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Vater war deutscher Soldat Franzose wird mit 81 Jahren Deutscher

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Als 81-Jähriger erhielt Soudan seinen deutschen Pass. Damit ist er nun ein Doppelstaatler.

Als 81-Jähriger erhielt Soudan seinen deutschen Pass. Damit ist er nun ein Doppelstaatler.

(Foto: dpa)

Als Kind fühlt sich Thierry Soudan als Außenseiter, als Erwachsener will er wissen, warum. Er erfährt, dass er das Kind eines deutschen Besatzungssoldaten ist. Jetzt, mit 81, wird Soudan Deutscher und sieht sich am Ende einer lebenslangen Reise.

Auf dem Weg zur Deutschen Botschaft in Paris hat der Franzose Thierry Soudan alle seine Ausweise im Taxi verloren. "Zum Glück bekommt er jetzt deutsche Papiere", sagt seine Frau Liliane lächelnd. Für den Franzosen stand in dieser Woche ein Termin an, um deutscher Staatsbürger zu werden. Es war eine ganz besondere Einbürgerungsfeier, denn der 81-Jährige hatte erst im Rentenalter erfahren, dass er der Sohn eines deutschen Besatzungssoldaten ist.

"Hier hat vor ein paar Jahren die Suche nach meinem Vater begonnen", sagt Soudan, als er das Botschaftsgebäude betritt. Ein Nachbar aus seinem Heimatdorf hatte ihm nach dem Tod seiner Mutter erzählt, was diese ihm ihr Leben lang verschwiegen hatte: Dass ihn der Mann, den er für seinen Vater hielt, adoptiert hatte. Und dass seine Mutter nach dem Krieg vom Dorffriseur kahl geschoren worden war, weil sie ein Verhältnis mit einem deutschen Soldaten gehabt hatte.

Die Deutsche Botschaft konnte ihm damals nur mit der traurigen Nachricht weiterhelfen, dass sein Vater bereits verstorben war. Beinahe wäre es dabei geblieben, aber dann stieß Soudans Tochter die Suche noch einmal an. Mithilfe des Vereins Herzen ohne Grenzen, der sich für Kriegskinder engagiert, fand sich das Grab des Vaters in München.

"Papa guckt von da oben aus zu"

Ein handgeschriebener Zettel in einer Klarsichthülle auf dem Grabstein führte zu einer Überraschung: 2019 bekam Soudan einen Anruf von Waltraut Maurer, die ihm radebrechend auf Französisch erklärte, dass sie seine Halbschwester sei und er auch noch einen Halbbruder habe.

Zur Einbürgerungsfeier sind die beiden Münchener nun nach Paris gereist. "Unser Papa guckt von da oben aus zu", sagt Waltraut Maurer. Kurz nach dem ersten Telefonat hatten sich die drei Geschwister das erste Mal auf der Ile d'Oléron getroffen, wo Soudan lebt. Es war ein aufwühlendes Erlebnis.

"Wir haben in Thierry so vieles von unserem Vater wiedererkannt, seine Hände, seine Gesten", erinnert sich sein Halbbruder Manfred Christ. Was alle am meisten überraschte: Der Sohn, der den Vater nicht gekannt hatte, war ein ebenso begeisterter Bienenzüchter geworden, wie dieser es gewesen war.

Manfred Christ zeigt auf seinem Mobiltelefon ein Foto von Thierry als Kleinkind, das sich in einem Fotoalbum des Vaters fand. "Wir wussten nie, wer es war. Als wir von Thierrys Existenz erfahren haben, haben wir es aus dem Album genommen, und hinten stand sein Name drauf", sagt er.

"Was für eine Last für unseren Vater, dass er niemandem davon erzählt hat", fügt seine Schwester hinzu. Ihr Vater habe mehrfach versucht, zu seinem Sohn in Frankreich Kontakt aufzunehmen, sei von dessen Mutter aber daran gehindert worden.

100.000 "Enfant de boche"

Nach Schätzungen von Historikern sind etwa 100.000 Kinder aus Beziehungen zwischen Wehrmachtssoldaten und Französinnen hervorgegangen. "Enfant de boche" war in der Nachkriegszeit ein Schimpfwort für sie. In vielen Fällen verschwiegen die Mütter ihren Kindern deren Wurzeln, um sie zu schützen.

Seit 2009 können diese Kriegskinder die deutsche Staatsangehörigkeit beantragen, das hatte der damalige Außenminister Frank-Walter Steinmeier mit eingefädelt. Das Porträt des Bundespräsidenten steht heute im Büro von Botschafter Stephan Steinlein, der Soudan und seine Geschwister herzlich empfängt. "Ich erkläre feierlich, dass ich das Grundgesetz und die Rechte der Bundesrepublik achte ...", liest Soudan langsam, mit französischem Akzent von einem Blatt ab. Ihm laufen Tränen über die Wangen.

"Es ist auch für mich ein bewegender Moment", sagt der Botschafter, dessen Vater ebenfalls Soldat in Frankreich gewesen war. "Ihre Geschichte macht deutlich, wie wichtig es ist, die Vergangenheit zu kennen, um die Zukunft aufzubauen", fügt er hinzu.

Die Einbürgerung sei ein Akt der Wiedergutmachung und ein Symbol der deutsch-französischen Freundschaft. "Es ist wichtig, gerade in diesen Zeiten, in denen der Hass wieder hochkommt", betont er mit Blick auf den Wahlsieg der fremdenfeindlichen Rechtspopulisten bei der Parlamentswahl in Frankreich.

Er überreicht Soudan eine blaue Mappe mit der Einbürgerungsurkunde. Damit hat Frankreich einen neuen Doppelstaatler. Für diese Gruppe planen die Rechtspopulisten Berufsverbote, weil sie Franzosen mit einer zweiten Staatsangehörigkeit Loyalitätskonflikte unterstellen. "Das ist doch lächerlich", meint Soudan.

Für ihn bedeutet die deutsche Staatsangehörigkeit das Ende einer lebenslangen Suche - die schon begonnen hatte, als er sich als Kind auf damals unerklärliche Weise als Außenseiter gefühlt hatte. "Jetzt habe ich meinen Vater gefunden", sagt er und lächelt, als ob eine große Last von ihm abfalle.

Quelle: ntv.de, Ulrike Koltermann, AFP

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