"Es gibt eine sehr kritische Situation" Elbe-Hochwasser fällt doch dramatisch aus
04.06.2013, 12:02 UhrAlle Prognosen der Hochwasserexperten könnten durch rasant steigende Pegelstände entlang der Elbe schon bald Schall und Rauch sein. Der Bevölkerung in Sachsen und Sachsen-Anhalt stehen nach neuesten Zahlen dramatische Tage bevor. Durch heranrauschende Wassermassen aus Tschechien soll das Elbehochwasser deutlich höher ausfallen, als bislang erwartet. "Es gibt doch eine sehr kritische Situation", räumt das sächsische Innenministerium jetzt ein. Die Kanzlerin besucht die Hochwasserregionen und verspricht schnelle Hilfe für die Betroffenen: Für jeden Euro, den die Länder ausgeben, legt die Bundesregierung einen drauf.
In Sachsen muss sich die Bevölkerung nun doch noch auf rasant steigende Pegelstände entlang der Elbe einstellen. Die Behörden relativierten frühere Aussagen, wonach Dresden beispielsweise vor Schlimmerem bewahrt bliebe. Jetzt gab das sächsische Innenministerium eine entsprechende Hochwasserwarnung für das gesamte Flussgebiet heraus. Hintergrund ist, dass insbesondere aus Tschechien ein massiver Wasserzufluss für die Elbe erwartet wird.
Der Scheitel der Moldau wird im Laufe des Tages in Prag erwartet. Das bedeutet, dass dann das später mit der Elbe zusammenlaufende Hochwasser in etwa drei bis vier Tagen in Dresden ankommt. Der sogenannte Rückhalteraum in Tschechien ist schon jetzt komplett ausgelastet, die Zuflüsse halten aber weiter an.
Der Pegelstand der Elbe in Dresden betrug am späten Vormittag 7,50 Meter. Bis Donnerstag wird ein Anstieg um eineinhalb Meter erwartet. Ein Sprecher des Katastrophenstabs hatte noch am Morgen beruhigt: "Bilder wie 2002 von einer überschwemmten Dresdner Altstadt wird es aller Voraussicht nach nicht geben." Jetzt heißt es: "Es ist doch eine sehr kritische Situation". Damit ist die historische Altstadt von Dresden nach dem Jahrhunderthochwasser von 2002 erneut bedroht. Sollten die Prognosen eintreffen, bliebe das Hochwasser nur knapp unter den damals markierten Höchstständen von 9,40 Meter. Schon jetzt müssen viele Anwohner ihre Häuser verlassen. Die Elbbrücke "Blaues Wunder" wurde gesperrt.
Betroffen von den erwarteten Wassermassen sind ebenfalls alle Orte entlang der Elbe wie Bad Schandau, Pirna, Riesa oder Meißen. In Pirna sind die Evakuierungen angelaufen. Auch der Strom ist teilweise abgeschaltet.
Merkel bringt das Geld mit
Bundeskanzlerin Angela Merkel sagte den Betroffenen die Unterstützung des Bundes zu. "Wir werden den Menschen, die das zu erleiden haben, zur Seite stehen", sagte sie bei ihrem Besuch in Pirna. Sie appellierte zugleich an die Bewohner, angesichts der zu erwartenden Verschärfung der Lage an der Elbe zusammenzustehen.
Die Kanzlerin bekräftigte die Zusage, den vom Hochwasser betroffenen Ländern in einer ersten Rate 100 Millionen Euro Soforthilfe zur Verfügung zu stellen. Der Bund steuere für jeden Euro, den das Land zur Verfügung stellt, einen weiteren Euro bei. Durch die Hilfe hätten die Menschen, die in akute Bedrängnis geraten sind, die Sicherheit, dass sie Entschädigung und Hilfe bekommen. Nach der Flut müssten dann die durch das Hochwasser entstandenen Schäden angeschaut werden. Zuvor hatte die Kanzlerin das bayerische Passau besucht.

Hilft das Hochwasser Merkel im Wahlkampf?
In Meißen ergießt sich das Hochwasser der Elbe weiter in die Altstadt. Wie eine Sprecherin des Krisenstabs mitteilte, überspülen die Fluten eine Schutzwand. Der Wasserstand liegt derzeit bei knapp acht Metern. Die Schutzwand misst aber nur 7,85 Meter. Ein kräftig steigender Pegel hätte dramatische Auswirkungen für die historischen Bauten. Schon jetzt steht der Theaterplatz unter Wasser.
Bei Pegau im Landkreis Leipziger Land wurde ein Damm aufgegeben. Der Damm Nepperwitz brach auf mehreren Metern, der Ort wurde geräumt. Ein weiterer Damm droht zu brechen. Rund 300 Bundeswehrangehörigen helfen dort bei der Deichsicherung, um das Wasserwerk Canitz zu schützen.
In den sächsischen Hochwassergebieten sind nach Angaben des Innenministeriums 9400 Einsatzkräfte unter anderem von Polizei und Feuerwehr im Einsatz. Auch die Bundeswehr ist vertreten und hält sich bei Bedarf noch mit weiteren Helfern bereit. 10.000 Menschen mussten aus ihren Häusern und Wohnungen in Sicherheit gebracht werden. 9000 Menschen haben ihr Hab und Gut bereits durch die Wassermassen verloren.
Passau kann hoffen
In den Hochwassergebieten im bayerischen Passau zeichnet sich unterdessen eine Entspannung ab. Der Wasserstand fiel bis zum Mittag verglichen zum Höhepunkt um gut einen Meter auf 11,90 Meter. Der Hochwasserscheitel war gestern Abend mit 12,89 Metern erreicht worden - ein Rekordwert seit Jahrhunderten. Helfer von Feuerwehr, Technischem Hilfswerk und Soldaten der Bundeswehr unterstützen die Aufräumarbeiten der Passauer in der Innenstadt. Das Trinkwasser bleibt aber vorerst noch in der gesamten Stadt abgestellt. Auch der Strom bleibt in einigen überfluteten Straßen weg.
Bei ihrem Besuch in Passau kündigte Merkel ebenfalls rasche Hilfen für die Flutgebiete an - für alle Flutgebiete in ganz Deutschland. "Wenn die Mittel sehr schnell abfließen, werden wir sicher noch mal beraten", fügte Merkel hinzu. "Vor allem geht es darum, dass wir jetzt unbürokratisch auszahlen."
Auch wenn sich die Lage in Passau allmählich entspannt, verschärft sich andernorts in Bayern die Lage. Für den Bereich Straubing bis oberhalb Passau soll sich den Behörden zufolge die Hochwasserlage noch einmal verschlimmern. Nach Angaben des bayerischen Innenministeriums werden derzeit im Landkreis der Donaustadt Deggendorf Häuser und Wohnungen evakuiert. Es sind 4000 Menschen betroffen.
Höchster Alarm in Sachsen-Anhalt
Auch in Sachsen-Anhalt verschärft sich die Hochwasserlage deutlich. In der Stadt Bitterfeld werden rund 4000 Menschen vorsorglich evakuiert. Es wird damit gerechnet, dass das Wasser bis in die Innenstadt vordringt. Zuvor waren bereits ein Krankenhaus und ein Pflegeheim geräumt worden. In Bitterfeld gehen die Behörden davon aus, dass das Wasser sogar noch höher als 2002 steigen kann.
Der Ort Jeßnitz im Landkreis Anhalt-Bitterfeld ist völlig von der Außenwelt abgeschlossen. Von dort und auch aus weiteren Orten mussten Tausende Menschen in Sicherheit gebracht werden. Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff ordnete die Bildung eines Krisenstabs der Landesregierung an. In Magdeburg wurde Katastrophenalarm ausgelöst. Nach derzeitigen Prognosen wird an der Strombrücke die Marke von 6,90 Metern erreicht. Normal sind dort knapp zwei Meter. Bei der Flut 2002 stand der Pegel bei maximal 6,72 Metern. 30.000 Sandsäcke zur Sicherung von Deichen und zum Errichten von Wällen sind gefüllt und 22.000 bereits verbaut.
In Dessau-Roßlau drückt die Rossel in die Innenstadt. Hier warten die Helfer dringen auf Pumpen aus den Niederlanden, die noch im Laufe des Tages eintreffen sollten.
In Halle ist die Lage nach Angaben eines Stadtsprechers bereits "dramatisch". Auch dort wurde der Katastrophenfall festgestellt. Die Saale hat die Marke von 7,50 Metern überschritten. Hunderte Einsatzkräfte kämpfen mit Hilfe der Bundeswehr um die Deiche. "Die Dämme sind sehr aufgeweicht", sagte der parteilose Oberbürgermeister Bernd Wiegand. Mit Sandsäcken wird versucht, den Gimritzer und den Passendorfer Damm zu stützen. "Wir gehen derzeit davon aus, dass wir die Dämme halten können. Die Frage ist nur, wie lange", sagte Wiegand.
Situation in Thüringen spitzt sich zu
In Thüringen galt vor allem an der Saale und der Weißen Elster teils die höchste Alarmstufe. Der kleinen Ort Ziegenrück steht dort im Fokus der Aufmerksamkeit. Grund: Aus der Bleichlochtalsperre müssen etwa 200 Kubikmeter Wasser pro Sekunde abgelassen werden. Die Talsperre drohte überzulaufen. Der steigende Pegelstand der Saale hatte das Energie-Unternehmen Vattenfall als Pächter der Talsperre zu dieser Maßnahme gezwungen. Damit steigt die Gefahr der Überflutung von Ziegenrück. Der Ort kann nur 120 Kubikmeter Wasser pro Sekunde verkraften. Die Anwohner wurden aufgerufen, eiligst ihre Habseligkeiten in Sicherheit zu bringen. Noch am Vortag hatte ein Vattenfall-Sprecher dementiert, dass das Wasser aus der Talsperre abgelassen werden muss. Die Hochwasserdaten hatten am Montag noch positiver ausgesehen. Das Innenministerium hatte zuvor sinkende Pegelstände im ganzen Land vermeldet. Laut Thüringens Ministerpräsidentin Christine Lieberknecht will die Kanzlerin heute auch in die Thüringer Hochwassergebiete reisen.
Brandenburg füllt Sandsäcke
Nach den südlichen Bundesländern bereitet sich jetzt auch das nördlichere Brandenburg auf die Hochwasserwelle vor. In den vergangenen 24 Stunden sind die Pegelstände der Flüsse dort erheblich gestiegen. Vor allem an der Elbe und der Schwarzen Elster laufen die Vorbereitungen zur Bekämpfung von Wassermassen an. In Herzberg, im Jahr 2002 wochenlang von Hochwasser bedroht, werden vorsorglich Sandsäcke gefüllt. Auch Mühlberg an der Elbe droht die höchste Alarmstufe 4. An der Oder, die 1997 beim dortigen sogenannten Jahrhunderthochwasser besonders betroffen war, gibt es bisher dagegen keine Probleme.
Nach Angaben des Bundesinnenministeriums sind derzeit 4000 Kräfte des Bundes im Hilfseinsatz - darunter mehr als 1000 Soldaten. Einen Lichtblick gibt es auch: Der Deutsche Wetterdienst rechnet damit, dass der Regen in dem kommenden Tagen fast überall nachlässt.
Tschechien schickt die Flut
Auch im Ausland löst das Hochwasser katastrophale Zustände aus. In Österreich sind weiterhin viele Zugverbindungen gesperrt, Innenstädte stehen unter Wasser. In der Slowakei stellt sich die Hauptstadt Bratislava auf die nahende Donau-Flutwelle ein. Der slowakische Wetterdienst rief die höchste Warnstufe aus. Der Schiffsverkehr auf der Donau ist eingestellt.
Derweil bahn sich das Hochwasser in Tschechien seinen Weg in Richtung der deutschen Grenze. Die Moldau erreichte in der Hauptstadt Prag ihren Scheitelpunkt, während die Wassermassen weiter nach Norden ziehen. Am Abend werden die Überschwemmungen in Usti-nad-Labem erwartet. Die an der Elbe gelegene Industriestadt mit 100.000 Einwohnern liegt rund 30 Kilometer vor der deutschen Grenze. Die Moldau ist ein Nebenfluss der Elbe.
Mehrere Chemiefabriken in der Region hatten bereits am Montag als Vorsichtsmaßnahme ihren Betrieb eingestellt. Darunter ist die Fabrik Spolana in Neratovice, 20 Kilometer nördlich von Prag, aus der bei der Überschwemmungskatastrophe 2002 dutzende Tonnen Flüssigchlor in die Elbe gelangt waren.
Durch die schweren Überschwemmungen sind in Tschechien bereits sieben Menschen ums Leben gekommen. Zwei Menschen starben in Österreich, ein weiterer in der Schweiz.
Quelle: ntv.de, ppo/dpa/AFP