
Wenn Eltern auf eine enge Bindung zum Nachwuchs setzen, machen sie schon vieles richtig.
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Die meisten Menschen wollen gute Eltern sein oder haben. Doch oft gelingt das nicht. Soziologin Ruth Abraham führt das auf veraltete Erziehungsauffassungen zurück. Mehr als die richtige Methode zähle Beziehung, sagt sie.
Viele Eltern hangeln sich von einem Erziehungsratgeber zum anderen und versuchen jede Krise des Nachwuchses möglichst zu lösen, noch bevor sie auftritt. Am Ende eines anstrengenden und langen Tages schleichen sie sich dann aber doch ein, die gestressten, lauten, vorwurfsvollen Elternsätze. Was zurückbleibt, sind gefrustete Kinder und von sich enttäuschte Eltern. Genau hier muss ein Umdenken im Umgang mit Kindern stattfinden, sagt Soziologin und Buchautorin Ruth Abraham.
Problematisch findet die Autorin vor allem eine Haltung gegenüber Kindern: "Der Gedanke, der impliziert, dass das Kind noch kein vollständiger Mensch ist und ich das Recht habe, die Person zu etwas zu formen." Aus dieser lange bestehenden Perspektive seien klassische Sätze entstanden, wie: "Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmer mehr", oder "Das Kind muss das jetzt lernen." Abraham sieht das als vollkommen überholt an.
"Wir wissen aus der modernen Pädagogik und aus der jüngeren Forschung, dass die Dinge, die Menschen resilient, liebevoll und empathisch sein lassen, nicht aus erzieherischem Handeln heraus kommen, sondern aus der Beziehungsqualität", sagt die Autorin im Gespräch mit ntv.de.
Diverse Studien belegten wissenschaftlich, dass die Entwicklung von psychischer Gesundheit und den sozial-emotionalen Fähigkeiten von Kindern wesentlich auf der Qualität der emotionalen Eltern-Kind-Beziehung basiert. Das heißt: Kinder entwickeln ihre soziale Kompetenz und Widerstandskraft vor allem, wenn sie sich angenommen und verstanden fühlen, nicht, wenn sie nach bestimmten Regeln "erzogen" werden.
Lieber enge Bindung, statt strenge Regeln
"Was ich in den vielen Jahren festgestellt habe, in denen ich jetzt schon viele Eltern begleite, ist, dass man keine Angst vor Fehlern haben darf", erklärt die erfahrene Erziehungsexpertin. Die Angst vor Fehlern mache eine gute Bindung fast unmöglich. Denn zunächst seien Fehler im Umgang mit dem eigenen Kind normal. "Ich habe ja mit meiner Elternschaft nicht meine Menschlichkeit abgelegt", sagt Abraham.
Entscheidend sei der Umgang mit Fehlern. Zunächst einmal bestehe bei Fehlern immer die Chance, daraus zu lernen und es beim nächsten Mal anders zu machen. "Anstatt mich zu beschimpfen, wie blöd bin ich denn? Und mich mit unmöglichen Standards zu messen, könnte ich mir für das nächste Mal eine kleine Brücke bauen." Ein radikaler Verhaltenswechsel sei unrealistisch. Wer aus Stress jeden Abend schreit, ist nicht ab morgen tiefenentspannt. "Aber man könnte sich morgen ein Kissen hinlegen und in das Kissen schreien", sagt sie.
"Gute Beziehungen kommen nicht daher, dass wir keine Fehler machen. Sie kommen daher, dass wir Reparatur lernen und bereit sind, uns zu entwickeln." Auch wenn das zunächst bedeutet, sich von bekannten Wegen weg ins Unbekannte zu bewegen. Abraham empfiehlt, im Zweifel lieber ins Hier und Jetzt mit dem Kind zu gehen und zu überlegen, wo gerade das Problem ist und lieber das zu lösen. Es sei etwa kein Problem, einzuordnen, wo zu wem man ein Schimpfwort sagen dürfe und zu wem lieber nicht. "Ich kann sagen, dass es für mich total okay ist, Doofkopf genannt zu werden, aber die Oma super beleidigt ist", erklärt sie. "Kinder verstehen sehr früh die sozialen Unterschiede."
Auch Eltern müssen sich entschuldigen
"Die meisten Menschen, die über ihre Elterngeneration sprechen, wünschen sich gar nicht, dass ihre Eltern keine Fehler machen. Die wünschen sich oft nur, dass einmal ein Elternteil sagt: Ja, das war blöd. Es tut mir leid", erläutert Abraham. "Das ist so viel wichtiger für eine gute Beziehung, als dass ich alles richtig mache oder immer ruhig bleibe. Das ist eine schreckliche Idee, die sehr viele Eltern haben." Gleichzeitig zerbrechen viele Eltern an dem gesellschaftlichen Anspruch, perfekt zu sein. Dabei leisten sie meistens viel mehr als eigentlich schaffbar ist. Sie sind die Hauptbezugspersonen der Kinder, schlafen über Jahre kaum, leisten den Großteil der Care-Arbeit, gehen arbeiten, schmeißen den Haushalt und versuchen noch den Freundeskreis und die Familie zu pflegen. Dass sie da an ihre Grenzen geraten und laut werden, sei normal und nicht verwunderlich.
Vieles lasse sich im Gespräch mit dem Kind besprechen. "Wir unterschätzen die sozialen Fähigkeiten von Kindern massiv," sagt die Pädagogin. Nicht zu erziehen heiße also nicht, keine Werte zu vermitteln oder Situationen nicht einzuordnen. Es gehe vielmehr darum, das Machtverhältnis nicht auszunutzen, sich dessen aber bewusst zu sein. Denn Kinder sind vom Kümmern der Eltern abhängig. Daher plädiert Abraham für einen offenen Umgang mit dem Kind – und sich selbst.
Quelle: ntv.de