Panorama

Ehemaliger JVA-Leiter berichtet Wie Drogen und Schmuggelware ins Gefängnis gelangen

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"Ein drogenfreies Gefängnis gibt es nicht", sagt der ehemalige JVA-Leiter Norbert Henke.

"Ein drogenfreies Gefängnis gibt es nicht", sagt der ehemalige JVA-Leiter Norbert Henke.

(Foto: picture alliance / ZUMAPRESS.com)

Drogen, Rausch und Sucht gehören zum Alltag in deutschen Gefängnissen. Vor allem der Konsum neuer Designersubstanzen greift unter vielen Inhaftierten um sich. Das liegt auch an einer ausgefeilten Schmuggel-Taktik, wie ein ehemaliger JVA-Leiter berichtet.

Partymusik, Trinkgelage und Inhaftierte auf Drogen: Im Juni machen Insassen mit selbst gedrehten Videos auf Missstände in der JVA Meppen aufmerksam. Es sei "drinnen leichter, an Drogen zu kommen, als draußen", berichtet ein Häftling, überall "wird etwas angeboten". Doch die Vollzugsanstalt in Niedersachsen ist kein Einzelfall, in ganz Deutschland gehören Rausch und Sucht zum Gefängnisalltag.

Laut der Deutschen Beobachtungsstelle für Drogen und Drogensucht (DBDD) hatten im Jahr 2022 rund 20 Prozent der Insassen im offenen Vollzug bei Haftantritt eine Suchtproblematik, im geschlossenen Vollzug waren es sogar 44 Prozent. Bei den inhaftierten Männern wurden vor allem multipler Substanzgebrauch (27 Prozent) und Cannabinoide (25 Prozent) angegeben, bei inhaftierten Frauen wurden Opioide mit 30 Prozent als häufigste Hauptsubstanz angegeben.

In den letzten Jahren befinden sich aber vor allem neue psychoaktive Stoffe (NPS), auch "Legal Highs" genannt, auf dem Vormarsch in deutschen JVAs. So wurden laut Justizministerium allein im ersten Halbjahr 2024 bereits 109 Funde von NPS in nordrhein-westfälischen Gefängnissen gemeldet - mehr als im gesamten Jahr 2023 (106 Funde). Das liegt laut Experten unter anderem daran, dass die synthetischen Stoffe mit einem ausgefeilten Trick relativ leicht hinter die Knastmauern geschmuggelt werden können.

Briefpapier mit Drogen beträufelt

Denn im Gegensatz zu Stoffen wie Heroin, Kokain oder Cannabis sind NPS farb- und geruchlos und können auch in flüssiger Form transportiert werden, sagt Norbert Henke. Er war 31 Jahre lang als Leiter mehrerer Justizvollzugsanstalten tätig und erklärt im ntv.de-Interview: "Schreibt ein Freund oder Angehöriger einen Brief an einen Gefangenen und träufelt die flüssigen Drogen auf das Papier, ist das bei Kontrollen kaum zu erkennen." Das Papier wird dann in kleine Schnipsel geschnitten und, mit Tabak gemischt, in Zigaretten oder selbst gebauten Pfeifen geraucht.

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"Die Substanzen wirken oft sehr viel stärker als etwa Cannabis oder andere herkömmliche Drogen und werden oft überdosiert", erläutert Toxikologin Nadine Schäfer vom Institut für Rechtsmedizin der Universität des Saarlandes in Homburg. Wie solch eine Überdosierung aussehen kann, erzählt ein Insasse der JVA Meppen in seinem Video: "Man knallt es sich rein und ist dann wie gelähmt." Gleichzeitig hätten die NPS "übertriebenes Suchtpotenzial". Ein Mithäftling berichtet: "Die Leute laufen hier wie die Leichen rum."

Um das Problem mit den synthetischen Substanzen unter Kontrolle zu bringen, kommen in immer mehr deutschen Gefängnissen spezielle Scanner zum Einsatz, mit denen Designerdrogen auf Gegenständen erkannt werden können. Mit einem Teststreifen nehmen JVA-Mitarbeiter Wischproben, um nach wenigen Sekunden von dem Detektor ein Ergebnis zu erhalten. Das Gerät wird mit einer Datenbank der Justiz in Rheinland-Pfalz gekoppelt, in der zahlreiche verschiedene NPS aufgeführt sind.

"Überraschungsei im Analbereich"

Doch mit NPS getränktes Papier sei nicht der einzige Weg, wie Betäubungsmittel ins Gefängnis gelangen. Auch der Gefangenenbesuch sei eine massive Schwachstelle, so Henke: "Besucher und Gefangene sitzen sich zwar in den meisten JVAs strikt voneinander getrennt gegenüber und dürfen sich zumeist nur bei Begrüßung und Verabschiedung kurz berühren. Dennoch können so Drogen heimlich übergeben werden."

In der JVA Bruchsal konnten mittels eines Drogenscanners (im Hintergrund) synthetische Cannabinoide auf einer Kindermalerei aus der Gefangenenpost festgestellt werden.

In der JVA Bruchsal konnten mittels eines Drogenscanners (im Hintergrund) synthetische Cannabinoide auf einer Kindermalerei aus der Gefangenenpost festgestellt werden.

(Foto: picture alliance/dpa)

Zwar würden die Besucherinnen und Besucher vorher gründlich kontrolliert, rechtlich zulässig sei aber nur abtasten und die Kontrolle mit einer Metallsonde. Die Kontrolle der Körperöffnungen wie etwa der Mundhöhle sei dagegen untersagt. Dabei sei das Einführen von Substanzen und Objekten in den eigenen Körper eine häufig gewählte Schmuggel-Taktik, sowohl bei Besuchern als auch Gefangenen.

Der ehemalige JVA-Leiter erinnert sich an den "extremen Fall" eines Untersuchungsgefangenen, der ein mit Drogen gefülltes "Überraschungsei im Analbereich" mit sich führte. Doch auch größere Objekte wie zum Beispiel Handys würden so transportiert werden.

Würfe, Schleudern, Drohnen

Eine weitere häufig angewandte Methode sei, Drogen oder andere Schmuggelware über die Außenmauern der JVAs zu befördern. Die Päckchen würden entweder einfach per Hand geworfen, oder mit einer Schleuder darüber geschossen werden. Doch auch Transporte mit Flugdrohnen seien möglich.

Ziel dieser Aktionen sind in der Regel die Innenhöfe der Anstalten, auf denen die Gefangenen sich eine Stunde pro Tag aufhalten dürfen und so die Möglichkeit haben, an die übergeworfenen Päckchen zu gelangen. Da die Höfe vor jeder Freistunde kontrolliert werden, seien die Aktionen laut Henke jedoch selten von Erfolg gekrönt.

Bestechliche Vollzugsangestellte

Es würde auch vorkommen, dass Personal an verbotenen Deals im Gefängnis beteiligt ist. Vollzugsangestellte würden sich in solchen Fällen entweder vom versprochenen Geld der Drahtzieher locken lassen. Oder aber sie haben im Dienst einen Fehler begangen, den Gefangene mitbekommen haben und mit dem diese die Person dann unter Druck setzen.

Denkbar sei auch, dass Drogen über Arbeitsbetriebe in die JVAs gelangen. Viele Insassen gehen in Gefängnis-eigenen Werkhallen wie Schreinereien oder Schlossereien geregelter Arbeit nach, weshalb die Anstalten regelmäßig per LKW mit Arbeitsmaterialien beliefert werden. Auch hier könne laut Henke bestechliches Personal eine Sicherheitslücke bedeuten.

Da solche Aktionen zwischen Angestellten und Insassen für beide Seiten höchst riskant seien, kommen sie laut Henke allerdings nur vereinzelt vor. Er selbst hat in seinen mehr als 30 Jahren als Anstaltsleiter nur einen Fall erlebt, bei dem ein Vollzugsangestellter in Drogengeschäfte hinter Gittern verwickelt war.

"Drogenhunde sind stumpfes Schwert"

Haben es die Substanzen trotz der Sicherheitskontrollen hinter die Gefängnismauern geschafft, zeigt sich erneut, warum NPS in JVAs so auf dem Vormarsch sind. Denn die Zellen der Häftlinge werden zwar regelmäßig kontrolliert, teils auch mithilfe von Drogenspürhunden. Doch die sind auf der Suche nach "Legal Highs" keine Hilfe, meint Henke. "Sie können die Hunde nicht auf alle 'Legal Highs' trainieren, da sich deren Zusammensetzungen ständig ändern."

Indirekt zeigen die Spürhunde aber doch Wirkung, nämlich als abschreckende Maßnahme: "Wenn das erste Bellen zu hören ist, laufen in den Zellen sofort die Toilettenspülungen." Letztlich seien sie im Aufspüren und Bekämpfen von NPS aber eher "ein stumpfes Schwert".

Experte fordert klarere Trennung

Damit das Drogenproblem in deutschen Gefängnissen nachhaltig minimiert werden kann, plädiert Henke für eine klarere Trennung von Gefangenen mit und ohne Suchtproblematik. So könne sowohl eine bessere Versorgung und Betreuung der Insassen als auch eine gründlichere Sicherung und Kontrolle der Anstalten gewährleistet werden.

Grundvoraussetzung dafür seien aber in erster Linie mehr und kleinere Gefängnisse und deutlich mehr Personal. "Sicher wird das sehr viel Geld verschlingen, aber langfristig wird es sich auszahlen", ist sich Henke sicher. Sicher sei allerdings auch, dass der Konsum von Betäubungsmitteln im Knast nie gänzlich eingedämmt werden kann: "Ein drogenfreies Gefängnis gibt es nicht."

Für den Strafvollzug in kleineren Hafteinrichtungen setzt sich unter anderem auch der Europarat ein. So könne eine "bessere soziale Integration und eine geringere Rückfallquote" erreicht werden, heißt es in einer Erklärung aus Brüssel.

"Übel stinkende" Eigenkreationen

Neben illegalen Drogen und "Legal Highs" werde im Gefängnis übrigens auch Alkohol konsumiert. Der wird aber nicht von außen in die Anstalten geschmuggelt, sondern von den Insassen vor Ort selbst hergestellt. Hierfür werden Brotstücke oder andere hefehaltige Speisereste in Flaschen mit Obstsaft gegeben, wodurch nach einigen Tagen der Gärungsprozess einsetzt.

Auf diese Weise werde in deutschen Gefängnissen schon immer Alkohol hergestellt, verrät Henke. Das Endprodukt sei allerdings nur schwer genießbar und "stinkt sehr übel". "Es ist ein fürchterliches Getränk, aber es ist eben Alkohol."

Quelle: ntv.de

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