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Vor dem Corona-Winter Impfexperte Sander: "Wir brauchen unbedingt nasale Impfstoffe"

"Wir haben eine viel, viel bessere Situation als je zuvor", sagt Leif Erik Sander, der Chef der Infektiologie an der Berliner Charité.

"Wir haben eine viel, viel bessere Situation als je zuvor", sagt Leif Erik Sander, der Chef der Infektiologie an der Berliner Charité.

(Foto: picture alliance / Geisler-Fotopress)

Mit einiger Zuversicht blicken Experten beim Thema Corona auf den anstehenden Herbst und den kommenden Winter. Dank einer besseren Datenlage, angepasster Impfstoffe und besserer Medikamente sei das Land besser vorbereitet, sagt Infektiologe Sander von der Charité. Für eine Entwarnung allerdings ist es zu früh.

Eigentlich könnten sich alle etwas entspannen: Deutschland geht besser vorbereitet in den Corona-Winter als in den beiden vorherigen Pandemiejahren. "Wir haben eine viel, viel bessere Situation als je zuvor", sagt Leif Erik Sander, der Chef der Infektiologie an der Berliner Charité. Man werde in diesem Winter bessere Daten über die Anzahl von Corona-Patienten in Krankenhäusern sammeln und somit genauer wissen, wie viele Infizierte nicht nur auf den Intensiv- sondern auch auf den Normalstationen behandelt würden. Auch der Zugang für antivirale Medikamente werde besser sein, und auch die angepassten Impfstoffe würden einen Unterschied machen.

Und trotzdem gibt er keine Entwarnung - es werde ein schwieriger Winter: Die Situation sei wegen des Personalmangels und der wirtschaftlichen Probleme in den Krankenhäusern angespannt, sagt das Mitglied des Expertenrats der Bundesregierung. Durch die erwartbaren Erkrankungswellen werde die Belastung in den kommenden Monaten steigen.

Wie viele schwere Fälle es in den kommenden Monaten geben wird, hängt auch von der Bereitschaft der Bevölkerung ab, sich erneut boostern zu lassen. In der kommenden Woche soll ein neuer Impfstoff in die Praxen kommen, der an die in Deutschland vorherrschende Omikron-Variante BA.5 angepasst ist. Weil die Zeit drängte, hatten die US-Gesundheitsbehörde FDA und die europäische Arzneimittelbehörde EMA das Vakzin von Biontech/Pfizer auch ohne abschließende klinische Studien zugelassen - ein nicht unübliches Vorgehen. So mache man es bei der Grippeimpfung seit Jahren, betont Sander.

Weitere angepasste Impfstoffe erreichten die Arztpraxen bereits in dieser Woche: Die für die BA.1-Variante modifizierten Vakzine von Moderna und Biontech/Pfizer. Insgesamt unterschieden sich die angepassten Impfstoffe nicht wesentlich von denen, die viele schon bekommen haben, erklärt Sander: "Die chemische Zusammensetzung ist exakt gleich." Es gebe nur minimale Veränderungen am mRNA-Molekül, die dafür sorgten, dass die neuen Impfstoffe besser gegen Omikron wirkten.

Coronavirus mutiert sprunghaft

Anpassungen der Impfstoffe wurden nötig, weil sich das Virus immer weiter verändert. Es mutiert, um die Immunität, die sich durch Infektionen und Impfungen breit gemacht hat, zu umgehen. Das kennen die Forscher auch von anderen Viren, aber anders als beispielsweise beim Grippevirus, verändert sich das Coronavirus nicht langsam, sondern sprunghaft. Wie sich die Omikron-Variante entwickelt, sei nicht vorhersehbar, Sander spricht von "Zufallsereignissen".

Dass sich das Virus in seinen krankmachenden Eigenschaften immer weiter abschwächt, wie einige behaupten, kann der Immunologe nicht unterstreichen. Es gebe Veränderungen, die er als besorgniserregend einstuft - wie derzeit eine Linie in Indien. Entscheidend sei, welche Varianten sich durchsetzen.

Von einer vierten Impfung mit einem angepassten Impfstoff erwarten die Forscher "eine Verbreiterung der Immunantwort", wie Sander sagt. "Sodass man möglicherweise auch vor zukünftigen Virusvarianten geschützt ist." Außerdem erhoffe man sich einen verbesserten Schutz vor Infektionen, wobei klar sei, dass Impfstoffe, die in den Muskel gespritzt werden, nie zu 100 Prozent vor der Infektion schützen würden.

Westen forscht zu wenig an nasalen Impfstoffen

Ein sehr großer Fortschritt seien nasale Impfungen. Also Nasensprays, die man im Zweifel alle drei Monate anwendet und die für eine sogenannte Schleimhautimmunität sorgen. "Sie könnten den Vorteil haben, dass sie die Infektion und auch die Weitergabe des Virus massiv reduzieren", sagt der Impfexperte. "Deswegen glaube ich, wir brauchen unbedingt nasale Impfstoffe!"

Sander hält zum Beispiel einen Einsatz in Altenheimen für denkbar. Bei nasalen Impfstoffen wäre zudem die Dosis geringer, und man bräuchte keine Ärzte, um das Spray zu verabreichen. Doch in der westlichen Hemisphäre werde derzeit zu wenig an dieser Lösung geforscht.

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In diesem Winter müssen also die Oberarme für die Impfungen noch einmal herhalten. Die gute Nachricht: Sander sagt, dass alle Impfstoffe, die Ärzte derzeit in Deutschland impften, sehr gut vor Krankheit und Tod schützen. Dies gilt auch für die dann "alten" Impfstoffe, die gegen den Wildtyp des Virus entwickelt wurden. Wer sich gerade noch damit hat boostern lassen, habe die richtige Entscheidung getroffen.

Wenn Leif Erik Sander selbst vor der Entscheidung stünde, einen Impfstoff auszuwählen, würde er den an die jüngste Omikron-Variante angepassten wählen. Welche Empfehlung die Ständige Impfkommission am Robert-Koch-Institut (STIKO) zu den angepassten Impfstoffen gibt, ist noch offen.

Quelle: ntv.de

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