Panorama

Zwischen Humor und WutKleine Anstöße stellen Geschlechterstereotype infrage

16.11.2025, 18:02 Uhr IMG-20181022-173026Solveig Bach
Vater-kocht-Essen-und-haelt-eine-kleine-Tochter-in-der-Kueche-und-bereitet-Suppe-zu-Father-cooking-meal-holding-toddler-daughter-in-kitchenn-preparing-soup-Copyright-imageBROKER-TYMOSHCHUKxANDRIY-ibxiqx15469053
Ein Vater, der mit Kind kocht. Supermann, Normalität oder was? (Foto: IMAGO/imagebroker)

Wie steht es eigentlich um die Gleichberechtigung? Ziemlich gut hierzulande, lautet meist die Antwort. Bis der Blick auf all die Stereotypen und Benachteiligungen fällt, die daran große Zweifel aufkommen lassen. Hier setzt Mikrofeminismus an.

Eine Frau bietet einem Mann an, seine Tasche zu tragen, weil die vermutlich zu schwer für ihn ist. Eine Lehrkraft ruft zuerst den Vater eines Kindes an, das in der Schule abgeholt werden muss. In den Nachrichten werden die Ergebnisse im "Männerfußball" verlesen. Das alles sind Beispiele für Mikrofeminismus.

Wofür? Für kleine Gesten oder alltägliche Handlungen, die Geschlechterungleichheiten auf subtile Weise sichtbar machen oder hinterfragen. "Wir leben in einer Welt, die sehr männlich ausgerichtet ist", sagt Evelyn Höllrigl Tschaikner ntv.de. "Das hat lange Zeit einfach funktioniert. Jetzt wird das immer öfter hinterfragt."

Höllrigl Tschaikner hat in ihrem gerade erschienenen Buch "The Daily Feminist" 199 Beispiele für mikrofeministische Handlungen zusammengetragen. Viele davon sind zuvor auf ihrem Instagram-Kanal @little.paper.plane erschienen oder diskutiert worden. Dabei hat sie die Erfahrung gemacht, "dass das Verständnis und auch die Gespräche darüber in den eigenen Netzwerken, im Freundeskreis oder in Familien schon etwas bewegen können, weil es einfach im Kleinen für ein kollektives Verständnis für diese Ungerechtigkeiten sorgt".

Die Haltung hinter der Handlung

Auf den ersten Blick wirken viele dieser Handlungen tatsächlich klein und vielleicht auch gar nicht so bedeutend. "Aber wenn viele Individuen gleichzeitig dieselben Gedanken und auch Wünsche haben, dann kann das ja was ändern", sagt die 38-Jährige. "Und ich finde, darin liegt schon etwas sehr Schönes und auch Kraftvolles."

Wie das Beispiel mit der Lehrkraft zeigt. Für viele Menschen erscheint es normal, dass die Mutter angerufen wird, wenn es einem Kind in der Schule gesundheitlich nicht gut geht. Denn oft wird davon ausgegangen, dass Mütter fürsorglicher sind als Väter, dass sie ihre Arbeit leichter hintanstellen können, weil sie vermutlich ohnehin weniger Stunden arbeiten und auch weniger verdienen als der Vater. Es wird angenommen, dass sie eher erreichbar sind und auch, dass sie mehr dafür zuständig sind, sich um das Kind zu kümmern.

All diese Annahmen werden mit einem Anruf infrage gestellt. Vielleicht ist die Mutter Alleinverdienerin und der Vater mit den Kindern zu Hause? Vielleicht sprechen sich die Eltern ab, wer an welchem Tag im Job besser abkömmlich ist? Vielleicht folgen Lehrkräfte einfach nur gesellschaftlichen Stereotypen, weil schon immer die Mutter angerufen wurde? All das könnte man diskutieren.

"Es geht einfach darum, zu reflektieren", sagt Höllrigl Tschaikner. Auch wenn gerade nicht mehr ständig über das Gendern gesprochen wird, macht die Autorin viele mikrofeministische Ansätze an Sprache fest. "Wieso sprechen wir von einem Familienvater, aber nicht von einer Familienmutter, von einer Working Mom, aber nicht von einem Working Dad, von einer Rabenmutter oder einer Powerfrau?" Mit jeder dieser Formulierungen sind Zuschreibungen verbunden, welche Rolle jeder und jede in der Gesellschaft einnimmt. Bei der Powerfrau schwinge beispielsweise das Erstaunen mit, dass eine Frau stark ist.

Manchmal hilft nur Humor

Für Höllrigl Tschaikner ist Mikrofeminismus eine Möglichkeit, im Alltag die Themen Feminismus und Gleichberechtigung zu verfolgen, ohne unbedingt laut zu sein. Zwar sei es auch wichtig und richtig, auf Demos zu gehen oder sich politisch zu engagieren, oft helfe aber auch einfach Humor. Und der kommt bei vielen mikrofeministischen Handlungen nicht zu kurz, wie ein Beispiel aus Hessen zeigt.

In Friedrichsdorf im Hochtaunus brachte die CDU-Fraktion einen Antrag ein, dass in der Feuerwehrsatzung der Gemeinde auf die bis dahin übliche Nennung der weiblichen und männlichen Formen verzichtet werden soll. Stattdessen sollten die "genannten Personenbezeichnungen alle geschlechtlichen Formen" umfassen. Das wurde auch so beschlossen. Der Bürgermeister setzte das um, indem die weiblichen Formen beibehalten wurden. In der Feuerwehrsatzung steht nun etwa: "Die Angehörigen der Einsatzabteilung haben das Recht zur Wahl der Stadtbrandinspektorin, ihrer Stellvertreterinnen, der Wehrführerin, der stellvertretenden Wehrführerin sowie der Mitglieder des Feuerwehrausschusses." Männer sind immer mitgemeint.

Manchmal hilft allerdings auch Humor nicht. "Wenn jemand sexistische Witze macht, kann ich einfach nicht mitlachen", sagt Höllrigl Tschaikner. Dann könne es Mikrofeminismus sein, zu fragen: Was findest Du jetzt daran lustig? Oder zu sagen: Ich finde das gar nicht lustig. "Das ist unbequem und füttert natürlich auch dieses Narrativ der spaßbefreiten Feministin. Aber ist es wirklich lustig, wenn Frauen abgewertet werden?"

Gerechtfertigte Wut

Für die Autorin gibt es noch einen weiteren Nebeneffekt. Je mehr dieser oft frauenfeindlichen Mechanismen man sich klar mache, desto wütender werden viele. Viele Frauen hätten aber schon immer gelernt, Wut zu unterdrücken, zu schlichten und Harmonie zu schaffen. "Ich glaube, dass es wichtig ist, gemeinsam wütend zu sein und auch dazu zu stehen. Frauen haben ein Recht auf diese Wut."

Anzeige
The Daily Feminist: 199 konkrete Handlungstipps für Gleichberechtigung im Alltag - Mikrofeminismus wirkt! - Der SPIEGEL Bestseller vom beliebten Instagram-Account @little.paper.plane
20
20,00 €

Allen, die das eigenartig finden, sage sie: "Ist es nicht bezeichnend, dass Sie lieber in einer Welt leben wollen, in der Frauen offensichtlich benachteiligt werden und sich unwohl fühlen? Das ist Ihnen lieber als eine Gesellschaft, in der es allen einigermaßen gut geht?"

Und dann schenkt sie ihrem Mann Blumen, spricht in E-Mails zuerst alle weiblichen Personen an und lobt Mädchen gezielt für ihre Intelligenz, ihre Stärke oder ihre Willenskraft und nicht für ihr Aussehen.

Quelle: ntv.de

MännerGendernFrauenSoziale NetzwerkeGleichberechtigung