Größter Schienenersatzverkehr Deutschlands "wichtigste Bahnstrecke" wird für Monate gesperrt


Auf der Bahnstrecke Frankfurt-Mannheim geht vom 15. Juli bis Mitte Dezember (fast) gar nichts mehr.
(Foto: picture alliance/dpa)
Ab heute wird die Bahnstrecke zwischen Frankfurt am Main und Mannheim für fünf Monate komplett gesperrt. Das hat massive Einschränkungen im Nah- und Fernverkehr zur Folge. Die Bahn richtet den wohl größten Schienenersatzverkehr in der Konzerngeschichte ein. Das kommt auf Reisende zu.
Als offizieller Partner der Fußball-Europameisterschaft will die Deutsche Bahn bundesweit Fans pünktlich ins Stadion bringen - so zumindest lautet das Versprechen. Doch die Bilanz sieht anders aus: Verspätungen und Zugausfälle führen zu Frust bei Fans und Teams. Nun ist die Heim-EM vorbei, doch für die Bahn geht die Arbeit erst richtig los. Denn das Ende des Turniers bedeutet den Startschuss für das umfangreichste Sanierungsprojekt in der Konzerngeschichte. Die Strecke zwischen Frankfurt am Main und Mannheim wird ab heute fünf Monate lang komplett gesperrt. Was das Mammutprojekt für Pendlerinnen und Pendler und für Reisende bedeutet, fasst ntv.de zusammen.
Was ist eine Generalsanierung?
Die Bahn-Infrastruktur wurde jahrzehntelang vernachlässigt und ist an vielen Stellen überaltert und überlastet. Bund und Bahn haben deshalb im vergangenen Jahr den Plan gefasst, mit Milliardensummen das Netz zu erneuern. Dabei sollen die Hauptstrecken nicht wie sonst üblich bei laufendem Betrieb, sondern während monatelanger Vollsperrungen komplett saniert werden. So könne "viel mehr, viel schneller und viel effizienter" gearbeitet werden, sagte Bahnvorstand Berthold Huber dem Deutschlandfunk. Eine Sanierung bei laufendem Betrieb würde fünf bis acht Jahre dauern, statt der nun angesetzten fünf Monate. "Und wenn wir fertig gewesen wären, hätten wir wieder von vorne anfangen können."
Um welche Strecke geht es genau?
Betroffen ist die Strecke zwischen Frankfurt am Main und Mannheim."Sie ist die wichtigste Strecke und sozusagen das Herz des deutschen Schienennetzes", so Huber. Rechnerisch passiert etwa alle fünf Minuten ein Zug die sogenannte Riedbahn. Laut Bahn fahren dort pro Tag mehr als 300 Züge im Regional-, Fern- und Güterverkehr. "Insgesamt jede siebte Reise im Fernverkehr der DB führt über die Gleise zwischen Frankfurt/Main und Mannheim. Das sind etwa 60.000 Fernverkehrsreisende pro Tag." Im Regionalverkehr sind es demnach jeden Tag 16.000 Fahrgäste. Jede Störung auf der Strecke trifft schnell Züge im ganzen Land. Und davon gebe es aufgrund ihres schlechten Zustands mindestens eine pro Tag, sagte Verkehrsminister Volker Wissing Anfang April der Berliner Morgenpost.
Was soll alles gemacht werden?
Mit Vollsperrung und Generalsanierung soll das ständige Flicken an einzelnen Punkten ein Ende haben. Das heißt: Vom 15. Juli bis zum Fahrplanwechsel Mitte Dezember werden über 150 Weichen ausgetauscht, 20 Bahnhöfe modernisiert und 15 Kilometer Lärmschutzwände gebaut oder erneuert. Dazu kommen Gleise, 140 Kilometer Oberleitungen und 380.000 Tonnen Schotter. Elektronische Stellwerke werden installiert, insgesamt 1200 Elemente der Leit- und Sicherungstechnik neu verbaut. Außerdem soll die Strecke digital aufgerüstet werden.
Welche Folgen hat die Riedbahn-Sanierung für den Fernverkehr?
Im Fernverkehr werden während der Sperrung rund zwei Drittel der ICE- und IC-Züge westlich und östlich der Riedbahn über Mainz und Worms (Ludwigsbahn) beziehungsweise über Darmstadt und Heidelberg (Main-Neckar-Bahn) nach Mannheim umgeleitet. Für Fahrgäste verlängert sich damit die Reisezeit um rund eine halbe Stunde. Das übrige Drittel der Züge fällt aus oder fährt andere Ziele an. Dass die Ausweichstrecken nicht den gesamten Verkehr aufnehmen können, hat Auswirkungen weit über die Region hinaus, selbst Verbindungen nach Paris nutzen die Trasse. Der Fernbahnhof am Frankfurter Flughafen kann aus Richtung Mannheim nicht mehr direkt angefahren werden. Dafür sollen Reisebusse ab Mannheim Deutschlands wichtigsten Flughafen ansteuern.
Inwieweit ist der Nahverkehr betroffen?
Im Nahverkehr werden alle Züge ausfallen. Dies trifft auch Nebenstrecken der Riedbahn. Die Fahrgäste müssen auf Ersatzverkehr mit Bussen umsteigen. Die Bahn hat dafür 150 Gelenk- und Überlandbusse Busse gekauft. Alle Fahrzeuge sind den Bahn-Angaben zufolge mit Toiletten, WLAN und USB-Ladebuchsen ausgestattet. Die Busse sollen teilweise im Fünf-Minuten-Takt fahren. Eingestellt wurden dafür rund 400 Fahrerinnen und Fahrer, etwa die Hälfte aus dem Ausland. Auch kleine Wohnungen und Deutschkurse wurden für sie organisiert. Es ist der wohl aufwendigste Ersatzverkehr in der Geschichte der Deutschen Bahn.
Und was ist mit dem Güterverkehr?
Der Güterverkehr wird großräumig über verschiedene Strecken umgeleitet. Diese wurden vor der Sperrung der Bahn instand gesetzt. Der Verband der Deutsche-Bahn-Konkurrenten, "Die Güterbahnen", ist skeptisch. Er bemängelt, dass die Umleitungen erhebliche Verzögerungen und Mehrkosten auslösten, die nicht ersetzt würden. Da die Sperrung fünf Monate dauere, bestehe die Gefahr, dass Fracht nicht nur kurzfristig auf Lastwagen umgeladen werde, sondern dort auch nach Wiedereröffnung bleibe.
Was bedeutet die Sanierung für Anwohnerinnen und Anwohner?
Bis zum 3. Juli war die Bahn mit einem Infomobil in der Region unterwegs, das in allen Kommunen entlang der Riedbahn Station gemacht hat. Die Bahn gibt an, Anwohnerinnen und Anwohner auch direkt angeschrieben zu haben, um über das Sanierungsprogramm zu informieren. Außerdem wurde in einem ehemaligen Ladengeschäft im hessischen Gernsheim der Info-Punkt Riedbahn eingerichtet, der ab dem 16. Juli von 10 bis 16 Uhr geöffnet sein wird - allerdings nur dienstags und donnerstags.
Was kostet die Sanierung?
Ursprünglich war von 500 Millionen Euro die Rede, aber insbesondere die Digitalisierung mit den neuen Stellwerken kostet. Die Bahn nennt aktuell die Summe von 1,3 Milliarden Euro, die innerhalb der fünf Monate verbaut werden sollen.
Fährt die Bahn danach wieder pünktlicher?
Das zumindest ist die Hoffnung. Mit den Sanierungen soll das überalterte Schienennetz in Deutschland nach und nach wieder belastbarer und störungsfreier werden. Zunächst stellen die Sperrungen aber eine weitere Geduldsprobe für Fahrgäste und andere Bahnkunden dar.
Gibt es bei der Bahn jetzt nur noch Generalsanierungen?
Nein, auch darüber hinaus wird weiter gebaut. Angesichts des schlechten Zustands des gesamten Schienennetzes ist das auch dringend nötig. Manche Bauarbeiten können auch nicht aufgeschoben werden, bis eine Generalsanierung auf dem entsprechenden Abschnitt ansteht.
Wie geht es nach der Riedbahn-Sanierung weiter?
Ist die Strecke generalsaniert, soll es für fünf bis zehn Jahre dort keine größeren Arbeiten mehr geben. Die Störanfälligkeit der Strecke sei dann um 80 Prozent verringert. Nach diesem Modell werden auch Dutzende weitere Korridore angegangen. Als Nächstes ist etwa ab August 2025 der Abschnitt zwischen Hamburg und Berlin dran. Die zunächst angekündigte Sperrzeit von rund einem halben Jahr pro Generalsanierung kann an dieser Stelle bereits nicht eingehalten werden. Die Strecke wird nach jetzigem Stand bis April 2026 gesperrt, also neun Monate lang.
Quelle: ntv.de, mit Reuters und dpa