Panorama

Selbsternannter Guru vor Gericht Eine Gemeinschaftsutopie, die zur Katastrophe wird

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Hinter den früheren Klostermauern verwandelt sich die Suche nach einem besseren Leben schnell in ein Schreckensregime.

Hinter den früheren Klostermauern verwandelt sich die Suche nach einem besseren Leben schnell in ein Schreckensregime.

(Foto: picture alliance)

Missbrauch, Gewalt, Psychoterror - unter der Leitung eines selbsternannten Gurus verspricht "Go & Change" Liebe und Heilung. Doch hinter den Mauern eines ehemaligen Klosters entfaltet sich ein System des Machtmissbrauchs. Nun sitzt der Anführer in Haft.

Im Jahr 2017 kauft eine Gruppe im friedlichen 800-Seelen-Dorf Lülsfeld in Unterfranken das ehemalige Kloster "Maria Schnee". Dort wird "Go & Change" gegründet, nach eigenen Angaben eine utopische Lebensgemeinschaft, der es darum gehe, eine "Kultur zu schaffen, die auf Liebe ausgerichtet ist" - so ist es auf der Webseite zu lesen.

Wenige Jahre später ist der Anführer und Gründer Kai K. ein verurteilter Verbrecher, weil er eine Frau mehrfach vergewaltigt, geschlagen und bis zur Bewusstlosigkeit gewürgt hat, angeblich, um ihre Dämonen auszutreiben. Geschehen sind die Taten in Lülsfeld hinter den alten Klostermauern in der selbst ernannten "Entwicklungsgemeinschaft für Lebensqualität".

Schon vor den Taten, für die der 42-jährige Kai K. jetzt verurteilt wurde, war "Go & Change" im Visier von Beobachtern. Ehemalige Mitglieder berichten über Psychoterror, Sex-Exzesse und Drogenkonsum. Es hat auch Todesfälle im Umfeld der Gemeinschaft gegeben. Im März 2019 etwa ertrinkt ein einjähriges Kind in einem Löschteich, als es von Mitgliedern von "Go & Change" beaufsichtigt wird. Im Februar 2022 wird ein früherer Anhänger wegen schweren sexuellen Missbrauchs eines Dreijährigen und des Besitzes kinderpornografischer Schriften verurteilt. Im Oktober 2022 stirbt ein 56-jähriger Anhänger der Gruppe - mutmaßlich an einem Drogencocktail.

Heimliche Aufnahmen aus dem Innern des Klosters zeigen Schaubilder, die an der Wand hängen: Im Zentrum die beiden "Gurus" Kai K. und Felix K., die anderen Mitglieder hierarchisch abgestuft zugeordnet. Es gleicht einem System der Erleuchtung, auf dem die Anhänger und Anhängerinnen auf unterschiedlichen Stufen stehen.

Kai K. war dabei bis zu seiner Festnahme der Dreh- und Angelpunkt dieses Systems. Die Stellungnahmen auf der Webseite der Gruppe sprechen eine eindeutige Sprache: Kai K. wird als Quasi-Gott verehrt- jegliche Kritik an ihm oder der Gruppe wird rigoros zurückgewiesen. Ehemalige und Kritiker werden mit deutlichen Worten zurückgewiesen und scharf verurteilt, indem ihnen unterstellt wird, "Go & Change" mutwillig schlecht machen zu wollen. Einsicht? Selbstkritik? Davon ist nichts zu lesen. Schuld sind nur die, die die Gruppe kritisieren. Sie sind es, die "nichts unversucht [lassen], mit den abscheulichsten Mitteln die Räume und Menschen zu zerstören, die sich in ihrem ganzen Wirken der Liebe verschrieben haben" - so steht es wortwörtlich in einer E-Mail an "Exis" geschrieben, ehemalige Bewohner des Klosters.

Eine Gruppe, die scheinbar Halt und Orientierung gibt

Die Geschichte von "Go & Change" ist eine verstörende Chronik von Machtmissbrauch und menschlichem Leid. Dabei klingt die Utopie so schön: Liebe und Lebensqualität für alle! Wie kommt es, dass daraus ein solches System des Missbrauchs entsteht? Dafür gibt es viele Gründe. Ein wichtiger ist sicherlich, dass die Attraktivität von Gruppen wie "Go & Change" darin liegt, dass sie gut darin sind, Hoffnung zu verkaufen. Menschen, die nach Orientierung, Gemeinschaft oder einem tieferen Sinn suchen, sind besonders empfänglich für Versprechen von Heilung und Veränderung.

Kai K. und seine Gefolgschaft vermittelten genau das: die Aussicht auf ein besseres Leben, frei von den Zwängen der modernen Welt. Dabei wirken Klischees von Frieden, Liebe und Selbstverwirklichung wie Köder. Die Transformation, die "Go & Change" verspricht, lockt nicht nur (spirituell) Suchende an, sondern auch Menschen in Krisensituationen, die sich nach Halt und Orientierung sehnen.

Ganz zentral ist - wie in vielen destruktiven Gruppen - dabei die Rolle des oder der "Gurus". Kai K. und sein Sozius Felix K. sind nicht nur Anführer, sondern sie werden als Autoritäten verehrt. Sie sind es, die den "gemeinschaftlichen Liebesimpuls" in die Welt getragen haben, wie es auf der Webseite heißt. Dass diese Position bei "Go & Change" in regelrechten Psychoterror ausartete, zeigt etwa ein Video, das während des Prozesses gezeigt wurde: Zwei Frauen, die fast nackt dasitzen, eine davon weinend, die andere ausdruckslos starrend. Dazu die Stimme von Kai K., der die Frauen mit Vorwürfen konfrontiert. Das klingt so gar nicht nach Liebe und Lebensqualität. Das klingt nach einem Guru, der Psychoterror betreibt. Ein solches Machtverhältnis ist brandgefährlich: Kritik wird als Verrat betrachtet, das zeigen auch die bereits zitierten Stellungnahmen auf der Webseite von "Go & Change".

Ein lockendes Vokabular

"Liebe", "Entwicklung", "Lebensqualität" - die Rhetorik von "Go & Change" verschleiert systematisch, was hinter den Kulissen tatsächlich vor sich zu gehen scheint. Solche Begriffe klingen nicht nur harmlos, sondern sogar attraktiv. Doch auch das ist typisch für destruktive Gruppen: Um die Gefahr zu erkennen, reicht kein oberflächlicher Blick. Nicht umsonst laden viele solche Gruppen Außenstehende auch dazu ein, sich selbst einen Eindruck zu verschaffen. So auch die Lülsfelder Gemeinschaft, die diese Einladung schon auf der Startseite ihres Internetauftritts ausspricht. Denn natürlich: Problematische Abhängigkeiten, Hörigkeit gegenüber Hierarchien und missbräuchliche Strukturen sind nicht bei einem ersten Besuch zu erkennen. Im Gegenteil - gerade in solchen Erstbegegnungen können solche Gemeinschaften sehr stark sein und einen positiven Eindruck hinterlassen.

Die Probleme treten erst allmählich auf: Wenn sich Menschen unwohl fühlen mit dem, was gelehrt wird. Wenn sie merken, dass sie hier vielleicht doch nicht dazu passen, wenn Dinge von ihnen verlangt werden, die sie nicht möchten. Manche bringen dann - rechtzeitig - die Kraft auf, sich loszusagen. Andere schaffen das nicht oder zu spät. Vor allem in solchen Situationen, im Umgang mit Kritik oder mit Mitgliedern, die (aus welchen Gründen auch immer) gehen wollen, zeigt sich oft, wie toxisch eine Gruppe tatsächlich ist.

Nicht zuletzt spielt in einem Fall wie "Go & Change" auch der Ort eine nicht zu unterschätzende Rolle. Das ehemalige Kloster "Maria Schnee" bietet nicht nur einen physischen Rückzugsort. Es hat auch psychologische Auswirkungen: Die Mitglieder leben in einem kleinen Dorf, weit weg von Familie und (bisherigen) Freundschaften.

Das ist zwar keine strenge Isolation, aber mindestens eine räumliche Distanzierung, die für die Anhänger und Anhängerinnen die Abhängigkeit von der Gruppe stärkt. Und damit die Abhängigkeit von der Führungsriege. Die Schaubilder aus dem Innern der Gemeinschaft zeigen ein klares Hierarchiesystem, mit Kai K. und Felix K. an der Spitze. Solche Strukturen sind gefährlich, weil sie individuelle Verantwortung auflösen und ein Klima der Angst schaffen. Wer sich nicht fügt, riskiert Sanktionen. Wer gehorcht, fühlt sich sicher - eine perfide Dynamik, die Gewalt und Missbrauch begünstigen kann.

Quelle: ntv.de

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