"Kampf gegen Windmühlen" Spuren der Mafia sind in Bagheria unübersehbar
17.08.2024, 10:07 Uhr Artikel anhören
Blick durch einen Bogen auf der Via Palagonia in Richtung der gleichnamigen Villa.
(Foto: dpa)
Meer, Kultur, Geschichte und eine besondere Küche: Die Stadt Bagheria auf Sizilien hat alles, was das Urlauberherz begehrt. Aber auch die Mafia ist immer noch präsent. Überall ist der Einfluss der Verbrecher sichtbar.
Dreieck des Todes - das klingt bedrohlich. So bezeichnet man eine Gegend unweit von Palermo auf Sizilien, in der sich auch die Stadt Bagheria befindet. Die furchteinflößende Bezeichnung für das Gebiet rund um die Stadt mit dem klangvollen Namen kommt von den zahlreichen Morden, die die sizilianische Mafia dort und in den Gemeinden Casteldaccia und Altavilla Milicia im Norden Siziliens in den 1980er-Jahren begangen hatte.
Bagheria, eine 50.000-Einwohner-Stadt, gilt noch immer als eine der Hochburgen der als Cosa Nostra bekannten sizilianischen Mafia. Hier konnte das organisierte Verbrechen lange Zeit schalten und walten. Schlagzeilen machte Bagheria in der Vergangenheit vor allem mit extrem brutalen Mafia-Morden. In einer verlassenen Nagelfabrik am Stadtrand wurden Gegner und Abtrünnige gefoltert, ermordet und anschließend in Salzsäure aufgelöst.
Die Zeiten solcher Morde und auch der Morde auf offener Straße sind in Baarìa - so der Name im lokalen Dialekt - vorbei. Es fließt weniger Blut und die Mafiosi arbeiten leiser. Doch ihr Machtanspruch ist ungebrochen. "Bagheria ist noch immer eine Mafia-Stadt. Sie ist eine Stadt der Macht", sagt ein Aktivist vom Anti-Mafia-Zentrum "Pio La Torre" in Palermo.
Sichtbar sind heute die bitteren Hinterlassenschaften der Verbrecher. Durch Mafia-Bauspekulation entstandene Bauten verunstalten das Stadtbild. "Von den Bergen bis zum Meer ist die Stadt zubetoniert", so der Aktivist. Noch heute bezahlen nach seinen Worten viele Unternehmer Schutzgeld, den "pizzo". Auch der Drogenhandel ist in Mafia-Hand. Zudem kämpft die Stadt mit einer hohen Arbeitslosenquote.
Cosa Nostra fühlt sich in Bagheria wohl
Dabei hätte Bagheria alles, was es bräuchte, um auch Touristen und Touristinnen aus den beliebten Badeorten und der Inselhauptstadt anzuziehen. Aus Palermo erreicht man die Stadt mit dem Zug in einer Viertelstunde. Dort findet man eine traumhafte Küste mit Strand, ein reiches Kulturerbe und eine besondere kulinarische Tradition mit regionalem Fisch und Meeresfrüchten.
Doch der Einfluss der Verbrecher lähmt die Entwicklung der Stadt. Die Stadt versucht gegenzusteuern, indem sie etwa dazu aufruft, den "pizzo" zu verweigern und dessen Eintreiber anzuzeigen. Mafia-Immobilien werden konfisziert und der Kommune überlassen. "Doch es ist ein Kampf gegen Windmühlen", erklärt der Aktivist. Die Mafia fühle sich wohl.
Einstiger Villenort für Adel aus Palermo
Bagheria wurde einst als Villenvorort für den sizilianischen Adel aus Palermo gegründet, in dem die Herrschaften ihre Sommerfrische verbrachten. Die Adelssitze aus dem 17. und 18. Jahrhundert wie die Villa Palagonia, die Villa Trabia und die Villa Valguarnera, in der die italienische Schriftstellerin Dacia Maraini aufwuchs, erinnern heute noch daran.
Nach dem Zweiten Weltkrieg entwickelte sich im Süden Italiens die Bauspekulation zu einem der wichtigsten Geschäftsfelder der Mafia. Von dem hässlichen Beton erhofften sich die Verbrecher irgendwann viel Geld beim Verkauf. Entsprechend zubetoniert ist heute das Zentrum Bagherias mit den barocken Villen. Heute stehen dort klobige Wohneinheiten. Wer in der pompösen Villa Palagonia über die Mauer mit den charakteristischen Tuffsteinstatuen blickt, schaut direkt auf die drumherum errichteten Bauten, die das Villa-Gelände einkesseln.
Maraini, die heute in Rom lebt, erinnert sich an das einstige Panorama von der Villa Valguarnera, das den Betonblöcken weichen musste: "Doch nun ist diese Sicht auf scheußliche Weise von sinnlos hingesetzten Häusern und Mietskasernen verstellt, denen Bäume, Parks, Gärten und alte Gebäude zum Opfer gefallen sind." Die Schönheit ihrer Heimatstadt sei durch die bauliche Verschandelung systematisch zerstört worden.
Illegale Bauten verunstalten Stadtbild
Auf Sizilien wurden Schätzungen zufolge bis zu zwei Millionen solcher Schwarzbauten errichtet. Im Italienischen gibt es dafür einen eigenen Begriff: "abusivismo edilizio". Auf Sizilien, so hat die Statistikbehörde Istat aktuell ermittelt, kommen auf 100 Gebäude, die legal errichtet wurden, praktisch 48 Gebäude, bei denen dies ohne Erlaubnis geschah.
Inzwischen hat sich die Art und Weise des Handelns der Mafia auf Sizilien und in anderen Gegenden Italiens grundlegend verändert. Seit den 1990er-Jahren habe die Cosa Nostra stark an Macht verloren, sagen Experten. Daher sei es heute viel schwieriger, ihr Treiben zu erkennen. Mafia-Größen fokussieren sich heute auf die Unterwanderung der Wirtschaft.
In Bagheria war die Mafia für viele Jahrzehnte eng verbunden mit der lokalen Politik und machte Geschäfte im Immobilien- und Landwirtschaftssektor. Das hat sich geändert, sagt der Aktivist des "Pio La Torre"-Zentrums. "Heute ist der Kern ihres Geschäfts der Drogenhandel und die Erpressung, die sie autonom ausführen können."
Zivilgesellschaft kämpft gegen Cosa Nostra
In großen Städten gehen jedes Jahr Hunderttausende zu Demonstrationen gegen die Verbrecher auf die Straße. Anderswo sagen Anti-Mafia-Zentren wie "Pio La Torre" und Privatpersonen der Mafia den Kampf an. Sie engagieren sich in der Jugendarbeit, veranstalten Demos oder verweigern den "pizzo". Einer dieser Verweigerer, ein Geschäftsmann aus Bagheria, fand kürzlich sein Auto in Flammen auf einem Parkplatz.
Bei vielen hat dieser Kampf gegen die Windmühlen jedoch für Resignation gesorgt. Eine vom Zentrum "Pio La Torre" in Auftrag gegebene Umfrage unter italienischen Schülern ergab, dass nur jeder fünfte Schüler glaubt, dass die Mafia besiegt werden kann. Die vielen Engagierten wollen sich damit nicht zufriedengeben: Ihr Kampf gegen die Mafia geht weiter.
Quelle: ntv.de, Robert Messer, dpa