Panorama

Montgomery zur Impfpflicht "Scholz soll zeigen, dass er das kann"

Frank Ulrich Montgomery - hier im Gespräch mit ntv-Moderatorin Nele Balgo - ist Vorstandsvorsitzender des Weltärztebundes.

Frank Ulrich Montgomery - hier im Gespräch mit ntv-Moderatorin Nele Balgo - ist Vorstandsvorsitzender des Weltärztebundes.

Kommt die Impfpflicht in Deutschland noch oder wird sie "zerredet", wie Frank Ulrich Montgomery, Vorstandsvorsitzender des Weltärztebundes, befürchtet? Der Mediziner erinnert Kanzler Scholz im ntv-Interview an sein politisches Leitmotiv: "Wer Führung bestellt, der bekommt Führung."

ntv: Gesundheitsminister Karl Lauterbach rechnet damit, dass wir Mitte Februar mehrere 100.000 Neuinfektionen am Tag haben werden. Wie besorgt sind Sie über diese Prognose?

Frank Ulrich Montgomery: Über diese Tatsache bin ich sehr besorgt. Die Zahlen steigen im Moment rasant und wir werden einige 100.000 Infektionen pro Tag demnächst haben. Ich hoffe aber, dass mit Omikron die Spitze dieser Welle dann irgendwann im Februar überschritten sein wird. Vielleicht haben wir Ende Februar dann schon wieder sinkende Zahlen.

Wenn es wirklich zu einer so hohen Zahl an Neuinfektionen kommen sollte, inwieweit kann das Gesundheitssystem das denn dann noch tragen?

Die Inzidenzen von heute dürfen Sie in ihrer Auswirkung nicht mit den Inzidenzen von vor einem Jahr vergleichen. Viele Menschen sind geimpft. Wir haben inzwischen aber auch einige bessere Therapiekonzepte und wir haben auch die Krankenhäuser ganz gut ausgestattet. Deshalb kann man das nicht 1:1 vergleichen. Auch scheint Omikron zu nicht ganz so hohen Intensivauslastungen zu führen wie Delta und andere Varianten davor. Wir machen uns ganz große Sorgen, aber ich glaube, wir schaffen das, wenn die Leute sich vernünftig verhalten.

Muss die Regierung nochmal eingreifen, möglicherweise sogar mit einem Lockdown?

Mit Sicherheit wird man lokal und regional eingreifen müssen. Man muss auch sowohl von der Örtlichkeit als auch von den Altersgruppen her nochmal differenzieren. Momentan sind ja vor allem Kinder, vor allem sehr junge Kinder, betroffen, mit einer sehr, sehr hohen Inzidenz. Und damit muss man andere Maßnahmen ergreifen als in ländlichen Regionen oder Ähnliches. Einen generellen Lockdown wird es nach meiner Auffassung nicht geben, aber man wird regional über lokale Begrenzungen, Masken tragen, Einschränkungen beim Einkaufen und Weiteres reden müssen.

Mit den steigenden Infektionszahlen sehen wir jetzt auch, dass die PCR-Tests immer knapper werden. Sie sollen künftig priorisiert werden, vielleicht auch nach Berufsgruppen. Wie stehen Sie dazu?

Die Kapazität ist erschöpft. Man kann nicht ohne Weiteres jetzt noch weitere PCR-Tests generieren. Dann muss man priorisieren und sich darüber unterhalten, dass natürlich Menschen mit sehr schweren Symptomen, aus bestimmten Altersgruppen, aber auch diejenigen, deren Arbeitsfähigkeit erhalten bleiben muss oder aber die andere anstecken können, also Menschen im Gesundheitsbereich, hier priorisiert werden. Die Priorisierungsliste muss man sich nochmal in Ruhe angucken, aber der Grundgedanke ist völlig richtig.

Wie aussagekräftig sind denn die Schnelltests, weil wir dann ja tatsächlich von diesen auch auf die Neuinfektionszahlen schließen müssen, wenn nicht flächendeckend PCR-Tests eingesetzt werden?

Wir warten ja dringend auf die Liste des Paul-Ehrlich-Instituts, die uns die guten Schnelltests nennen soll, die sind ja nicht alle gleich effektiv und effizient, wie wir das anfänglich erwartet haben. Diese Schnelltests bekommen eine ganz große Bedeutung, vor allem auch bei den Jüngeren, bei denen man ja auch nicht direkt Krankenhausaufenthalte oder Ähnliches ableitet. Dazu müssen sie aber gut sein und die Menschen müssen auch noch angeleitet werden, diese Schnelltests abzunehmen. Da ist nämlich mehr dabei, als mal eben ein bisschen vorne in der Nase rumzufummeln, sondern das muss wirklich gut gemacht werden.

In Bayern wurde geurteilt, dass die 2G-Regel im Einzelhandel wegfällt. Sie haben solche Urteile in der Vergangenheit schon kritisiert. Wie denken Sie über dieses Urteil?

Das Urteil in Bayern unterscheidet sich erheblich von denen, die ich kritisiert habe, weil es einen klaren Grund benennt, warum das wegfällt. Nicht weil Omikron irgendwie besonders ungefährlich wäre, wie das in einem anderen Bundesland geschehen ist, sondern weil man sagt, der Kreis der Einzelhandelsgeschäfte, die offen bleiben müssen, weil sie Gegenstände des primären Bedarfs erfüllen, ist zu ungenau gefasst. Zu Dingen des täglichen Bedarfs gehört zum Beispiel auch Unterwäsche. Können Sie deswegen ein ganzes Kaufhaus schließen? Das ist eine wichtige Frage, die muss geklärt werden. Und da muss man auch wieder der Politik sagen, ihr habt vielleicht nicht genau genug definiert, was ihr meint, und öffnet Einfallstore für Urteile.

In Österreich kommt sie, in Deutschland ist noch zögerlich mit einer Impfpflicht. Warum wird die Impfpflicht in Deutschland so lange diskutiert?

Wir laufen im Moment Gefahr, die Impfpflicht im Bundestag zu zerreden. Das liegt auch vor allem daran, dass sich die Koalition uneins ist. "Wer Führung bestellt, der bekommt Führung", hat Olaf Scholz gesagt. Nun soll er zeigen, dass er das auch kann.

Die Ärzte wollen die Impfpflicht in ihren Praxen nicht umsetzen. Was halten Sie davon?

Das teile ich so nicht, die Ärzte sind sehr fürs Impfen, sie sind gegen einen Impfzwang, und das hat KBV-Chef Andreas Gassen völlig richtig gesagt: Wir werden nie im Leben einen Menschen gegen seinen Willen, der vielleicht mit der Polizei vorgeführt wird, mit Gewalt impfen. Das wird es mit deutschen Ärzten nicht geben. Und ich bestehe auch darauf, dass jeder Arzt selbst das Recht, hat zu entscheiden, ob er impfen will oder nicht, diese Freiheiten müssen sein.

Für wie realistisch halten Sie es, dass diese Impfpflicht auch rechtlich umsetzbar ist?

Das kommt auf die Sanktionen an, ob Sie wie in Österreich Bußgelder zahlen müssen. Dann kommt die juristisch spannende Frage, ob Sie das einmal bezahlen müssen oder immer wieder. Ich glaube, das wird in Deutschland eine nachrangige Angelegenheit sein. Aber Nicht-Geimpfte werden dann auf bestimmte Dinge des täglichen Lebens verzichten müssen. Die werden nicht ohne Weiteres fliegen können, wahrscheinlich nicht in Theater, Kino oder Ähnliches gehen können. Und wenn sie Tests haben wollen, dann werden sie die wahrscheinlich auch bezahlen müssen.

Mit Frank Ulrich Montgomery sprach Nele Balgo

Quelle: ntv.de

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