Robin Hood der Geblitzten Italiener feiern "Fleximan", den Rächer der Raser


Carabinieri an einem Tatort von "Fleximan"
(Foto: Udo Gümpel)
Niemand wird gern geblitzt, auch nicht in Italien. Dort ist die Strategie aber nicht, langsamer zu fahren, sondern die Blitzer zu zerstören. Unter dem Namen "Fleximan" lassen sich die Unbekannten feiern, die die Blitzer absägen.
Italiens Autofahrer haben einen neuen Helden: "Fleximan", den Rächer der von Blitzgeräten "ungerecht" geschröpften Autofahrer. Er, oder besser gesagt, die Gruppe von Blitzer-Sägern, bekam schnell den Beinamen "Fleximan" in den sozialen Medien, weil sie die festinstallierten Blitzgeräte mit einer "Flexi"-Säge absägten.
Angefangen hat "Fleximan" im Mai 2022 auf den Landstraßen ringsum Rovigo, in der Region Venetien. Anfang Februar 2024 aber waren bereits knapp 20 Blitzer-Anlagen, groß und klein, Rotlichtmelder überall in Norditalien abgesägt worden. Noch tappt die Polizei im Dunkeln, was die Identität der "Fleximan" Gruppe angeht.
Tatsache ist: In Italien stehen mit 11.400 tatsächlich mehr als doppelt so viele festinstallierte Blitzer an den Straßenrändern wie etwa in Deutschland. Dort sind es lediglich 4700. Als Geschwindigkeitskontrolle auf den Autobahnen kommt das System "Tutor" hinzu. Auf rund der Hälfte der italienischen "Autostrade", auf 1670 von 3300 km, insgesamt 176 Teilstücken, messen Kameras die mittlere Geschwindigkeit der Fahrzeuge. Über die Kennzeichen werden die Halter ermittelt. In Italien gilt auf Autobahnen die Höchstgeschwindigkeit von 130 km/h.
Unmittelbar nachdem das "Tutor"-System 2004 eingeführt wurde, maß man mit 245 km/h einen Ferrari auf der Strecke von Neapel nach Rom. Als Halter wurde damals allerdings ein 90-jähriger Rentner in Apulien ermittelt, auf den noch ein weiteres Dutzend Autos angemeldet waren: Die echten Fahrer, die man nie erwischte, waren mutmaßlich Angehörige der örtlichen Mafiagruppen, deren Autos aber eingezogen wurden. Auf den vom "Tutor-System" kontrollierten Teilstrecken sank inzwischen übrigens die Anzahl tödlicher Verkehrsunfälle um die Hälfte.
Deftige Strafen
Die Bußgelder für zu schnelles Fahrens in Italien sind gesalzen: Für eine Geschwindigkeitsüberschreitung von 10 bis 40 km/h werden mindestens 173 Euro, aber auch bis zu 694 Euro fällig, bei 40 bis 60km/h zu viel können es dann auch 2170 Euro werden und überdies ist der Führerschein für drei Monate weg.
Mit den Blitzgeräten wird ordentlich Umsatz gemacht. Italiens Städte und Gemeinden kassierten 2022 rund 75 Millionen Euro Bußgelder mit dem System der festinstallierten Blitzer ein, den "Autovelox". Nicht immer jedoch, das ist der Eindruck viele Autofahrer, stehen die "Autovelox"-Masten an Unfallschwerpunkten, sondern gerne auch an Stellen, langen Geraden, an Schnellstraßen, wo der Verkehrsfluss eine höhere Geschwindigkeit erlauben würde, man aber gut abkassieren kann.
Als Anfang des Jahres immer mehr "Autovelox"-Masten abgesägt wurden, wurde "Fleximan" der heimliche Held der Sozialen Medien. Bald tauchte das Video einer Absäge-Aktion auf, mutmaßlich von den Absägern selbst gedreht: Da wurden als Helden hochgejubelt, in ganz Italien zu den Rächern der geschröpften Autofahrer erklärt. Bei Interviews auf der Straße zeigen tatsächlich viele Befragte Sympathie mit Fleximan: "Ich würde sofort Geld zu ihrer Verteidigung sammeln, wenn man sie erwischt. Ich bin selber Opfer dieser Abzocker geworden, wegen ein paar Kilometer zu viel, meinte eine Frau in Verona zu ntv und ein anderer meinte: "Das sind meine heimlichen Helden", und auf Facebook schrieb einer: "Nicht alle Helden tragen einen Mantel, manche haben Sägen", man las viele Lobeshymnen auf den Robin Hood der Autofahrer, die geldgierigen Stadtvätern ungerecht zur Kasse gebeten würden.
Teure Unfallprävention
In der Ortschaft Riese Pio X bei Treviso in Norditalien sägte "Fleximan" Ende Januar 24 an der Via John F. Kennedy ein besonders modernes Gerät ab, welches die Überschreitung der dort erlaubten 70km/h in beide Richtungen messen konnte und gestochen scharfe Bilder machte, Tag und Nacht. Eines Morgens war der Mast umgesägt. Aber mit Kenntnis der Technik: Der Mast war umgesägt, aber nicht die Kabel darin. Denn wenn diese durchtrennt worden wären, hätte dies sofort Alarm bei der Polizei ausgelöst.
Rieses Bürgermeister Marco Guidolin hat kein Verständnis für Fleximan: "Diese Stelle war ein Unfallschwerpunkt. Ich habe die Anlage dort selbst im Jahr 2017 aufstellen lassen, weil wir in den zwei Jahren zuvor dort wiederholt schwere Unfälle mit insgesamt vier Toten hatten. Nach der Installierung der "Autovelox"-Anlage gab es dort keine schweren Unfälle mehr: Wir haben dort also Menschenleben gerettet. Leider ändert sich das Verhalten vieler Menschen erst, wenn man ihnen Bußgelder androht". Die Blitzgeräte dürften nicht, wie die Fleximan-Mär erzählt, an besonders bußgeldträchtigen Stellen zum Ausplündern unschuldiger Autofahrer aufgestellt werden, sondern, wie es Guidolin betont, nur an Unfallschwerpunkten, und "wir als Gemeinden müssen dem Antrag eine genaue Unfallstatistik beifügen: Es ist dann der Regierungspräfekt, der den Blitzer genehmigt".
Das in Riese abgesägte Blitzgerät werde schnell wieder aufgebaut werden, verspricht Guidolin. Wahr sei natürlich auch, dass diese "Autovelox"-Anlage helfe, viele Bußgelder zu erheben. "Bedenken Sie aber bitte auch, dass wir nur knapp die Hälfte der verhängten Bußgelder auch wirklich einkassieren, viele Autohalter sind nicht auffindbar". Trotzdem: die Gemeinde kassiert immerhin knapp 300.000 Euro pro Jahr aus der Anlage, die dem Gesetze nach dann wieder für die Verkehrssicherheit im Ort ausgegeben werden müssen.
Kein Kavaliersdelikt
"Das Absägen der "Autovelox"-Masten ist, im Gegensatz zu dem, was in den Social Media an Ideen kursiert, kein Kavaliersdelikt", unterstreicht der Kommandant der Stadtpolizei von Verona, Luigi Altamura, der auch gleichzeitig Koordinator aller Ortspolizeieinheiten Italiens ist: "Auf das Absägen dieser Anlagen steht eine Haftstrafe von zwei bis fünf Jahren Gefängnis, weil die Straftat lautet "Beschädigung einer staatlichen Informatik-Anlage". Erwischt wurde bisher nur ein "Fleximan", ein 50-jähriger Arbeiter aus Turin: Er sägte auch nicht eine der hohen Kamera-Masten um, sondern eine kleine "Blitzer-Box" am Straßenrand.
Als erste Reaktion auf den Fleximan-Vandalismus erhöhten die betroffenen Städte die mobilen Geschwindigkeitskontrollen. Zum System der Geschwindigkeitskontrollen in Italien muss man aber wissen, dass es gesetzlich vorgeschrieben ist, dass die Kontrollen alle mit Warnhinweisen einige hundert Meter vorher angekündigt werden müssen. Wer also einigermaßen aufmerksam fährt, sieht die Warnschilder für feste und mobile Blitzer und bremst rechtzeitig ab. Die festen Blitzer sind auch allesamt in den gängigen Mobilitäts-Apps verzeichnet, die beim Annähern deutliche Warnzeichen geben. Man muss also eigentlich nicht "erwischt" werden oder sehr schnell gefahren sein.
Eigentlich ist das Blitzersystem Italiens sehr autofahrerfreundlich, meint der Kommandant, für ihn fast zu Raser-freundlich: "Wir dürfen in Italien keine versteckten Blitzer aufstellen, im Gegensatz zu Deutschland", so Luigi Altamura: "Es ist uns verboten, die Fahrzeuge von vorn zu fotografieren. Für die Raser gilt die volle Privacy. So wissen wir bei den festen Blitzern nicht, wer wirklich am Steuer gesessen hat". Nur Polizisten dürfen die erwischten Fahrzeuge bei mobilen Kontrollen anhalten. Auch müssen die Polizei in deutlich sichtbarer Uniform gekleidet sein. Bei den festen Blitzern könne man eben nicht wirklich feststellen, wer am Steuer gesessen habe: "So benennen uns dann oft die Halter die Führerscheindaten der 94-jährige Oma: sie sei angeblich gefahren. Wir müssten das Bußgeld dann im Altersheim kassieren, wenn es überhaupt noch geht."
"Freies Rasen für freie Bürger"?
Das Ziel der EU ist es, bis 2030 die Anzahl der Toten im Straßenverkehr zu halbieren. Auf Italiens Straßen starben im Jahr 2022 noch 3159 Personen, auf eine Million Einwohner umgerechnet waren es in Italien 53 Opfer, in Deutschland 34. Da ist also in Italien noch deutlich Luft nach oben. Den Rächer der Raser zu bejubeln, hilft dabei nicht, im Gegenteil. Die Politik in Italien verhielt sich recht still in Sachen Fleximan: Die betroffenen Gemeinden gehörten zu allen politischen Lagern.
Nur ein Politiker scherte aus. Matteo Salvini, Anführer der von separatistisch auf anti-europäischen Kurs umgeschwenkten Lega, versuchte sogleich, sich die Sympathien der Fleximan-Fans zu sichern. Er sagte den Städten Italiens, die innerstädtisch in Wohngebieten Tempo 30-Zonen einführen wollen, politisch den Kampf an. Es war nicht gleich der Slogan "Freies Rasen für freie Bürger", aber der Unterton ging in diese Richtung.
Viele Sympathiepunkte gewann er damit jedoch nicht, denn die Unfallstatistiken sind zu eindeutig: In 30er-Zonen gibt es sehr viel weniger tödliche Unfälle. Betroffene Bürgermeister, wie der von Bologna, denen Salvini die Verkehrsberuhigung verbieten möchte, erinnerten ihn daran, dass er selbst, als er noch Verkehrsminister war, den Gemeinden das Recht zur Einrichtung von Tempo 30-Zonen eingeräumt hatte. Nicht nur in Italien beruht der Populismus auf kognitiven Defiziten und schlechtem Gedächtnis.
Quelle: ntv.de