Demografischer Trend umgekehrt Deutsche bekommen wieder Lust aufs Land


Der Traum vom eigenen Haus, auf dem Land ist er oft noch erfüllbar.
(Foto: IMAGO/Harry Koerber)
Jahrelang war der demografische Trend eindeutig: Die Menschen zogen in die großen Städte, das Land war unattraktiv. Davon kann keine Rede mehr sein. Dörfer und kleine Städte punkten inzwischen mit bezahlbarem Wohnraum, Lebensqualität und sozialer Wärme, zeigt eine Studie.
In Deutschland ziehen wieder mehr Menschen aufs Land und verändern damit den ländlichen Raum. Das zeigt eine Studie des Berlin-Instituts für Bevölkerung und Entwicklung und der Wüstenrot Stiftung, die in Berlin vorgestellt wurde.
Lange Zeit habe es ausschließlich einen Wegzug vom Land gegeben, berichtete Frederick Sixtus vom Berlin-Institut. Zwischen 2008 und 2010 gewannen vor allem große Städte Zuziehende, im Zeitraum von 2018 bis 2020 zählten hingegen "ländliche Kleinstädte und Landgemeinden klar zu den Gewinnern". Die neue Landlust, wie es das Forschungsteam nennt, habe die gesamte Republik erfasst. Aktuell wachsen deutschlandweit rund zwei von drei Landgemeinden durch zuziehende Einwohnerinnen und Einwohner - ein Jahrzehnt zuvor galt dies nur für rund jede vierte Landgemeinde. Eine ähnliche Entwicklung erlebten die Kleinstädte.
Diese Veränderungen deuteten sich schon länger an, hätten sich aber seit 2017 verstärkt und seien durch die Corona-Krise noch einmal deutlicher geworden. Für die kleinen Gemeinden und Städte spielt es dabei kaum noch eine Rolle, ob sie in der Nähe einer Großstadt oder in der Peripherie liegen. Ohne den Zuzug aus dem Ausland würden die Großstädte inzwischen schrumpfen, so Sixtus.
Familien- und Berufswanderer
Die Forschenden des Berlin-Instituts haben sechs kleine Gemeinden jeweils für rund eine Woche besucht, die zuletzt viel Zuzug erfahren haben. Im schwäbischen Allmendingen in Baden-Württemberg, im am Nord-Ostseekanal gelegenen Borgstedt in Schleswig-Holstein, Großharthau in Sachsen, dem oberfränkischen Mehlmeisel in Bayern, in Sanitz bei Rostock in Mecklenburg-Vorpommern und Wanfried im hessischen Teil des Werratals fragten sie Menschen nach den Gründen für den Umzug und ihr Ankommen auf dem Land.
Die Studie ergab, es sind es vor allem Menschen im klassischen Familienalter zwischen 30 und 49 Jahren mit ihren minderjährigen Kindern und Berufseinsteiger zwischen 25 und 29 Jahren, die ländliche Regionen für sich entdecken. Manuel Slupina von der Wüstenrot Stiftung stellte dazu fest: "Menschen wählen je nach Lebensphase ein urbanes oder ländliches Umfeld." Nach einem ländlichen Aufwachsen könne eine Ausbildungsphase in der Stadt folgen, zur Familiengründung ziehe man dann wieder aufs Dorf.
Die Haupttreiber des Zuzugs werden in der Studie "FamilienwanderInnen" und "BerufswanderInnen" genannt. Ihnen biete der ländliche Raum klare Vorteile. Am häufigsten werden als Zuzugsgründe erschwinglicher Wohnraum, eine gute Verkehrsanbindung, ein schneller Internetanschluss und eine gute Kinderbetreuung genannt, berichtete Eva Eichenauer, Mitautorin der Studie. Zuziehende wünschen sich demnach, dass die Kinder auf dem Land aufwachsen oder auch Unterstützung bei der Kinderbetreuung, die durch die Rückkehr zur Familie ermöglicht werden kann. Als wichtiger Anreiz zum Umzug wurde die Möglichkeit genannt, Homeoffice zu machen.
Leben auf dem Land lernen
"Gerade, wenn Zugezogene wie so häufig in Neubaugebiete außerhalb der Ortsmitte ziehen, ist mitunter die nächste Nachbarschaft erst einmal wichtiger als die eigentliche Dorfgemeinschaft", erläutert Eichenauer. "Damit hier kein Nebeneinander oder 'Dorf im Dorf' entsteht, braucht es Angebote wie Dorffeste und Orte, wo sich Neuzugezogene und Alteingesessene begegnen können." Allerdings müssten viele Menschen, die neu im Dorf seien, "das Leben auf dem Land erst lernen". Es gebe ein anderes Interesse aneinander, man rede "gern und oft übereinander und miteinander".
Deshalb spielten Vereine auch eine entscheidende Rolle bei der Integration in die Dorfgemeinschaften. Darüber hinaus brauche es öffentlich zugängliche Orte, an denen die Menschen im Alltag zusammenkommen und sich austauschen können. Vielerorts auf dem Land verschwinden allerdings immer mehr Kneipen, Gaststätten oder Bäckereien im Ortskern. Dann drohten sogenannte Donut-Dörfer, deren Ortskerne verfielen, während gleichzeitig an den Rändern Neubaugebiete entständen.
Die Verantwortlichen in den Rathäusern stehen den Forschenden zufolge vor der Aufgabe, den Zuzug nachhaltig und zukunftsgerichtet zu gestalten. "Das wachsende Interesse am Landleben ist für die kleinen Gemeinden grundsätzlich eine gute Nachricht", sagte Catherina Hinz, Direktorin des Berlin-Instituts. "Es bietet die Chance, viele demografische Herausforderungen ländlicher Regionen abzumildern."
Auch hier geben die Forschenden konkrete Handlungsempfehlungen. Trotz der aktuellen Wanderungsgewinne schreite die Alterung der Bevölkerung auch in den zuzugsstarken Gemeinden voran. Es brauche deshalb passende Wohn- und Infrastrukturangebote für alle Alters- und Einkommensgruppen. Die Verantwortlichen sollten beim Wohnangebot möglichst den gesamten Lebenszyklus im Ort ermöglichen, also für Junge, Familien und Ältere gleichermaßen. Während ältere Menschen barrierefreie Wohnungen benötigen, vermissen gerade Jüngere auf dem Land Mietwohnungen. Mehrfamilienhäuser mit Wohnungen in verschiedener Größe und Ausstattung werden dabei eher den vielfältigen Wohnbedürfnissen gerecht als Einfamilienhäuser. Noch hätten Mehrfamilienhäuser aber häufig einen schlechten Ruf.
Quelle: ntv.de