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Graubereich bei Drogentoten "Der Tod ist Begleiter unserer Arbeit"

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Langjähriger Drogenkonsum hinterlässt schwere körperliche Schäden.

Langjähriger Drogenkonsum hinterlässt schwere körperliche Schäden.

(Foto: imago/Future Image)

Der 21. Juli ist der Nationale Gedenktag für verstorbene Drogenabhängige. Deren Zahl steigt tendenziell seit einigen Jahren wieder an. Der Psychiater und Suchtmediziner Meinolf Leuchtmann verliert immer wieder Menschen, die er betreut und hat gelernt, seine Behandlungserfolge "dosiert" zu definieren.

ntv.de: Die Zahl der Menschen, die infolge von Drogenkonsum sterben, steigt seit ein paar Jahren wieder. Sehen Sie das in der täglichen Praxis auch?

Meinolf Leuchtmann: Wir können das so nicht nachvollziehen. Bei uns hat sich die Lage nicht verändert. Wir sind ja eine Substitutionspraxis und behandeln Patienten bei Opiatabhängigkeit. Und wir sehen eher, dass die Leute deutlich älter werden. Als ich angefangen habe, vor einem Vierteljahrhundert, gab es kaum Drogenabhängige, die über 40 waren. Und jetzt gibt es ganz viele, die auf die 60 zugehen oder noch älter sind. Das Bild ist differenziert. Einerseits steigt die Anzahl der Drogentoten, andererseits steigt eben auch die Anzahl der Drogenabhängigen, die ein höheres Alter erreichen.

Welche Ursachen sehen Sie für die steigenden Zahlen von Drogentoten?

Zuallererst eine höhere Verfügbarkeit von Drogen allgemein, Verfügbarkeit führt zum Konsum bei Abhängigen. Es gibt auch zu wenig Krankenhausbetten für die Entgiftung. Da gibt es lange Wartezeiten, das überbrücken viele nicht. Weitere Gründe sind sicher auch mangelnde Angebote an Wohnraum und eine schlechte gesundheitliche Versorgung. Viele schaffen es nicht, in das Krankenversicherungssystem zu kommen und Arzttermine einzuhalten.

Was sind schließlich die Todesursachen? Sind es die Langzeitfolgen von Drogenkonsum, Überdosierungen oder stehen dahinter suizidale Handlungen?

Mehr Patienten erleben sicher die Spätfolgen der Suchterkrankung, also zum Beispiel die fürchterlichen Lungenschäden bei COPD, der chronisch obstruktiven Lungenerkrankung. Die haben im Alter von sechs oder acht Jahren angefangen, zu rauchen. Dann kam im Alter von elf Jahren Cannabis dazu. Wir erleben hier massiv, dass die Leute keine 30, 40 Meter mehr laufen können, ohne in massive Atemnot zu geraten. Also die Lunge ist ein großes Problem, aber auch die Leber. Die Leute entwickeln Leberzirrhosen aufgrund von Hepatitis C oftmals in Kombination mit überhöhtem Alkoholkonsum. Ansonsten sind Überdosierung oder Misch-Intoxikation immer noch häufig.

Leuchtmann ist Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie und Leiter des Suchthilfezentrums Köln-Mitte der Drogenhilfe Köln GmbH.

Leuchtmann ist Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie und Leiter des Suchthilfezentrums Köln-Mitte der Drogenhilfe Köln GmbH.

(Foto: privat)

Ist das Absicht oder ein Versehen?

Es gibt natürlich viele Drogenabhängige, die psychisch krank sind und bei psychischen Erkrankungen gibt es eine erhöhte Suizidalität. Schizophrene Menschen, Leute mit Angststörungen, schwer Depressive haben eine erhöhte Suizidrate und Drogenabhängige sind oftmals persönlichkeitsgestört, depressiv oder schizophren. Deshalb gibt es unter ihnen eine höhere Suizidrate als in der Normalbevölkerung. Aber es ist auch so, wenn sie den Stoff auf der Straße kaufen, wissen sie nicht, was drin ist. Und bei der Mischung aus Alkohol, Tabletten und Kokain plus Heroin kann man sich auch mal schnell vergreifen. Bei einer Selbsttötungsabsicht würde man auch Abschiedsbriefe finden. Dann ist die Sache klar. Das ist mir aber nicht bekannt. Von daher gehe ich davon aus, dass der weitaus größere Teil versehentlich ist.

Warum sterben mehr Männer infolge von Drogenkonsum als Frauen?

Ich kann für unsere Ambulanz sagen, wir haben einfach mehr Männer in der Behandlung. Der Frauenanteil ist deutlich geringer bei der Nutzung illegaler Drogen, auch auf den Entgiftungsstationen haben sie immer deutlich mehr Männer als Frauen. Und wenn Sie wirklich eine höhere Basis an Männern haben, haben Sie natürlich auch eine deutlich höhere Basis an männlichen Toten.

Ich habe einige Nachrufe auf Menschen gelesen, die Drogen konsumiert haben. Da werden oft sehr lebendige, spannende Persönlichkeiten beschrieben. Gleichzeitig gibt es ein sehr abwertendes gesellschaftliches Denken über suchtkranke Menschen, wie verträgt sich das?

Genie und Wahnsinn liegen schon immer nah beieinander. Und Genie und Drogenkonsum liegen auch ganz nah beieinander. Ernest Hemingway hat getrunken, Leonard Bernstein hatte ein schweres Alkoholproblem. Ein ganz großer Teil der Musik, der gesamte Techno-Bereich, wäre ohne Drogen gar nicht vorstellbar. Salvador Dalí hat konsumiert, der wäre sonst gar nicht in der Lage gewesen, diese Bilder zu malen. Viele haben eben auch psychische Erkrankungen und haben das mit Drogen kompensiert. Das ist diese kreative, lebensbejahende, konsumierende Seite. Das andere ist quasi so eine Hartz-IV-Aristokratie, also Drogenkonsumenten in der dritten, vierten Generation, mit Alkoholismus schon während der Schwangerschaft, völlig gebrochene Lebensläufe, oftmals auch schreckliche Missbrauchserfahrungen. Da gibt es prekäre Situationen vom Kleinkindalter an, mit schwersten gesundheitlichen Beeinträchtigungen und mangelnder Belastbarkeit bis hin zur wirklich erfolgreichen Kunstszene mit kontrolliertem Drogenkonsum. Das ganze Spektrum ist da. Aber nur die Erfolgreichen schaffen ja auch, ein soziales Netzwerk aufrecht zu halten, und da gibt es dann überhaupt einen Nachruf. Unsere Patienten sind meist komplett isoliert, weil sie krankheitsbedingt gar nicht in der Lage sind, stabile soziale Bindungen über einen längeren Zeitraum aufrecht zu halten. Da gibt es keinen Nachruf. Die fallen eher durch Betteln, Verwahrlosung und Beschaffungskriminalität auf.

Sie arbeiten seit 25 Jahren mit suchtkranken Menschen. Wie ist es für Sie, Patienten zu verlieren, die Sie relativ lange begleitet haben?

Grundsätzlich haben sie es als Arzt nur mit Krankheit, Elend, Leid und Tod zu tun. Die Gesunden kommen ja nicht. Und ärztliche Aufgabe ist eben nicht nur Heilen, sondern auch, wenn es gar nicht anders geht, Lindern und im schlimmsten Fall bleibt nur das Begleiten. Ein Patient von uns ist verstorben, nachdem wir ihn drei Tage zuvor aus der Obdachlosigkeit in eine Notunterkunft gebracht hatten. Wir alle waren ganz betroffen. Wir hatten das Gefühl, die Behandlung ist fehlgeschlagen und wir haben den Patienten nicht erreicht. Aber der Amtsarzt meinte, immerhin haben wir es geschafft, dass der Patient im Bett gestorben ist und nicht unter der Brücke. Man muss Erfolg sehr dosiert definieren. Das ist manchmal schwierig, denn die Heilungsquote ist gering. Es gibt Patienten, die stehen uns näher, und es gibt ganz dramatische Verläufe. Wir hatten einen Patienten jahrelang in Behandlung, der hatte eine Zahnarztphobie, dann hat da ein Zahnabszess geeitert, es kam zur Sepsis und er war innerhalb von Stunden tot. Das tut schon weh. Da machen wir auch nicht einfach so weiter, sondern schlucken auch erst mal. Aber letztendlich ist auch hier der Tod der Begleiter unserer Arbeit, das muss man sagen.

Bei diesen Fällen, die Sie jetzt geschildert haben, fragt man sich, inwieweit der Drogenkonsum ursächlich für das Sterben ist?

Ja, ob die in der Statistik auftauchen, das weiß ich nicht. Wenn jemand mit einer Spritze im Arm gefunden wird, ist es eindeutig. Aber es gibt ganz große Graubereiche.

Sie haben jetzt selbstverständlich Alkoholsucht immer mit einbezogen. Viele schauen aber vor allem auf die User von illegalen Drogen.

Das kann sein, aber für mich ist das gleich. Der Unterschied ist nur, wir können 60 Jahre lang Zigaretten rauchen und sind trotzdem ein guter Familienvater, ein guter Arbeitnehmer, ein perfekter Freund und Nachbar. Aber Sie können nicht 60 Jahre illegal Drogen nehmen oder süchtig Alkohol trinken. Dann ist man kein guter Familienvater mehr. Deswegen packe ich den Alkohol durchaus mit rein, auch wenn er legalisiert ist. Persönlichkeitszerrüttung und soziale Folgen sind genauso verheerend wie bei den illegalen Drogen. Es gibt auch Beschaffungskriminalität. Ich finde die Unterscheidung ist aus Sicht der Patienten fast egal.

Was würde denn wirklich helfen, die Zahlen der Drogentoten zu senken?

Also zunächst einmal, finde ich, ist viel passiert. Die Substitutionszahlen zum Beispiel bei den Opiatabhängigen oder die Möglichkeiten zur Substitution sind deutlich besser und einfacher geworden. Als ich angefangen habe, gab es Wartezeiten von einem Vierteljahr. Jetzt gibt es gar keine Wartezeiten mehr. Was immer noch fehlt, sind Entgiftungsplätze für Patienten, die sich stationär behandeln lassen müssen. Da gibt es Wartezeiten. In jedem Psychiatriebuch steht, wie Sie jemanden entgiften. Aber in keinem Lehrbuch steht, setzen Sie ihn auf eine Warteliste. Das ist schrecklich. Wohnraum, geschützte Arbeitsplätze, das fehlt, dieser Umgang ins normale Leben.

Was ist mit Drugchecking, also der chemischen Analyse von gekauften illegalen Drogen?

Da fehlt mir ehrlicherweise die Erfahrung. Ich höre immer, dass das wichtig ist. Aber ich kann mir nicht vorstellen, dass jemand etwas nicht nimmt, weil er weiß, was drin ist. Jedenfalls nicht jemand, der süchtig und entzügig ist und 15 oder 18 Euro für etwas bezahlt hat. Der konsumiert in jedem Fall. Bei Partydrogen könnte ich mir das vorstellen.

Mit Meinolf Leuchtmann sprach Solveig Bach

(Dieser Artikel wurde am Freitag, 21. Juli 2023 erstmals veröffentlicht.)

Quelle: ntv.de

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