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China und Indien legen vor Können Schleimhaut-Impfungen die Pandemie stoppen?

Die nasalen Corona-Vakzine zielen auf die Schleimhaut der Atemwege ab.

Die nasalen Corona-Vakzine zielen auf die Schleimhaut der Atemwege ab.

(Foto: imago images/ITAR-TASS)

Corona-Spritzen schützen vor schweren Verläufen oder gar Todesfällen. Eines vermögen die bisherigen Impfstoffe allerdings nicht: Die Verbreitung des Virus zu stoppen. Hoffnungen wecken nun neue Präparate aus China und Indien zum Sprühen und Inhalieren.

Vor fast zwei Jahren gelingt der Wissenschaftswelt ein entscheidender Durchbruch in der Pandemie: die Entwicklung der mRNA-Impfstoffe gegen das Coronavirus. Seither haben diese und andere Vakzine unzähligen Menschen das Leben gerettet, sie vor dem Krankenhaus und Beatmungsgerät bewahrt. Die Pandemie beenden, wie sich das manche erhofft hatten, konnten sie bislang allerdings nicht. Nur unzureichend und zeitlich begrenzt verhindern sie, dass Menschen sich anstecken und das Virus weitergeben. Der Grund, davon sind viele Fachleute überzeugt, liegt in einer fehlenden Immunität der Schleimhäute in Mund und Rachen - dort, wo das Virus in den Körper eindringt.

Nun gibt es jedoch einen neuen Hoffnungsträger, der die Verbreitung von Sars-CoV-2 ein für alle Mal stoppen soll. Zumindest Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach scheint sich sicher: "Die Pandemie endet, wenn wir z.B. über nasale Impfstoffe Schleimhautimmunität erreichen", twitterte der SPD-Minister Ende August. Und weiter: "Hier wird viel zu wenig Geld investiert. Solche Impfstoffe könnten wir schon haben."

Tatsächlich sind uns China und Indien in dieser Hinsicht einen Schritt voraus. Wie die Fachzeitschrift "Nature" berichtet, hat Chinas Hersteller CanSino Biologics seinen bisher per Spritze verabreichten Impfstoff so verändert, dass er mit einem Vernebler in ein Aerosol zum Inhalieren umgewandelt werden kann. Der Impfstoff nutzt demnach ein Adenovirus Typ-5 als Transportmittel für ein Stück Erbinformation des Coronavirus. Atmen Patienten diesen Impfstoff ein, soll er eine Immunreaktion der Schleimhäute gegen Corona auslösen. Das mehr oder weniger gleiche Prinzip verfolgt auch Indiens BBV154 Impfstoff von Bharat Biotech. Hier wird ein Schimpansen-Adenovirus gentechnisch modifiziert und als Nasentropfen auf den Schleimhäuten angewendet.

"Daten sehen vielversprechend aus"

In den Schleimhäuten existiert ein eigenes Immunsystem mit einer speziellen Form von Antikörpern, erklärte Molekularbiologe Emanuel Wyler der "Zeit". Sie würden von klassischen Impfungen jedoch nur unzureichend stimuliert. Bei der Abwehr einer Infektion sind die oberen Atemwege aber entscheidend, da das Virus diese als Erstes befällt. Eine effektive Immunabwehr dort könnte die Infektion drastisch abschwächen oder ganz verhindern, lautet die Idee hinter den nasalen Impfungen.

Die Wirksamkeit bestätigte eine im Fachmagazin "The Lancet" veröffentlichte Studie. Demnach konnte die Anwendung des chinesischen Impfstoffes als Inhalat die Immunreaktion der Geimpften im Vergleich zu einer Spritze erheblich steigern. So seien etwa zehnmal höhere Titer neutralisierender Antikörper festgestellt worden, als wenn der gleiche Impfstoff intramuskulär verabreicht wurde. Doch weder der chinesische noch der indische Hersteller haben bislang die Ergebnisse ihrer klinischen Phase-3-Studien veröffentlicht.

"Die Daten sehen dennoch vielversprechend aus, man sieht eine gute Immunreaktion mit Antikörpern im Blut", urteilte Leif Erik Sander, Impfstoffforscher an der Berliner Charité, im "Tagesspiegel". "Leider hat man aber nicht die Reaktion in der Mund- und Nasenschleimhaut untersucht." Man gehe jedoch grundsätzlich davon aus, dass eine Immunantwort in den Schleimhäuten besser davor schütze, sich anzustecken und das Virus weiterzugeben. "Das schließen wir zum einen aus Tierversuchsdaten und auch aus Beobachtungen von Durchbruchsinfektionen sowie allgemein bekannten Fakten über Schleimhautantikörper."

Eine wichtige Frage bleibt

Ob die nasale Impfung tatsächlich zum entscheidenden Faktor in der Pandemie werden könnte, darüber sind sich nicht alle Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler einig. Jonas Schmidt-Chanasit, Virologe am Bernhard-Nocht-Institut in Hamburg, hält es zwar grundsätzlich für wichtig, auch Impfstoffe mit einem anderen Wirkmechanismus zu haben, etwa für Risikogruppen. "Die nasalen Impfstoffe sind aber keinesfalls nötig, um die Pandemie zu beenden", sagte Schmidt-Chanasit der "Welt". Die aktuell millionenfach stattfindenden Infektionen führten bereits zu einer besseren Schleimhautimmunität, als es die mRNA-Impfstoffe leisten könnten.

Epidemiologe Timo Ulrichs beobachtet indes eine Diskrepanz zwischen der konventionellen Impfstoffentwicklung, die "rasant voranschreitet", und der weniger schnellen Entwicklung von anderweitigen Impfstoffen. "Dabei wäre die Technologie vorhanden", um auch Ansteckungen zu verhindern, so Ulrichs. Das würde die Weitergabe des Virus massiv hemmen. "Also so, wie es zu Beginn der Pandemie von allen Anti-Corona-Impfstoffen erhofft wurde."

Eine wichtige Frage ist dabei allerdings, wie lange die erzeugte Immunität in der Schleimhaut anhält. Ein lebenslanger Schutz wie zum Beispiel bei Masern ist dabei unwahrscheinlich. "Es gibt bei Sars-CoV-2 wie auch bei anderen Atemwegserkrankungen leider keine sterile Immunität, die dauerhaft vor einer Infektion schützt", erklärte Infektiologe Christoph D. Spinner vom Klinikum rechts der Isar im Interview mit ntv.de. Mit der Zeit werde die Anzahl der Antikörper auch in der Schleimhaut abnehmen - und das Infektionsrisiko wieder steigen.

Quelle: ntv.de

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