Panorama

Tödliche Schleppnetzfischerei Ein Unterwassermuseum als Protest

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Die Skulptur "Wasser" von Giorgio Butini ist nur für Taucher zu erreichen.

Die Skulptur "Wasser" von Giorgio Butini ist nur für Taucher zu erreichen.

(Foto: Carlo Bonazza)

Seit Jahren kämpft Fischer Paolo Fanciulli gegen die Schleppnetzfischerei. Vor seinem Heimatdorf Talamone erinnern in Marmor gemeißelte Figuren in zehn Meter Tiefe daran, wie wichtig es ist, das Meer zu schützen.

"Wussten Sie, dass Schleppnetze durch das Aufwühlen des Meeresbodens mehr CO2 ausstoßen als alle Flüge weltweit in einem Jahr?", fragt Giovanni Contardi ntv.de, während es von Grosseto durch die Maremma, den südlichen, landschaftlich etwas wilderen Teil der Toskana, nach Talamone geht. Contardi ist Vorsitzender des Verbands "La Casa dei Pesci". Das "Haus der Fische" hat in Talamone, einem ehemaligen Fischerdorf im Naturpark der Maremma, die operative Zentrale, oder, treffender ausgedrückt: sein Herz und seine Seele. Denn hier ist Paolo Fanciulli zu Hause, 63 Jahre alt, von Beruf Fischer und vom Charakter her hartnäckiger Aktivist.

Paolo Fanciulli kämpft für das Meer vor seiner Haustür.

Paolo Fanciulli kämpft für das Meer vor seiner Haustür.

(Foto: Andrea Affaticati)

Da man gleich zum Du übergeht, bleibt es bei Paolo, anstatt Herrn Fanciulli. Seit Jahren kämpft Paolo gegen die Grundschleppnetzfischerei, eine Methode, die vor allem am Meeresgrund große Schäden anrichten kann. Das Thema wird gerade auch in der EU hitzig diskutiert, denn ab 2030 soll diese Fischfangmethode in allen Meeresschutzgebieten der EU verboten werden. Die Fischer von der Ostsee bis zum Mittelmeer laufen jedoch Sturm gegen diese Maßnahme.

"Einst fischte man mit Dynamit"

Paolo ist seit dem Morgengrauen auf den Beinen, hat schon die Netze aus dem Meer gezogen. Jetzt ist es Mittag und er würde sich gerne den wohlverdienten Mittagsschlaf gönnen. Doch jeder Bericht, gleich ob im In- oder Ausland, verhilft seinen Aktionen zum Schutz des Meeresbodens zu mehr Bekanntheit und somit auch mehr Spenden, über die sich der Verband ausschließlich finanziert.

Paola setzt sich also unter die Pergola, wo er am Abend seine Gäste mit Fischgerichten verwöhnt, und beginnt zu erzählen. "Du musst wissen, dass mein Vater den Krieg erlebt hat. Damals und bis in die 60er-Jahre hinein fischte man auch mit Dynamit und wilderte in Jagdgebieten herum. Beides verboten, freilich, aber was soll's, damals war's halt so."

Talamone ist ein idyllischer Fischerort.

Talamone ist ein idyllischer Fischerort.

(Foto: Andrea Affaticati)

Er selber hat das noch erlebt, als Kind fuhr er immer wieder mit seinem Vater hinaus aufs Meer. Als er selber Fischer wurde, begann er sich jedoch über bestimmte Methoden Gedanken zu machen. Freilich, mit Dynamit wurde schon lange nicht mehr gefischt, dafür aber mit Schleppnetzen, die auch große Schäden, vor allem auf dem Meeresgrund, anrichten können. Außerdem ging es ihm auch um sein Einkommen. Das Fischen mit Schleppnetzen macht den kleinen Fischern, wie er einer ist, den Alltagsfang strittig, weil sie nichts mehr übrig lassen.

Mitte der 80er-Jahre startete Paolo seine ersten Protestaktionen. Er ging ins Fernsehen, um auf die Schäden, die das Grundnetzfischen anrichtet, aufmerksam zu machen. Mehrfach erstattet er Anzeige. "In Italien ist es nämlich verboten innerhalb der drei Meilen vor der Küste und auf einem Meeresgrund unter 50 Metern Schleppnetze zu werfen", fügt er erklärend hinzu. Doch anstatt den Kuttern nachzustellen, die für die größeren Fischerunternehmen auch vor der Küste so fischten, wurde ihm gedroht: "Wenn du weiter diese Geschichten erzählst, muss du dich auf sehr penible Kontrollen unsererseits gefasst machen."

Sanfte Guerilla-Methoden

Die Drohungen hielten ihn aber nicht auf, er machte weiter. Auf zwei Aktionen ist er besonders stolz. Bei der ersten, Anfang der 90er-Jahre, gelang es ihm zusammen mit anderen Fischern, den Fischerei-Kuttern die Einfahrt in den Hafen von Porto Santo Stefano zu blockieren. "Wir waren an die 100 Fischer und wurden auch von Umweltorganisationen wie WWF und Greenpeace unterstützt", erinnert er sich mit einem breiten Grinsen. Ein anderes Mal habe er ein Blaulicht auf seinem Fischerboot angebracht und sei nachts aufs Meer gefahren. Die Fischer hielten ihn für die Küstenwache und fuhren so schnell wie möglich weg.

Natürlich machte er sich in der Branche viele Feinde. "2006 wurde ich sogar vom Markt vertrieben", erzählt er weiter. Doch wo sich eine Türe schließt, öffnet sich eine andere, vor allem wenn der Kampf einem guten Zweck dient. Er wurde von der Solidarischen Einkaufsgruppe kontaktiert und verkauft seitdem seinen Fischfang dorthin.

Der Fischer und Michelangelos Marmor

Giovanni Contardi zeigt, wo die Skulpturen liegen.

Giovanni Contardi zeigt, wo die Skulpturen liegen.

(Foto: Andrea Affaticati)

Neben seinen Protestaktionen hat Paolo im Laufe der Zeit auch Projekte in die Wege geleitet, die breite Unterstützung und auch wichtige Unterstützer finden, wie die Outdoor-Marke Patagonia, die Umweltorganisationen WWF, Greenpeace oder den Italienischen Forschungsrat CNR. Das bis dato aufregendste und Aufsehen erregendste Projekt ist jedoch das Unterwassermuseum vor Talamone. Auf dem Meeresgrund ruht eine Frau mit angezogenen Beinen, etwas weiter weg umarmt ein Fischer einen Delfin, gleich daneben stößt man auf einen Frauenkopf, aus dessen Mund Algen wachsen.

"Der große Kopfsprung", "Traum eines Fischers" und "Wasser", nennen sich die drei von den Künstlern Anna Torre, Claudia Zanaga und Giorgio Butini in Marmor gemeißelten Skulpturen. Sie bilden zusammen mit 22 anderen Werken das Unterwassermuseum. "Die Marmorblöcke haben wir von den Cave di Michelangelo in Massa Carrara bekommen", erzählt Paolo stolz. Und ja, der Steinbruch trägt den Namen des Renaissance-Meisters, weil Michelangelo aus ihm seine Marmorblöcke bezog.

Die ersten 17 Skulpturen wurden zwischen 2015 und 2019 gemeißelt und liegen auf zehn Meter Tiefe, die letzten fünf wurden vor einem Monat in fünf Metern Tiefe auf den Meeresgrund gelegt. "Denn nicht alle tauchen so tief oder tauchen überhaupt" erklärt Contardi, "wir wollen aber, dass so viele Menschen wie möglich sie sehen und so auf das Thema Meeresschutz aufmerksam werden. Die Skulpturen sind Mittel zum Zweck."

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Genauso wie die Fischausflüge, die Paolo organisiert. Zusammen mit seinen Gästen zieht er die Netze aus dem Wasser, erklärt das Leben im Meer, erzählt vom Neptungras, das auf dem Meeresgrund wächst und so wichtig für das marine Ökosystem ist. In den kommenden Jahren sollen auf dem Meeresgrund entlang der Maremma-Küste, also vom Strand Spiaggia della Giovannella bis hin zu Castiglione della Pescaia, weitere Zementblöcke versenkt werden. "Diese Blöcke sollen das Fischen mit Schleppnetzen in Küstennähe unmöglich machen und gleichzeitig den Fischen einen Unterschlupf bieten" erklärt Contardi.

Als nächstes Projekt würde man gerne Webcams anbringen, damit jeder, ganz gleich, wo er sich befindet, die Skulpturen und wie sie sich im Laufe der Zeit verändern sehen kann. Die Kosten dafür belaufen sich auf 100.000 Euro. Wird also noch eine Weile dauern, bevor man auch von zu Hause aus mit dem Fischen um die Skulpturen tauchen kann.

Quelle: ntv.de

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