Panorama

Eine für alle Tod mit 17: Nie mehr alles und nur noch nichts

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Woran soll man glauben, wenn das Leben so ungerecht ist? An Engel?

Woran soll man glauben, wenn das Leben so ungerecht ist? An Engel?

(Foto: IMAGO/Funke Foto Services)

Ein Kind ist gestorben, eine junge Erwachsene. Sie war neugierig, wie so viele, fühlte sich unbesiegbar. Doch während die Kolumnistin um eine 17-Jährige weint, dreht die Welt sich erbarmungslos weiter.

Ganz ehrlich? Noch nie ist es mir so schwergefallen, eine Kolumne zu schreiben. Denn nichts erscheint mir gerade wirklich wichtig. Dass die Welt sich momentan selbst aus den Angeln hebt, das wissen Sie. Dass die Menschheit zu blöd ist - geschenkt, wir sind ein Teil davon. Der Dritte Weltkrieg scheint vor der Tür zu stehen - keine Talk-Show in den vergangenen Wochen, die das nicht thematisiert. Allein - verstehen wir das? Haben wir das WIRKLICH verstanden, dass unser schönes Bullerbü-Building gerade dabei ist, komplett einzufallen?

Selbst auf Geburtstagsfeiern reden wir über Kriegstüchtigkeit, Wehrhaftigkeit, wir fragen nicht mehr, OB "der Russe" irgendwann vor der Tür steht, sondern nur noch WANN. Wir differenzieren auch nicht mal mehr zwischen guten und schlechten Russen. Wir diskutieren darüber, "ob wir unsere Kinder in den Krieg schicken würden" (nein, aber das müssen sie eh allein entscheiden, denn sie wären ja erwachsen und könnten und müssten tun, was sie selbst für richtig halten); wir sprechen darüber, ob wir es verkackt haben, ob wir dumm und blind waren, die letzten Jahre in unserem Vor-Corona- und Generation-Easy-Jet-Leben. Die einen sagen so, die anderen so.

Ich habe in der letzten Woche mal wieder mit sehr vielen schlauen Menschen gesprochen, Marie-Agnes Strack-Zimmermann war darunter, oder Ulrich Meyer, der Journalist, der früher die Sendung "Der heiße Stuhl" moderiert hat. Oder meine Freunde. Alles sehr kluge Menschen. Aber wir können uns um den Verstand diskutieren, wenn wir nicht verstehen, dass wir möglichst schnell anfangen sollten, zumindest den Eindruck zu erwecken, dass wir uns wehren können. Wollen. Dass nicht alle vorhaben, abzuhauen, wenn es wirklich hart wird. Wir sollten uns wirklich stärker zusammentun!

Schlag ins Gesicht

Was aber, denken Sie, ist die Meldung, die echt so richtig gut geklickt wurde in der vergangenen Woche? Richtig: Ob und wie Jeff Bezos, dieser Lackaffe, seine durchoperierte Schnalle heiratet. Bitte, Venezianer, zieht den Stöpsel aus euren Kanälen und macht es den Bekloppten dieser Welt einfach unmöglich, dort zu heiraten! In dem Fall zu spät, verstehe, ist schon passiert, aber es ist doch nicht auszuhalten: Hunderte Privatjets, darunter Schauspieler, die sich selbst als Ökoaktivisten ("Hi Leo") belobhudeln lassen, fluten die gern als Lagunenstadt bezeichnete Touristenattraktion Venedig. Ich kann wirklich nicht so viel essen, wie ich kotzen möchte!

Wie peinlich, pietätlos und trampelig kann man denn sein, angefangen bei Schaumparties auf Luxusjachten bis hin zur Sperrung einer halben Stadt, die eh schon am Absaufen ist. Aber ich habe mir vorgenommen, mich in meinem hohen Alter nicht mehr allzu doll aufzuregen, denn Krebs, Demenz, Diabetes oder zumindest Blutfettwerte im höchsten Bereich drohen, mich dahinzuraffen.

Warum ich aber eigentlich sprachlos bin, ist aus diesem Grund: Ein Mädchen stirbt. Mitten in Deutschland. Mit 17. Sie hat aus Neugier eine pinke Pille eingeschmissen. Sie ist tot. Das ganze Leben lag noch vor ihr. Sie hatte Pläne. Ja, sie war wild und neugierig, sie hat sich nicht gern was sagen lassen. Sie hat sämtliche Einwände mit ihren viel zu langen Fingernägeln an den noch so zarten Händen weggewischt und die Bedenkenträger ausgelacht. Sie hat Dinge gefühlt, von denen sie glaubte, die hätte noch nie jemand gefühlt. Sie war so jung, sie durfte so arrogant denken, das haben wir alle getan, als wir jung waren.

Jetzt haben wir sie beerdigt und nichts ist mehr, wie es mal war. Nichts wird, wie es hätte werden sollen. "Nie mehr alles und nur noch nichts", hat die nun verwaiste, unfassbar starke Mutter des Mädchens gesagt, als sie ihr Kind zu Grabe getragen hat. Welchen Sinn hat das Leben für eine Mutter, wenn sie ihr einziges Kind beerdigen muss? Das Surreale an dieser Situation ist unermesslich, genau wie der Schmerz.

Quelle: ntv.de

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