Panorama

Bestsellerautor Michael Nast "Die meisten wollen Veränderung, ohne dass sich etwas ändert"

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Michael Nast wünscht sich noch immer eine Beziehung, aber inzwischen eine andere.

Michael Nast wünscht sich noch immer eine Beziehung, aber inzwischen eine andere.

(Foto: picture alliance / dts-Agentur)

Mit "Generation beziehungsunfähig" wird Michael Nast 2016 berühmt. Auch in seinem neuen Buch "Weil da irgendetwas fehlt" taucht der Autor wieder tief ins Seelenleben ein, sein eigenes und das seiner Leserinnen und Leser. Es geht um das Unwohlsein in den vorhandenen Verhältnissen, die Verlockungen des Konsums und echte Bedürfnisse.

ntv.de: In Ihrem neuen Buch kündigen Sie an, dass Sie mit der nächsten Partnerschaft eine Therapie beginnen wollen. Eigentlich müssten Sie die Therapie vermutlich jetzt schon machen, damit Sie diese Person überhaupt treffen können.

Michael Nast: Ich meinte das eher verhaltenstherapeutisch, weil in einer Beziehung keine Therapie stattfinden sollte. Wenn ich mich eingeengt fühlen würde, müsste ich das mit jemandem besprechen, der das für mich mit mir zusammen einordnet. Das ist für mich die Erkenntnis, dass ich ohne Unterstützung aus dieser Situation, in der ich psychologisch oder psychisch feststecke, gar nicht herauskomme. Deshalb finde ich diese generelle Ratgeberkultur ein bisschen sinnlos, weil man, um eine Person beraten zu können, diese Person ja auch kennen müsste. Deshalb schreibe ich auch keine Ratgeber.

Sie haben offenbar eine Art, die Themen zu fühlen, mit denen viele umgehen. Was ist die grundsätzliche Idee von "Weil da irgendetwas fehlt"?

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Der Titel fasst das meiner Meinung nach zusammen: Dass man das Gefühl hat, egal, was ich unternehme, nichts bringt mich zu einem Gefühl der Lebensfreude. Das ist für mich das richtige Wort, besser als Glück. Ich brauche eine neue Küche, eine Eigentumswohnung, ein Einfamilienhaus, Karriere, Ehe, Familie. Diese Ziele streben viele an und es kommt immer das nächste Ziel. Das Ziel sollte meiner Meinung nach aber sein, dass man auf diesem Weg Freude hat und nicht immer zu irgendwelchen Zielen rennt. Ich bin ja Meister der Theorie und Versager in der Praxis. Und vielleicht geht das vielen so. Vielleicht bin ich da eine Identifikationsfigur oder eine Projektionsfläche? Viele Leute wollen eigentlich eher Aha-Effekte haben, als sich zu ändern. Sie wollen sagen: Das ist so wahr, aber das reicht dann schon. Aber das würden sich viele nicht eingestehen.

Sie schreiben von einer prinzipiellen Sicherheit, dem Geflecht von Gewohnheiten und gleichzeitig dem vertrauten Gefühl ständiger Unzufriedenheit bei null Impuls etwas zu verändern. Warum fehlt dieser Impuls?

Die meisten wollen Veränderung, allerdings, ohne dass sich etwas ändert. Aber Veränderung ohne das Risiko, mit Einschränkungen verbunden zu sein, gibt es nicht. Dann bevorzugt man lieber die sichere Unzufriedenheit und beschwert sich über seine Sorgen, anstatt Änderungen vorzunehmen. Zum anderen sind wir in der Gesellschaft als Konsumenten erzogen worden. Also, wir sind darauf konditioniert, uns nicht gut zu fühlen. Wir müssen immer das Gefühl haben, es fehlt was in unserem Leben, damit wir neue Produkte kaufen. Insofern sind Veränderungen gar nicht erwünscht. Der perfekte Bürger dieser Konsumgesellschaft ist letztendlich unzufrieden. Das ist wahrscheinlich das große Dilemma, wenn wir alle plötzlich so mit uns im Reinen wären, dass wir erkennen würden, dass wir diese ganzen künstlichen Bedürfnisse gar nicht haben, dann würde unser Wirtschaftssystem vielleicht nicht gleich zusammenbrechen, aber dann müsste man eine neue Idee entwickeln, wie Wirtschaft funktioniert.

Sich schlechte Laune wegzukaufen, funktioniert bei vielen noch ganz gut.

Ja, und es ist ja nicht nur das Kaufen von Produkten, es ist ja auch Fernsehen oder das Konsumieren von künstlichen Erlebnissen. Ich glaube, es wurde noch nie so viel ferngesehen wie heute. Aber ob im Fernsehen, bei Insta ein Reel oder bei Youtube, man guckt anderen Leuten letztendlich beim Leben zu. Oder auch einem inszenierten Leben, anstatt selbst zu leben. Da fehlt Lebendigkeit und das wird dann über diesen Konsum gelöst. Wobei Konsumieren das falsche Wort dafür ist, weil viele kaufen nur und konsumieren gar nicht. Um zu konsumieren, müsste man es verwenden. Die meisten kaufen nur als Ersatz für die Befriedigung wirklicher Bedürfnisse, die dann sehr schnell wieder abflacht. Und dann müssen wieder neue Dinge gekauft werden, damit das Ersatz-Glücksgefühl wieder aufgefrischt wird. Und das macht man über alle möglichen Formen von Konsum.

Das ist ja nichts Neues.

Von Erich Fromm ist 1976 "Haben oder Sein" herausgekommen, da war ich ein Jahr alt. Da wurde alles schon gesagt und vorweggenommen. Mein Agent hat dazu gesagt, die Wahrheiten waren immer schon da. Sie müssen halt nur für jede Generation neu erzählt werden. Denn offensichtlich müssen wir immer wieder daran erinnert werden. Ich rede gar nicht von Kapitalismuskritik, sondern wir leben ein so schnelles Leben, der Alltag rast durch diese ganzen Erledigungen, die wir abarbeiten müssen. Aber wir als Menschen bewegen uns eigentlich nicht. Es ist eigentlich so ein rasender, stressbelasteter Stillstand, der immer mehr Leute in seelische Erkrankungen treibt. Das kommt ja irgendwo her. Und das kommt nicht nur daher, dass jetzt mehr diagnostiziert wird. Aber gerade die jungen Leute, die müssen wirklich in Therapie, also weil sich da etwas entwickelt hat, was die Leute massiv belastet.

Sie wünschen sich Therapie, am liebsten für die ganze Gesellschaft. Andererseits sagen sie, dass es dabei oft nur um die Behebung von Funktionsfehlern von Menschen geht, das wirkliche Problem aber die schädlichen Lebensumstände sind, die keine Lebenszufriedenheit ermöglichen. Lässt sich dieser Widerspruch überhaupt auflösen?

Eine Dame, die in der Psychiatrie arbeitet, hat mir mal gesagt, die häufigste Diagnose, die Psychologen stellen ist Anpassungsstörung. Ich sage ja nicht, dass es ein Funktionsfehler ist, sondern ich sage, das wird so wahrgenommen. Es geht darum, dass wir in diesem System funktionieren müssen und das geht oft nur mit Medikation. Die geben wir uns ja auch täglich irgendwie. Kurt Krömer hat mal in Bezug auf seine Depressionen erzählt, dass er die jahrelang nicht erkannt hat. Seine Medikation war Alkohol, um die Sinnlosigkeit, die er da immer gespürt hat, irgendwie erträglich zu machen. Wir reden natürlich auch von unserem Selbstbild, wir sind alle so selbstreflektiert und gehen so offen mit unseren seelischen Erkrankungen um. Aber eigentlich ist das nur bei wenigen wirklich so, bei vielen ist es immer noch geächtet.

Offenbar geht es darum, zwischen dem eigenen und dem künstlich erzeugten Bedürfnis zu unterscheiden. Sie bringen dazu Selbstliebe ins Spiel, was hat sie damit zu tun?

Was ich mir eingestehen muss, ist, dass ich immer noch einen wahnsinnig geringen Selbstwert habe. Das äußert sich darin, dass meine Zufriedenheit oder meine glücklichen Momente nicht von innen heraus kommen, die muss ich mir kaufen. Ich habe diese Erkenntnis, aber ich setze sie nicht um. Das ist eigentlich noch schlimmer, als gar nicht nach Erkenntnis zu suchen. Ich könnte mir nicht vorstellen, meine Texte nicht auf einem Apple-Produkt zu schreiben. Das ist mit meiner Identität verwoben und ich kann mich dem nicht entziehen. In der Liebe ist es genauso. Ich mache mein Glück von einer anderen Person abhängig. Es geht darum, dass nur von außen Glück an mich herangetragen werden kann. Aber jetzt bin ich schon zwei Jahre Single und kann diese Freiheit des Alleinseins sehr genießen und habe mich natürlich auch daran gewöhnt. Jetzt setze ich mich damit auseinander, ob das dann überhaupt der Entwurf für mich ist. Ich kenne halt wahnsinnig viele Leute, die in Langzeitbeziehungen sind, und eine solche Beziehung möchte ich nicht haben. Die organisieren ihr Leben miteinander, da sind die Rollen verteilt, da werden keine Konflikte gelöst. Das sind so Weitermach-Beziehungen. Mein Entwicklungsprozess ist eigentlich der, dass ich noch bis vor wenigen Jahren Verliebtheit für Liebe gehalten habe. Ich wollte den Rausch, das hat sich ja total verändert. Jetzt will ich einen coolen Menschen, mit dem ich mein Leben teilen kann und einfach, dass wir ein gutes Leben führen.

Da sind Sie zumindest den Männern in den Partnerschaftsanzeigen voraus, die sich mit 63 Jahren bereit fühlen, eine Familie zu gründen. Also mit einer 30 Jahre jüngeren Partnerin natürlich.

Ich glaube, diese 63-Jährigen haben ihre innere To-do-Liste abgearbeitet, die sie glücklich machen soll. Die sind am Ende von Karrieren und haben wahrscheinlich auch finanzielle Infrastruktur. Und dann kommt der Punkt, an dem eigentlich alles cool sein müsste. Aber es ist halt nicht so. Und dann sagt man sich: Was ist denn jetzt der nächste Schritt? Wenn die DDR weiter existiert hätte, wäre ich jetzt vermutlich schon Opa, so habe ich keine Kinder. Ich wäre auf jeden Fall ein ganz anderer Mensch.

Warum glauben Sie das?

Weil Geld vielleicht nicht so eine große Rolle gespielt hätte, weil es ja auch nichts wert war und ohnehin alle bezahlt wurden. Dafür hätten Familie und Freunde zur Erfolgsdefinition gehört, weil ja die Stasi da war. Jeder wusste, man muss einen so guten Freundeskreis aufbauen, in dem ein tiefes Vertrauen herrscht, damit der nicht infiltriert werden kann. Ich glaube, ich wäre dadurch ein reiferer Mensch.

Dafür können Sie vielleicht andere Menschen inspirieren. Wie erleben Sie das auf den Lesungen?

Ich habe ja einen belletristischen Ansatz, mit dem ich sozusagen die Gesellschaft darstellen will. Manchmal ändert sich dadurch die Perspektive, die Leute auf ihr Leben haben. Eine Frau war letztens auf einer Lesung von mir und hat gesagt, sie hat direkt nach der Lesung erst mal einem Ex, den sie geghostet hat, eine Entschuldigungsnachricht geschrieben. Am nächsten Tag hat sie mit Familienmitgliedern, mit denen sie verfeindet war, ein Treffen initiiert. Das ist natürlich ein großes Kompliment. Ich mag mein Publikum. Aber meine Erfahrung ist, dass sich Menschen erst weiterentwickeln, wenn sie dazu gezwungen werden, wenn es eigentlich schon gekippt ist.

Mit Michael Nast sprach Solveig Bach

Quelle: ntv.de

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