Panorama

Rübsamen-Schaeff im Interview "Ich würde nicht lockern"

 Prof. Helga Rübsamen-Schaeff

Rübsamen-Schaeff: Der Zeitpunkt für Lockerungen ist noch nicht gekommen.

(Foto: imago images)

In der Politik mehren sich die Stimmen, die ein Ende vieler Corona-Maßnahmen fordern. Gesundheitsminister Lauterbach lehnt dies ab. Virologin Rübsamen-Schaeff springt ihm zur Seite. Bei vielen Infektionen steigt die Wahrscheinlichkeit von Mutationen. Und andere Länder zeigten - mit Lockerungen gibt es mehr Todesfälle.

ntv: Die Zahl der Älteren, aber auch der Jüngeren, auf den Intensivstationen steigen. Es scheint, als schaffen wir es nicht, unsere Schutzbedürftigen zu schützen. Können Sie, unter diesem Gesichtspunkt, den Widerstand gegen die Impfpflicht verstehen?

Helga Rübsamen-Schaeff: Ich verstehe den Widerstand gegen die Impfpflicht nicht. Das wäre sicherlich sinnvoll, bestimmte Altersklassen vorrangig zu impfen, sodass man eben diese Menschen vor dem Virus schützen kann, die es am dringendsten brauchen.

Nachbarländer legen mit den Lockerungen los. Deutschland hat noch keine Exit-Strategie. Glauben Sie, es ist Zeit, Maßnahmen abzuschaffen?

Lockerungen sind für uns auf jeden Fall zu früh. Wir sind noch mitten in der Omikron-Welle. Man muss verstehen: Sind sehr, sehr viele Menschen infiziert, besteht die Gefahr von neuen Mutationen. Lockert man in einer solchen Situation, wird das Ganze angeheizt.

Immer mehr Bundesländer gehen dazu über, die 2G-Regel abzuschaffen. Auch Virologe Hendrik Streeck hält die 2G-Regeln nicht für sinnvoll. Wie sehen Sie das?

Da muss man zunächst wissen, dass sich zweifach Geimpfte in der jetzigen Omikron-Welle durchaus anstecken und auch andere anstecken können. Wenn man Ansteckung vermeiden will, wäre es richtiger, eine dreifache Impfung zu fordern oder 2G-Plus oder einen negativen Test. Das wäre aber eine Verschärfung und keine Erleichterung der Maßnahmen.

Im vergangenen Jahr hatten wir einen Lockdown bis Mai 2021. Wie konkret würden Sie jetzt werden, wann können wir anfangen zu lockern?

Das ist das Problem: Man muss gucken, wie die Zahlen sich entwickeln. Ich gehe auf jeden Fall davon aus, dass wir noch Zeit bis März oder bis Mitte März brauchen. Also, wenn ich Gesundheitsministerin wäre, ich würde nicht lockern, wenn die Zahlen so hoch sind. Man sieht in den anderen Ländern, dass, in dem Moment, wo man hohe Infektionszahlen hat, auch die Todeszahlen hoch sind, und wir haben in Deutschland 100 bis 150 Tote pro Tag. Das kann ja keiner wollen.

In New York wurde im Abwasser eine neue Mutation entdeckt. Was sagt uns das über Mutationen und was können wir da noch erwarten?

Nochmal: Viren mutieren halt und Corona ist ein recht mutationsfreudiges Virus. Insofern ist die Entdeckung neuer Mutationen nichts Ungewöhnliches. Was hier ungewöhnlich ist, ist die Tatsache, dass man diese Virusmutation in Proben aus Kläranlagen gefunden hat. Man hat, über ganz New York verstreut, getestet und nur an einigen Stellen sind diese neuen Mutationen gefunden worden. Wenn man in die Datenbank schaut, wo Viren analysiert wurden, die man aus dem Menschen gewonnen hat, da hat man die noch gar nicht gesehen. Man weiß also wirklich noch nicht genau, wo die herkommen. Und sie scheinen sich bis jetzt, im Menschen, noch nicht sehr oder noch gar nicht verbreitet zu haben. Man hat sie noch nicht gefunden im Menschen.

Das heißt, wir müssen uns nochmal auf gefährlichere Varianten einstellen?

Ich würde es mal so rum sagen: Es werden sich fiese Variante durchsetzen, die besonders gut unsere Impfstoffe umgehen können. Das ist ja ein ständiger Wettlauf, den wir mit dem Virus haben. Deswegen beginnen Firmen wie Biontech ja auch schon, einen auf Omikron eingestellten Impfstoff zu testen. Ich bin sehr gespannt, welche Ergebnisse das geben wird. Das kann durchaus sein und bei Grippe machen wir das ja schon, jährlich sogar, dass die Impfstoffe immer wieder an die neuen Varianten angepasst werden müssen. Je mehr Menschen gleichzeitig infiziert sind, desto wahrscheinlicher ist es, dass irgendwann wieder eine neue Variante kommt, die sich stärker durchsetzen wird.

Welche Rolle spielen Medikamente in der Diskussion um Mutationen?

Medikamente in Entwicklung halte ich für ausgesprochen wichtig, weil wir ja sehen, dass die Impfstoffe mit der Zeit ihre Wirksamkeit verlieren und gegebenenfalls angepasst werden müssen. Bei Medikamenten muss man zwei Typen unterscheiden: Die sogenannten monoklonalen Antikörper, die sind den Antikörpern nachgebaut, die wir als Reaktion auf eine Infektion oder auf eine Impfung produzieren. Und nachdem das Virus sich genau da verändert, wo es eben dem Erfolg der Impfung weglaufen kann, sind auch sehr viele von diesen monoklonalen Antikörpern heute nicht mehr wirksam.

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Es gibt aber auch eine andere Sorte von Medikamenten, die sind jetzt gerade auf den Markt gekommen. Die greifen bestimmte Prozesse bei der Virusvermehrung an, zum Beispiel die Kopie des Erbgutes oder eben das Zurechtschneiden von Viruseiweiß in die richtigen Längen, die ja dann auch Funktionen haben können. Und diese Medikamente - das eine heißt Paxlovid, Remdesivir und Molnupiravir - greifen das Virus anderswo an, sind von diesen bisherigen Mutationen nicht betroffen. Ich denke, wir werden im Laufe der Zeit ein ganzes Arsenal solcher Medikamente brauchen. Die wirken bei allen Mutationen, die wir bisher in der äußeren Hülle des Virus gesehen haben.

Mit Helga Rübsamen-Schaeff Sprach Vivian Bahlmann

Quelle: ntv.de

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