Panorama

Direkt aus der Raketenstation Töne aus dem Nirgendwo zum Start der Art Cologne

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Die raffinierte Architektur der Langen Foundation lässt den Blick ins Museum und auf die ersten Kunstwerke von Troika zu.

Die raffinierte Architektur der Langen Foundation lässt den Blick ins Museum und auf die ersten Kunstwerke von Troika zu.

(Foto: Dirk Tacke)

Wasser, tanzende Disteln und ein schwarzes Loch stellen in der Langen Foundation die Wahrnehmung auf den Kopf. Die Künstlerformation "Troika" bespielt das Museum und ist zudem auf der Art Cologne zu Gast. ntv.de war im Atelier.

Ketten baumeln von der Decke. Eine Bohrmaschine steht auf einem riesigen Holztisch, wartet auf ihren Einsatz. Eine Axt, Zangen und andere Werkzeuge hängen wohlsortiert an einer Wand. Pinsel stehen gut gesäubert an einem Waschbecken. Bei aller Aufgeräumtheit liegt in dem Atelier von "Troika" kreatives Chaos in der Luft. Alles haben sie selbst gebaut, auch die Möbel, erzählen die beiden Künstlerinnen und der Künstler ntv.de beim Besuch in London. "Normalerweise ist es hier nicht so ordentlich", sagt Eva Rucki. Gemeinsam mit Conny Freyer und Sebastian Noel ist sie "Troika". In diesem schmalen Häuschen, das in einem Hinterhof steht, produzieren sie ihre überraschenden Kunstwerke, die international gezeigt werden. Alles, was in London im vergangenen Jahr entstand, ist derzeit in der Langen Foundation in Neuss zu sehen. Dort stellt das Trio mit der Ausstellung "Pink Noise" die Wahrnehmung des Publikums infrage.

Töne aus dem Nirgendwo empfangen Neugierige noch bevor sie das Museum auf der Foundation Insel Hombroich bei Neuss betreten. Was vertraut, fast wie Vogelgezwitscher, klingt, sind akustische Signale aus dem Weltraum, die in der Antarktis von einem Low-Frequency-Empfänger aufgezeichnet werden. Aus geomagnetischen Stürmen und der Aktivität von Blitzen entsteht dieser himmlische Chor. Ohne komplexe Technik dahinter wäre der nicht mal als Rauschen für das menschliche Ohr wahrnehmbar.

Der mit Wasser geflutete Raum sechs Meter unter der Erde wirkt dystopisch und gleichzeitig beruhigend.

Der mit Wasser geflutete Raum sechs Meter unter der Erde wirkt dystopisch und gleichzeitig beruhigend.

(Foto: Dirk Tacke)

Einen sechs Meter unter der Erde liegenden Raum der Langen Foundation haben "Troika" komplett geflutet. Mit dem schwarz schimmernden Wasserbecken im Keller spiegeln die drei KünstlerInnen das Wasserbecken vor dem Haus und erinnern zudem an den Braunkohleabbau, der die Region prägte. Über Felsplatten kann das Publikum trockenen Fußes zu einem Vorhang aus Wassertropfen balancieren. Das Wasser rast allerdings aus dem Bassin in Richtung Decke. Wird die Schwerkraft tatsächlich ausgehebelt? Nein. Das menschliche Gehirn wird ganz einfach übertölpelt. Es lohnt sich einfach, einen Ausflug nach Neuss zu machen.

Kapitalistischer Hunger

Dystopisch wirkt der unter Wasser gesetzte Raum durch orangefarbenes Licht sowie schwebende und durchs Wasser staksende Wesen, die aus Archiven digitalisierter Museumsobjekte stammen. Zudem bildet alles die dämmrige Atmosphäre "einer postindustriellen Gesellschaft ab, in der wir leben", sagt Sebastian Noel. "Als wir 2015 das Museum zum ersten Mal besuchten, haben wir sofort gedacht, dass es toll wäre, hier eine Ausstellung zu machen", erinnert er sich. Dass die Langen Foundation auf dem Gelände einer ehemaligen Raketenstation der NATO liege, jetzt von Kunst, Natur und Landwirtschaft umgeben sei, habe sie als "Troika" brennend interessiert, ergänzt Eva Rucki. Als Jahre später die Anfrage kam, war sofort klar, dass sie zusagen und sich ihren Traum erfüllen.

"Troika" am Wasserbecken vor dem Museum: Conny Freyer (li.), Eva Rucki und Sebastian Noel.

"Troika" am Wasserbecken vor dem Museum: Conny Freyer (li.), Eva Rucki und Sebastian Noel.

(Foto: Dirk Tacke)

Über ein Jahr haben sie sich mit der minimalistischen Gebäudestruktur aus Beton und Glas des japanischen Architekten Tadao Ando auseinandergesetzt. Sie haben in ihrer Werkstatt nicht nur an ortsspezifischen Kunstwerken gearbeitet, sondern auch in der halben Etage unterm Dach diskutiert und alle Details ihrer Arbeiten durchgesprochen. Auf einem langen Schreibtisch stehen drei große Bildschirme, daneben dicke Bücherstapel. Wälzer über wissenschaftliche und philosophische Themen, aber auch feministische Schriften, vieles zu Wirtschaftssystemen und Klimawandel. Die Fragen, die sie bewegen: "Was richtet der kapitalistische Hunger nach immer neuen Technologien an, wie verändert Technologie unser Leben und unser Verhältnis zur Natur? Wie können wir das als Künstler übersetzen, ohne zu belehrend zu werden?"

Idylle? Oder Naturkatastrophe?

Kennengelernt haben sich die beiden 1976 geborenen Deutschen und der ein Jahr jüngere Franzose in London am Royal College of Art. Gemeinsame Themen und ein endloser Diskussionsfluss ließen sie 2003 geradezu organisch zu "Troika" zusammenwachsen. "Wir haben in einem Wohnzimmer begonnen", sagt Conny Freyer und schaut sich in dem vor zwei Jahren frisch bezogenen Studio um. Im ersten Stock wird viel mit Farbe gearbeitet. Hier entstehen großformatige Pixel-Malereien aus nur 16 Rot-, Grün- und Blautönen. Rot, Grün und Blau sind die Farben der begrenzten Palette, mit denen Maschinen sehen. Der Bildbetrachter wird jetzt selbst zur Maschine und erkennt in kleinen Tupfen Palmen, die sich im Wind biegen. Was idyllisch gelesen werden kann, zeigt jedoch Bilder von Naturkatastrophen. Gespeichert von Umweltüberwachungssystemen, bevor sie zerstört wurden. Milliarden solcher Bilder werden ungesehen auf Servern hinterlegt. Diese verschlingen so viel Energie, dass sie damit wieder zu Naturkatastrophen beitragen.

Palmen, die vom Hurrikan Irma, 2017, in der Karibik zerstört wurden. So gemalt, wie digitale Videokameras sie sehen.

Palmen, die vom Hurrikan Irma, 2017, in der Karibik zerstört wurden. So gemalt, wie digitale Videokameras sie sehen.

(Foto: Dirk Tacke)

In ihren Installationen, Videoarbeiten, Skulpturen und Malereien geht es um digitale und reale Welten, Algorithmen und Künstliche Intelligenz. "Troika" suchen nach den diffusen Grenzen zwischen "Natur und Künstlichkeit, Realismus und Romantik, dem Lebendigen und Nichtlebendigen, uns und den anderen", schreibt das Kuratorenduo, Dehlia Hannah und Nadim Samman, im Ausstellungstext. Im täglichen Leben treibt die Technologie die Menschen vor sich her, die digitale Welt beeinflusst längst den Alltag jenseits der Bildschirme. Unendlich erfasste Datenmengen befeuern Profit, verändern die Gesellschaft und die Umwelt. "Troika" benutzen für ihre Kunstwerke neueste Technologie. Sie versuchen so dem Publikum seine Orientierungslosigkeit in dieser schönen neuen Welt bewusst zu machen. Die Themen sind nicht leicht verdaulich, doch diese Kunst ist anziehend schön. "Es ist eine kleine Falle, die wir stellen", sagt Sebastian Noel lächelnd.

Wie begrenzt unsere Sinne sind

Seit zwanzig Jahren arbeiten sie Hand in Hand, ergänzen sich perfekt. Sie haben gelernt, Wissenschaft und Technologie mit ihrer vielschichtigen Kunst zu kombinieren. Das schwarze Loch, das in einem nahezu leeren Raum schwebt, entpuppt sich bei näherer Betrachtung als geometrische Figur. Es wird je nach Position zum Quadrat, zum Sechseck und wieder zum Kreis. Schwarze Pigmente schlucken jegliche Lichtreflexe. Einmal mehr wird klar, wie begrenzt unsere Sinne sind.

Tanzen die Disteln wirklich oder ist das eine technologische Illusion?

Tanzen die Disteln wirklich oder ist das eine technologische Illusion?

(Foto: Dirk Tacke)

Ach, und dann sind da noch diese blau leuchtenden Disteln. Sie wachsen aus einem Haufen verheißungsvoll schimmernder Siliziumsteine. Noch während man überlegt, ob die Pflanzen da überhaupt wachsen können, erwachen sie zu Lebewesen. Beginnen zu tanzen. Was ist menschliche Fantasie, was ist technologische Illusion? Alles scheint sich in der Langen Foundation miteinander zu vermischen. Fragen tauchen auf, geistern durch den Kopf. "Troika" schubsen uns an, das Selbstverständnis, mit dem wir digitale Technologien nutzen, neu zu überdenken.

"Pink Noise" läuft bis zum 16. März in der Langen Foundation, Raketenstation Hombroich 1, 41472 Neuss

Die 57. Art Cologne startet am 7. November mit dem Previewtag, vom 8. bis 10. November ist die Messe für Publikum geöffnet. "Troika" bei Galerie max goelitz, booth A-204, Messeplatz1, 50679 Köln

Quelle: ntv.de

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