere Extrem. Männer drücken alles weg. Sie benutzen Logik und Analytik, um sich selbst wieder ein Gefühl von Sicherheit zu geben." Das zeigt sich auch beim Willen, die eigene Herangehensweise zu reflektieren. "Bei Männern ist da eher dieser Widerstand", erläutert Bolanz. "Alles ist cool. Ich mache ja alles. Wenn ich an mir arbeiten würde, dann würde ich ja nicht schon alles richtig machen. Das geht nicht." Oder noch extremer: "Wenn du Fehler hast oder Fehler machst, bist du kein richtiger Mann mehr. Wenn du Fehler oder Emotionen zulässt und zugibst, dass du Gefühle hast, dann bist du kein richtiger Mann mehr."
Diese Kombination macht es heterosexuellen Paaren oft schwer: Hat der Mann Angst davor, über seine Gefühle zu sprechen und zieht sich zurück, grübelt die Frau noch mehr. "Das höre ich auch sehr häufig", so der Coach.
Die Folge: Frauen "overthinken", malen sich "Worst-Case-Szenarien" aus, haben Verlustängste und Zweifel: "Er will mich nicht. Er liebt mich nicht, weil von ihm nichts kommt" heißt das dann bei Frauen, und bei Männern ist das oft ein "Wieso soll ich dich denn nicht lieben? Ich bin doch da". Als Schlüssel sieht Bolanz hier die richtige Kommunikation, beispielsweise indem man sich als Paar jeden Tag gemeinsam zehn Minuten hinsetzt und trainiert, über seine Emotionen zu sprechen. Denn im Grunde wollen sich sowohl Männer als auch Frauen mit ihren jeweiligen Strategien nur schützen, sich Sicherheit geben. Doch woher kommt diese Unsicherheit?
Seit der Kindheit emotional abhängig
Die meisten Menschen haben in der Kindheit gelernt, dass sie es den eigenen Eltern recht machen müssen. War man als Kind brav, ruhig, nicht aufbrausend oder wütend, hat wenig geweint, war gut in der Schule und hat alles "richtig" gemacht, waren Mama und Papa happy - und das Kind in der emotionalen Abhängigkeit.
Laut Bolanz führen viele die in der Kindheit gelernten Strukturen in ihren Erwachsenenbeziehungen weiter. War der emotionale Zustand als Kind noch von der Laune der Eltern abhängig, wird er im Erwachsenenalter von Freunden oder dem Partner beeinflusst. Statt Emotionen wie beispielsweise den eigenen Schmerz zu fühlen, "versuchen Menschen, über ihre Gefühle nachzudenken", erklärt der Beziehungscoach, der selbst jahrelang Overthinker war. Die Gefühle einfach zu spüren und darüber selbst die Kontrolle zu haben, ist hingegen schwierig.
Mögliche Folgen: Statt Angst, Wut oder Schmerz wirklich zu fühlen, werden die Gedanken im eigenen Kopf immer lauter. Viele malen sich dann die schlimmsten Szenarien aus, damit es nicht so wehtut, wenn diese dann tatsächlich eintreten. In Beziehungen führt das nicht selten zu Eifersucht, Verlustangst und schließlich zum Ende der Partnerschaft. Im Extremfall können diese Grübeleien aber auch Depressionen fördern und sogar zum Suizid führen, warnt Bolanz.
Gedanken stoppen, Gefühle freilassen
Um das Gedankenkarussell der Zweifel, Ängste und Sorgen im Kopf zu beenden, möchte der Beziehungscoach Menschen Methoden an die Hand geben, die das Overthinking stoppen, die helfen, die Vergangenheit emotional loszulassen und das eigene Selbstwertgefühl aufzubauen. Wie das funktioniert, erläutert er in seinem Buch anhand von 33 Techniken.
Eine davon ist, die mitunter meckernde Stimme im eigenen Kopf mit einer liebevollen, wohlgesonnenen oder einer lustigen Stimme zu besetzen. So bleibe der Inhalt des Gedankens zwar, doch die Emotion dazu verändere sich sofort. Auch die richtige Bauchatmung ist laut Bolanz entscheidend. Ihm selbst haben unter anderem diese Techniken geholfen, sein eigenes Grübeln zu stoppen. Heute führt er eine gesunde Beziehung und ist gerade Vater eines Sohnes geworden. Bei der Erziehung seines Kindes möchte er eine offene und liebevolle Kommunikation vorleben, ohne "Zuckerbrot und Peitsche". Emotionen jeglicher Art sollen dabei genügend Raum bekommen - damit sein Kind nicht zum Overthinker wird.
Quelle: ntv.de
