
Der 14-jährige Muhlis Ari im November 1998 bei seiner Ankunft in Istanbul, neben ihm seine Freundin.
1998 macht Muhlis Ari unter dem Namen "Mehmet" Schlagzeilen, als er mit 14 Jahren als Intensivstraftäter ausgewiesen wird. Ohne seine Eltern schicken die Behörden den in Deutschland geborenen Teenager in die Türkei. Mehrere Rückkehrversuche scheitern.
Schon vor seinem 14. Geburtstag hat Muhlis Ari 61 Straftaten verübt, für die er wegen seines Alters nicht zur Rechenschaft gezogen werden kann. Bei seiner 62. - einem schweren Raub mit Körperverletzung - ist Ari strafmündig und wird am 3. Juli 1998 zu einem Jahr Haft ohne Bewährung verurteilt. Am 14. November fliegt der unter dem amtlichen Pseudonym "Mehmet" geführte Serienstraftäter in Begleitung dreier Grenzschutzbeamter und seiner zwei Jahre älteren Freundin Jasmin K. nach Istanbul. Es ist eine Reise ohne Aussicht auf Wiederkehr. Bayerns CSU-Innenminister Günther Beckstein hat "Mehmet" wegen der Vielzahl seiner kriminellen Verfehlungen abschieben lassen.
Die Abschiebung des in München geborenen Jungen in das Heimatland seiner ebenfalls in München lebenden, allerdings auch nach 30 Jahren noch nicht Deutsch sprechenden Eltern ist umstritten. Kritiker meinen, es könne nicht sein, dass ein hierzulande aufgewachsener Jugendlicher in ein fremdes Land verbannt werde, weil er zum Problemfall geworden ist. Zudem wird der 14-Jährige allein in die Türkei geschickt, ohne Vater und Mutter. Zwar wollte Beckstein die Eltern wegen "gröblicher Verletzung" ihrer Aufsichtspflicht zunächst mit ausweisen, doch der Verwaltungsgerichtshof lehnte diesen Antrag ab.
Kurze Karriere beim Fernsehen

1999 wird die Klage gegen Muhlis Ari aus Mangel an Beweisen fallengelassen, der TV-Sender entlässt ihn trotzdem.
(Foto: picture-alliance / dpa)
In Istanbul gibt es nach der Ankunft "Mehmets" einen ungeheuren Medienrummel um den 14-Jährigen. Der türkische Jugendsender "Kral TV" macht ihn sogar zum Moderator einer Pop-Show. Doch auch dort gibt es bald Ärger. Als ein Handy und ein Laptop verschwinden, fällt der Verdacht schnell auf Ari, doch fehlen die Beweise. Die Anklage wird fallen gelassen, entlassen wird Ari trotzdem. Einer seiner türkischen Anwälte will die Bundesrepublik vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte verklagen und so zwingen, den Teenager wieder zu Hause in München bei den Eltern leben zu lassen. In der Türkei lebt "Mehmet" abwechselnd bei Bekannten, Familienmitgliedern und in Kinderheimen.
2001 dann erklärt der Bayerische Verwaltungsgerichtshof die Abschiebung des inzwischen 17-jährigen Intensivtäters für rechtswidrig. Die Stadt München kündigt eine Beschwerde gegen das Urteil an, doch Aris Anwalt Alexander Eberth hält eine "einstweilige Einreise-Erlaubnis" noch vor Weihnachten für möglich. Doch erst im Folgejahr kehrt "Mehmet" in seine bayrische Heimat zurück. Dort wird er von Sozialarbeitern betreut, schafft sogar seinen Hauptschulabschluss mit einem Notendurchschnitt von 1,5. Muhlis Ari gilt als resozialisiert.
"Gebrandmarkt vom bayerischen Innenministerium"
Drei Jahre später dann der kriminelle Rückfall. Ari, jetzt 20 Jahre alt, wird wieder verhaftet. Er hat seine eigenen Eltern verprügelt und erpresst. Bayerns Innenminister Beckstein fordert direkt nach seiner Verhaftung die erneute Ausweisung, doch Ari verschwindet nach seiner Verurteilung zu 18 Monaten Haft lieber freiwillig und setzt sich in die Türkei ab. Eine Rückkehr nach Deutschland würde jetzt die sofortige Festnahme bedeuten.
2012 möchte "Mehmet" trotzdem zurückkehren. Inzwischen ist Joachim Herrmann bayerischer Innenminister, doch auch er ist strikt gegen eine Wiederkehr des Serienstraftäters. Er sei gefährlich, sagt Herrmann damals. Wenn er nach Deutschland einreise, "muss er seine gerechte Strafe absitzen". An eine Läuterung, die Ari und seine Anwälte versprechen, glaubt Herrmann nicht. Und auch das saubere türkische Führungszeugnis kann ihn nicht überzeugen.
Ari selbst sieht sich als Opfer der Politik, fühlt sich vom bayerischen Innenministerium gebrandmarkt. "Man kann doch keinem 28-jährigen Mann heute noch Sachen vorwerfen, die er mit 14 Jahren getan hat", sagt Muhlis Ari der "Süddeutschen Zeitung" seinerzeit. In den vergangenen Jahren sei er kein einziges Mal mehr straffällig geworden.
Zu dieser Zeit lebt Ari in der türkischen Kleinstadt Çerkezköy, rund 80 Kilometer entfernt von Istanbul. Nach Informationen der "Bild"-Zeitung verkauft er dort Sportwaffen, besitzt eine Paintball-Anlage. "Damals war ich ein Kind, das nicht richtig gefördert wurde. Und heute bin ich ein erfolgreicher Geschäftsmann", sagt er laut "Bild"-Zeitung. Die erste Abschiebung in die Türkei sei jedoch das Schlimmste gewesen, was er in seinem Leben erlebt habe.
Keine "heilsame Wirkung"
Als ein Jahr später seine Autobiografie "Sie nannten mich Mehmet. Geschichte eines Ghettokindes" erscheint, will er diese auf der Frankfurter Buchmesse präsentieren. Doch auch jetzt wird ihm die Einreise verweigert. "Es gibt keine Betretenserlaubnis von der Stadt Frankfurt am Main", so Ordnungsdezernent Markus Frank.
In jenem Jahr begegnen sich Ari und der ehemalige bayerische Innenminister Günther Beckstein zum ersten Mal persönlich in der Türkei. "Sie haben mein Leben zerstört, Herr Beckstein", hält der jetzt 29-jährige Muhlis Ari dem einstigen CSU-Minister vor, wie die "Bild am Sonntag" berichtet. Die Zeitung hatte ein Gespräch mit den beiden in Istanbul organisiert. Beckstein verteidigt dagegen die Abschiebung auch im Rückblick: "Die Straftaten wurden immer härter, es war eine Entwicklung. Ich habe ganz klar gesagt: Das Schicksal der Opfer ist mir wichtiger als das Schicksal von 'Mehmet'". Außerdem habe das harte Durchgreifen eine heilsame Wirkung gehabt. "Wenn Sie jetzt offenbar ein anständiges Leben führen und weg von der Kriminalität sind, ist das ein Stück mein Verdienst."
Neue Verurteilung in der Türkei
Ganz so anständig ist "Mehmets" Leben in der Türkei dann aber womöglich doch nicht. Im Oktober 2013 wird er von einem Gericht in Antalya in einem gerade einmal zweiminütigen Verfahren wegen schweren Raubes und Freiheitsberaubung zu einer Haftstrafe von elfeinhalb Jahren verurteilt. "Eine Uhr und eine Halskette im Wert von mehreren zehntausend Euro sollen gestohlen worden sein", sagt Aris Anwalt Burkhard Benecken. Dennoch befindet sich Ari auf freiem Fuß, will in Berufung gehen.
Laut Angaben des 63-jährigen Klägers Rouven A. aus München, der nicht vor Gericht erschien, sondern lediglich im August 2012 Anzeige erstattete, habe Ari den Raubüberfall zusammen mit einem Komplizen begangen. Ari habe dabei keine aktive Rolle gehabt und sei ebenfalls geschlagen worden. Das aber hielt Rouven A. angeblich für eine Inszenierung, mit der Aris Beteiligung an dem Verbrechen verschleiert werden sollte. Der zweite Angeklagte wurde ebenfalls zu elf Jahren und sechs Monaten Gefängnis verurteilt.
Allerdings kannten sich Ari und Rouven A., sollen in München sogar Geschäftspartner gewesen sein. Aus Geschäftsdokumenten ging laut Anwalt Benecken hervor, dass Ari dem Mann mehrere Tausend Euro schuldete. Benecken bezeichnet sowohl die Vorwürfe als auch das Verfahren gegen Ari als "sehr dubios" und rechnet fest mit einem Freispruch in nächster Instanz. Geklärt ist diese Angelegenheit bis heute nicht. "Bei dem Strafverfahren handelt es sich um ein schwebendes Verfahren, das bislang noch nicht rechtskräftig abgeschlossen ist", so Benecken jetzt zu n-tv.de. "Ich halte eine endgültige Entscheidung im Jahre 2019 für realistisch."
Autobiografie als Spielfilm
Im Frühjahr 2017 macht "Mehmet" aus der Türkei heraus noch einmal Schlagzeilen, als er auf Jan Böhmermanns Erdogan-Schmähgedicht mit einem Konter reagiert und gegen den TV-Moderator und Satiriker hetzt: "Humor hast du Kartoffel nicht, seh es endlich ein / Der Alman ist nicht lustig, höchstens mal gemein / Dönermann, du bist der beste Beweis / Deutscher Humor, das ist der letzte Scheiß." Offenbar hofft er auf Aufmerksamkeit aus der alten Heimat: "Wenn Böhmermann seine eigenen Worte ernst nimmt, wird er ja nichts gegen mein Gedicht haben. Vielleicht liest er es ja sogar in seiner ZDF-Sendung vor", schreibt er, löscht den Post aber bald wieder von seiner Facebook-Seite.
Benecken hält den heute 33-jährigen Ari inzwischen für gereift. "Er ist in Istanbul als Kaufmann aktiv, würde gerne heiraten und eine Familie gründen", sagt er und fährt fort: "Mein Mandant möchte seinen Wohnsitz in der Türkei nicht aufgeben, aber gewisse Zeiträume gerne wieder in Deutschland verbringen. Er fühlt sich nach wie vor als Bayer und hat in München viele Freunde und Verwandte, zu denen er ständigen Kontakt hält. Wenn er in der Türkei straffrei bleibt und ein sauberes türkisches Führungszeugnis vorlegen kann, dürften juristisch keine Argumente gegen eine Wiedereinreise mit einem Touristenvisum sprechen."
Ari will laut Benecken nach seiner Rückkehr nach Deutschland eine Initiative gegen Gewalt gründen und damit Jugendlichen helfen, nicht kriminell zu werden. Außerdem habe er erste Angebote erhalten, seine Biografie als Kino- beziehungsweise Fernsehspielfilm umzusetzen. Muhlis Ari selbst wolle den 20. Jahrestag seiner Abschiebung nutzen, um zum Ausdruck zu bringen, dass er in jungen Jahren schwere Fehler gemacht habe, die er heute bereut. "Ich möchte meine Erlebnisse jungen Menschen mitteilen, um sie davor zu warnen, auf einen solchen Weg zu kommen. Es ist nicht erstrebenswert, ein 'Mehmet' zu werden", zitiert ihn sein Anwalt.
Quelle: ntv.de