Vernichtung ist verboten Der Kampf um Italiens gefrorene Embryonen


2022 haben sich in Italien etwa 87.000 Paare für eine künstliche Befruchtung entschieden.
(Foto: picture alliance/dpa)
In Italiens Fortpflanzungszentren wächst die Zahl tiefgefrorener Embryonen aus künstlichen Befruchtungen. Doch viele werden nie verwendet. Politische Widerstände und der Einfluss der Kirche blockieren mögliche Wege für deren Weitergabe.
Professor Edgardo Somigliana leitet das Befruchtungszentrum der Mailänder Klinik Mangiagalli, eine der führenden Einrichtungen Italiens für Neonatologie. Dort kommen jährlich rund 6000 Kinder zur Welt. Es könnten sogar noch mehr sein. "Allein in diesem Labor haben wir rund 4500 eingefrorene Embryonen", sagt Somigliana ntv.de.
Betrachtet man ganz Italien, lagern etwa 55.000 befruchtete Eizellen in flüssigem Stickstoff –manche Institute sprechen sogar von 200.000. "Im gefrorenen Zustand können sie Jahrzehnte überleben – vielleicht noch länger." Viele davon werden nie gebraucht, da das Gesetz weder eine Vernichtung noch eine Nutzung für die Forschung erlaubt.
Problem besteht seit 2009
Was also tun mit diesen Embryonen? Die italienische Politik sucht nach einer Antwort. Eine Möglichkeit wäre, sie an unfruchtbare Paare zu schenken. Doch in Italien spricht man lieber von "Adoption" – und die wäre nur für heterosexuelle Paare möglich.
Mehrere Versuche, das Thema gesetzlich zu regeln, sind bereits gescheitert. Während die einen vehement dafür sind, kämpfen andere genauso energisch dagegen. Bislang hatten die Gegner das letzte Wort – wohl auch, weil der Vatikan eine zentrale Rolle spielt.
Das Problem der überschüssigen Embryonen besteht seit 2009. Bis dahin mussten alle drei befruchteten Eizellen einer künstlichen Befruchtung in die Gebärmutter eingesetzt werden. Nach einer Gesetzesänderung durfte es auch nur eine sein. Wenn die erste Befruchtung erfolgreich war, entschieden sich viele Paare gegen eine erneute Schwangerschaft – und hinterließen weitere tiefgekühlte Embryonen.
Embryo oder befruchtete Eizelle?
Dass so große ethische Bedenken bestehen, liegt laut Professor Somigliana an dem Begriff "Embryo", der heute häufiger genutzt wird als "befruchtete Eizelle". "Früher haben wir befruchtete Eizellen, die nicht mehr benötigt wurden, einfach entsorgt", sagt er. Heute bekäme er bei dem Gedanken Gänsehaut.
Der katholischen Kirche zufolge beginnt das Leben mit der Befruchtung. Und sie hebt diese Position mit Nachdruck hervor. "Das löst bei vielen Menschen ethische Skrupel aus, auch bei denen, die gar nicht gläubig sind", sagt Somigliana.
Die Klinik Mangiagalli führte eine Studie durch, um herauszufinden, was das Zurücklassen von Embryonen bei den Eltern bewirkt. Das Ergebnis: Viele Paare, die durch künstliche Befruchtung ein Kind bekommen hatten und eigentlich keine weiteren wollten, entschieden sich für eine erneute Schwangerschaft – weil ihnen der Gedanke an ihre eingefrorenen Embryonen keine Ruhe ließ.
In den USA wird das Thema besonders heftig debattiert, sagt Alessandra Minello, Demografin und Forscherin an der Universität Padua. "Vor allem erzkonservative Gruppen kämpfen dagegen an. Für sie kommt die Entscheidung, überzählige Embryonen nicht zu nutzen, einer Abtreibung gleich."
Minello befürwortet die Regelung, die Spanien für diesen Fall hat. Dort müssen Paare bereits zu Beginn festlegen, was mit nicht verwendeten Embryonen geschehen soll: ob sie selbst sie später nutzen oder zur Spende freigeben – an hetero- und homosexuelle Paare sowie an Singles.
Die Zahl der künstlichen Befruchtungen steigt
Bis sich auch in Italien etwas ändert, wächst die Zahl der Embryonen weiter. 2022 hatten sich laut Gesundheitsministerium etwa 87.000 Paare für eine künstliche Befruchtung entschieden. Von 392.000 Neugeborenen kamen knapp 16.700 durch künstliche Befruchtung zur Welt. Insgesamt waren es in den Jahren 2012 bis 2022 rund 100.000 Babys.
Ein Grund dafür: Im europäischen Vergleich liegt Italien bei der Zahl der Frauen, die ihr erstes Kind mit 33 Jahren bekommen, auf Platz eins. Bei Frauen über 40 wird jedes fünfte Kind durch künstliche Befruchtung gezeugt.
Alarmierender Geburtenrückgang
Sollte die Schenkung von Embryonen eines Tages gesetzlich erlaubt sein, wäre das zwar für unfruchtbare Paare eine Erleichterung. Doch Italien hat ein weiteres Problem: In dem Land herrscht Kinderarmut. Laut der Statistikbehörde Istat wurden 2023 in Italien 379.890 Kinder geboren – 12.110 weniger als im Vorjahr. Das entspricht sechs Geburten pro 1000 Einwohner.
Und auch die Prognosen sind düster: Die Einwohnerzahl Italiens wird demnach von 59 Millionen im Jahr 2023 auf 54,8 Millionen im Jahr 2050 und auf 46,1 Millionen im Jahr 2080 sinken. Das Durchschnittsalter würde bis 2050 auf 50,8 Jahre steigen.
Quelle: ntv.de