Panorama

Von Schlägen, Lügen und Versagen Der Fall Yagmur

Ein Herz am Grab von Yagmur.

Ein Herz am Grab von Yagmur.

(Foto: dpa)

Im Prozess um den gewaltsamen Tod der dreijährigen Yagmur wird heute das Urteil gegen die angeklagten Eltern erwartet. Die Mutter des zu Tode misshandelten Kindes soll nach dem Willen der Staatsanwaltschaft wegen Mordes lebenslang ins Gefängnis. Doch in diesem Fall ist kaum jemand ohne Schuld.

Yagmur wurde nur drei Jahre, zwei Monate und 9 Tage alt. Das kleine Mädchen aus Hamburg-Billstedt starb im Dezember vergangenen Jahres in der Wohnung ihrer Eltern. Zu Tode gequält - wohl von der eigenen Mutter. Der 27-jährigen Melek Y. wird wegen Mordes der Prozess gemacht. "Aus Hass auf ihre Tochter", lautet die Anklage der Staatsanwaltschaft. Der Vater, Hüseyin Y., soll bei den Misshandlungen tatenlos zugesehen haben.

Der Fall des Mädchens löste bundesweit großes Entsetzen aus. Nicht nur wegen des grausamen Todes, sondern auch, weil er das unfassbare Versagen der Behörden offenlegt. Nun wird das Hamburger Schwurgericht gegen die Eltern das Urteil fallen. Etwas mehr als fünf Monate lang standen sie vor Gericht.

Im Prozess kamen grausame Details des Martyriums zutage, das Yagmur durchlitten haben muss. Besonders erschütternd sind die Bilder von Yagmurs Leiche, die im Gerichtssaal gezeigt wurden. Ganz gleich, ob an Kopf, Hals, Brust, Rücken, Armen oder Beinen, die Fotos gleichen sich. Narben, Kratzer, Hämatome in allen Farben: frische rötlich-violette, ältere, braun und gelb.

Eine E-Mail mit Folgen

Dabei hätte Yagmurs früher Tod verhindert werden können. Die Pflegemutter, bei der das Mädchen seit seinen ersten Lebensmonaten immer wieder untergebracht war, hatte dem zuständigen Jugendamt mehrere Verletzungen gemeldet. Im Januar 2013 wird Yagmur mit einem Schädel-Hirn-Trauma und einem Riss der Bauchspeicheldrüse ins Krankenhaus eingeliefert. Die Ärzte müssen notoperieren. Laut Aussage der Eltern soll sie in der Badewanne ausgerutscht sein. Im Krankenhaus besteht allerdings schnell der Verdacht der Kindesmisshandlung. Ein Arzt erstattet Anzeige. Doch dann läuft alles schief.

Eine Richterin muss darüber befinden, ob Yagmur je wieder zu ihren Eltern zurück darf. Für die Misshandlungen kommen drei Menschen infrage: der Vater, die Mutter oder die Pflegemutter. Doch anstatt nachzufragen, wann die Verletzungen entstanden sind und wer in dieser Zeit für Yagmur zuständig war, passiert gar nichts. Weder die Richterin noch das Jugendamt oder die Staatsanwaltschaft versuchen Antworten zu finden oder wenigstens miteinander zu reden. Yagmur kommt vorübergehend in ein Kinderhaus.

Anfang Mai schreibt Yagmurs Pflegemutter eine E-Mail ans Jugendamt, in der sie schildert, dass sie Yagmur ein Mal im Autositz geschüttelt habe. Im Jugendamt glaubt man nun, dass die Pflegemutter schuld sei an den Verletzungen. Die Mitarbeiter des Jugendamts werten das als Entlastung für Melek und Hüseyin Y. Eine klare Fehleinschätzung.

Katastrophale Informationspannen

Tatsächlich hat die Richterin die E-Mail der Pflegemutter nie gelesen, hat sie vom Jugendamt nie bekommen, hat nie mehr danach gefragt. Sie prüft auch nicht, ob die Schilderungen der Pflegemutter zu den schrecklichen Verletzungen des Kindes passen. Stattdessen erlaubt sie den Eltern wieder den Umgang mit Yagmur.

Zwei Monate vor Yagmurs Tod kommen die Rechtsmediziner zu dem Fazit, dass das Schütteln am Autositz die schweren Verletzungen nicht herbeigeführt haben kann. Die Pflegemutter fällt demnach als Täterin wieder aus. So steht es in dem Bericht, der erst an die Staatsanwaltschaft und Wochen später ans Jugendamt geht. Die Eltern sind als Täter wieder verdächtig, doch keiner reagiert. Yagmur bleibt bei den Eltern. Die Staatsanwaltschaft stellt ihre Ermittlungen ein, die neue unerfahrene Mitarbeiterin im Jugendamt liest die Akte nicht und bis zur Richterin dringen die neuen Erkenntnisse nicht einmal vor. 

Yagmur stirbt am 18. Dezember. Ihr kleiner Körper ist übersät mit Hämatomen, Narben und Kratzern. Die Mediziner zählen 83 äußere Verletzungen, zudem waren ihr Gehirn und nahezu alle ihre Organe verletzt. Zum Schluss sei die Dreijährige "einfach zusammengebrochen".

Quelle: ntv.de

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