Ärztechefin Johna im Interview "Es ist leider noch nicht vorbei"
25.06.2021, 15:15 Uhr
Impfen bleibt das wichtigste Mittel im Kampf gegen das Virus.
(Foto: dpa)
Eindringlich appelliert die Chefin des Marburger Bundes, Johna, daran, auch den zweiten Impftermin wahrzunehmen. Zudem muss die Kampagne angepasst werden, um noch mehr Menschen zu erreichen. Und schließlich fordert sie, die Schulen unbedingt auf den Herbst mit wieder steigenden Infektionszahlen vorzubereiten.
ntv: In Finnland gibt es eine Infektionswelle, weil Fußballfans zu einem EM-Spiel nach Russland gefahren sind und mit Bussen zurückgereist sein sollen. Ist der eigentliche Nährboden für das Virus also der An- und Abreiseweg zu solchen Veranstaltungen?
Susanne Johna: Das kann natürlich sein, wenn Menschen eng zusammengerückt in einem Verkehrsmittel sitzen. Deswegen haben wir nach wie vor in Zügen, Bussen und Flugzeugen die Maskenpflicht. Sie einzuhalten, ist wichtig. Dass viele Menschen eng auf einem Raum zusammenkommen und man fürs EM-Halbfinale und Finale plant, 60.000 Menschen ins Wembley-Stadion zu lassen, kann ich nicht für gut heißen. Ich kann das auch nicht nachvollziehen, denn man kann, wenn auch weniger spannend, von Zuhause als Fan ein Spiel verfolgen.
Wir genießen den Sommer und trotzdem macht sich die Delta-Variante bei uns breit. Müssen wir damit rechnen, dass die Impfbereitschaft jetzt auch zurückgeht?
Ich höre von einigen niedergelassenen Kollegen, dass sie schon Hinweise darauf haben. Deswegen, an alle diejenigen, die sich auf mehrere Listen haben setzen lassen, um möglichst schnell eine Impfung zu bekommen, bei den anderen Ärztinnen, Ärzten oder Impfzentren abzusagen, wenn sie eine Impfung erhalten haben. Es ist schlimm, wenn Termine erst kurzfristig abgesagt werden oder die Menschen einfach nicht zur Impfung kommen und dann kein neuer Impfling gefunden werden kann. Wir dürfen es uns nicht leisten, an Tempo zu verlieren. Zugleich will ich daran appellieren, jetzt bloß nicht zu sagen, die zweite Impfung ist nicht mehr so wichtig. Gerade gegen die Delta-Variante schützt so richtig gut erst die zweite Impfung.
Die STIKO diskutiert, ob man die Impfabstände eventuell verkürzen könnte. Was spricht dafür und was dagegen?
Dagegen spricht, dass wir wissen, dass der Impfabstand ein gewisses Optimum hat. Macht man die zweite Impfung zu früh, ist die Wirkung etwas schlechter, vor allem weniger lang. Was hingegen dafür spräche, den Impfabstand zu verkürzen, ist, dass die Menschen schneller zweifach geimpft sind und schneller einen höheren Immunstatus aufbauen. Knackpunkt ist aber, dass wir bald in die Situation kommen, dass die Menschen nicht mehr Schlange stehen für die Impfung und sie motivieren müssen. Das ist zielgruppenspezifisch notwendig, da hilft nicht allein ein Plakat "Ärmel hoch".
Wie kann man denn noch die Menschen überzeugen, die Zweifel an der Impfung haben? Oder sind das am Ende im Herbst ohnehin diejenigen, die leider die Krankenhausbetten wieder füllen?
Man wird sicherlich nicht alle überzeugen können. Ich glaube aber schon, dass wir noch die Möglichkeit haben, bei unserer Information besser zu werden. Da geht es zum einen um die Frage, mit welchen Medien erreiche ich eigentlich welche Gruppen? Natürlich ist zu befürchten, dass wir insbesondere Menschen mit Migrationshintergrund - auch vielleicht sprachlich - nicht optimal erreichen. Da stellt sich die Frage, ist es sinnvoll, in solche Bereiche zu gehen, wo insbesondere Menschen mit Migrationshintergrund zusammen wohnen? Da fehlt es mir so ein bisschen an Bereitschaft, auch mal neu zu denken. Die erreiche ich wahrscheinlich nicht mit einer Werbekampagne mit David Hasselhoff. Den kennen diese Menschen wahrscheinlich gar nicht.
Inzwischen ist klar, dass wir im Herbst mit der Delta-Variante als dominante Version in Deutschland rechnen müssen. Wie müssen wir uns denn jetzt auf diesen Herbst vorbereiten?
Die Dominanz der Delta-Variante wird es noch vor dem Herbst geben. Solange wird das nicht mehr dauern. Im Herbst kommt dann aber wieder das jahreszeitliche Ansteigen hinzu. Die Menschen kehren aus dem Sommerurlaub zurück und die Ferien sind zu Ende. Wir haben das vergangenes Jahr erlebt und zu spät reagiert. Das sollte nicht noch einmal passieren. Hier mache ich mir doch etwas Sorgen, dass der Fokus zu sehr auf dem Wahlkampf und nicht auf der Vorbereitung für den Herbst liegt. Da kann ich wieder nur appellieren, insbesondere die Schulen zu ertüchtigen. Das darf nicht nochmal sein, dass Fenster nicht gescheit geöffnet werden können und keine ausreichenden Möglichkeiten zum Händewaschen da sind. Viele Menschen haben das Gefühl, es ist jetzt vorbei. Das ist es leider nicht.
Mit Susanne Johna sprach Nele Balgo
Quelle: ntv.de