Panorama

Horror nimmt kein EndeKenias Hungersekte treibt Menschen weiter in den Tod

24.07.2023, 16:26 Uhr
imageVon Simone Schlindwein, Kampala
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Die Sektenanhängerinnen und -anhänger folgen offenbar weiterhin dem Gebot zu hungern. (Foto: dpa)

Obwohl der Sektenführer in Haft ist, finden Kenias Forensiker erneut Tote im Shakahola-Wald. Offenbar treiben seine Helfer in dem dichten Urwald entlang der Küste zum Indischen Ozean weiterhin ihr Unwesen. Die Gräber sind frisch, die Leichen darin auch.

Mittlerweile steht das geschützte Waldgebiet Shakahola in der Nähe der Küstenstadt Mombasa für eines der schlimmsten Horror-Szenarien, die sich in Kenias jüngster Geschichte je zugetragen haben. Denn erst vergangene Woche haben Forensiker weitere Tote gefunden, einige sind erst jüngst dort vergraben worden. Die Zahl der Leichen, die kenianische Behörden seit April aus dem Waldgebiet geborgen haben, beläuft sich mittlerweile auf 425. Die endgültige Todeszahl steht immer noch nicht fest.

Die über 400 Anhänger der Sekte Good News International, darunter auch viele Kinder, haben sich auf Geheiß ihres Sektenführers Paul Mackenzie Nthenge zu Tode gefastet. Zuvor war ihnen offenbar weisgemacht worden, dass das Ende der Welt nahe sei und dass nur diejenigen in den Himmel kommen, die sich zu Tode hungern. Einige Opfer wurden demnach aber auch erwürgt, totgeprügelt oder erstickt. Unter ihnen waren demnach mehrere Kinder.

Im April war Sektenführer Mackenzie gemeinsam mit 37 weiteren Sektenmitgliedern verhaftet worden. Er solle wegen Mordes und Terrorismus angeklagt werden, so die Staatsanwaltschaft. Sie forderte eine dreimonatige Untersuchungshaft für den Sektenführer, während die Ermittlungen weiter laufen. Gewährt wurde zunächst nur eine Zeitdauer von einem Monat, wurde aber letztlich auf drei Monate verlängert. Diese Frist läuft nun Ende Juli erneut ab.

Sterben nimmt kein Ende

Eine Anklage konnte bislang offiziell noch nicht erfolgen, weil Forensiker täglich weitere Leichen bergen, erklärte jetzt das Gericht. Erst vergangene Woche wurden weitere 16 Tote entdeckt. Manche Leichen, so lassen es Quellen aus dem Forensik-Team gegenüber kenianischen Medien verlauten, sind angeblich noch sehr frisch. "Man erkennt, dass die Leichen frisch sind, weil der Zersetzungsgrad so gering war. Die 16 Leichen stammten aus neun Gräbern, in denen sich jeweils mehr als eine Leiche befand", so die Quelle, deren Namen nicht veröffentlicht wurde, gegenüber kenianischen Medien. Die Indizien lassen angeblich darauf schließen, dass die Leichen erst in den vergangenen Wochen vergraben wurden.

Im Juni hatten die Forensiker erneut eine mehrwöchige Pause des Bergungsprozesses in dem dichten Wald hingelegt. Der Grund: Die Leichenhalle in der nahe gelegenen Stadt Malindi war voll, die von Weitem herangeschafften Kühlcontainer auch. Die Rechtsmediziner mussten erst zahlreiche ausstehenden Autopsien durchführen und Platz schaffen, bevor weitere Leichen ausgegraben werden konnten.

Offenbar waren in dieser Pause jedoch nun weitere Menschen dort begraben worden. Die Polizei und Geheimdienste suchen inzwischen nach Helfern des verhafteten Mackenzie, die den Kult weiter betreiben. Sicherheitsdienste vermuten, einige Helfer waren bei der Razzia im April, als die Polizei den Wald stürmte, entkommen.

Mentale Zurechnungsfähigkeit zweifelhaft

Wie stark der Hungerkult nach wie vor anhält, obwohl deren Drahtzieher entlarvt wurden, zeigt sich auch am Verhalten der Überlebenden, die in einem zukünftigen Prozess als Zeugen dienen. Insgesamt 96 Menschen, darunter zahlreiche Kinder, waren im April, als die Polizeieinheiten den Wald stürmten, lebend gefunden worden. Die meisten waren extrem abgemagert und kurz davor, ebenfalls an Hunger zu sterben.

Über 60 der Überlebenden wurden aus medizinischen Gründen von den Behörden in ein Aufnahmezentrum eingewiesen. Die meisten fasteten dort jedoch weiter und drohten zu sterben. Erwachsene zwangen auch ihre Kinder zum Fasten. Im Juni wurden sie letztlich von der Staatsanwaltschaft vor das Gericht geladen, um ihre Verlegung in ein Gefängnis anzuordnen. Die Staatsanwaltschaft erklärte den Richtern, dass es im Gefängnis gesetzlich möglich sei, die Zeugen mit Zwangsernährung am Leben zu halten. Die meisten fingen nach einer Woche im Gefängnis freiwillig an zu essen und wurden dann wieder in die Aufnahmestation zurückgebracht. Der zuständige Richter zeigte sich besorgt, die Überlebenden nach Hause gehen zu lassen, solange ihre mentale Zurechnungsfähigkeit nicht vollständig bestätigt werden kann.

Kenias Behörden stehen in diesem Fall unter extremen Druck. Sie wollen alle weiteren Fehler vermeiden. Der Grund: Kenias Bevölkerung betrachtet den Horror im Shakahola-Wald als Symptom des Staatsversagens. Der berühmte Fernsehprediger Mackenzie, einst Taxifahrer und selbst Vater von sieben Kindern, war der Polizei bereits bekannt. Er war schon 2017 unter dem Vorwurf der "Radikalisierung" festgenommen worden, nachdem er Familien aufgefordert hatte, ihre Kinder nicht zur Schule zu schicken. Im März 2023 war er dann erneut festgenommen worden, nachdem zwei Kinder in der Obhut ihrer Eltern verhungert waren. Er kam damals auf Kaution frei - und konnte unbeobachtet weiter 400 Menschen zum Tod verführen.

Quelle: ntv.de

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