Rollenspiel vor Gericht Schüler lernen spielerisch Einmaleins der Justiz
06.04.2025, 16:59 Uhr Artikel anhören
In einem Fall beschwert sich Nachbarin Schlafnichtgut über nächtliche Ruhestörung.
(Foto: dpa)
Ab etwa drei Jahren begreifen Kinder, dass es Regeln gibt. Im Grundschulalter weitet sich das Weltverständnis - die ideale Zeit, um etwas über Rechtsstaatlichkeit zu lernen. Wie das spielerisch gelingen kann, zeigt eine Grundschule in Karlsruhe.
Dem Verteidiger ragt die Kapuze seines Hoodies über die schwarze Robe. Die Angeklagte Greta Langfinger hat sich zwar mit Notizen vorbereitet, ist aber dennoch nervös. Erst will sie lieber gar nichts sagen. Dann behauptet sie, bei einer Tombola jenes Messer gewonnen zu haben, das später ein Ladendetektiv in einem Schuhgeschäft bei ihr fand. Damit soll sie - so der Vorwurf - die Diebstahlsicherung an Turnschuhen durchgeschnitten haben.
Dass die Richterinnen und Richter sie am Ende wegen Diebstahls mit Waffen zu einer Freiheitsstrafe von zehn Monaten auf Bewährung verurteilen, findet Greta "fair und gerecht". Sie sei ja vorbestraft gewesen. Dabei hatte die Viertklässlerin in der Verhandlung noch betont: "Ich hab' damit aufgehört, mit Klauen."
Greta - der Vorname ist echt - ist an diesem Vormittag im Verwaltungsgericht Karlsruhe in die Rolle der Angeklagten geschlüpft. Einige Mitschülerinnen und -schüler aus der Gartenschule spielen Zeugen, Verteidiger, Staatsanwalt, Richterinnen und Richter - in Mini-Roben. Andere sind Zuschauer.
"Das war aufregend", berichtet die Zehnjährige. Weil hinter ihr Leute saßen und sie sich spontan eine Ausrede ausdenken musste, habe sie Druck verspürt.
Bildungsangebote zu Rechtsstaat
Seit 2019 besuchen vierte Klassen der Gartenschule das Verwaltungsgericht, wie Lehrerin Patricia Kohl sagt. Entstanden sei die Kooperation über eine Mutter, die damals an dem Gericht arbeitete und als Projekt einen sogenannten Moot Court, eine simulierte Gerichtsverhandlung, organisierte.
In der juristischen Aus- und Weiterbildung gibt es solche Angebote häufiger. Auch für Kinder und Jugendliche in verschiedenen Altersklassen werden hier und da Möglichkeiten wie in Karlsruhe geschaffen, mal die Abläufe eines Prozesses mitzuerleben und Teil davon zu sein. Das Projekt "Rechtsstaat macht Schule" wiederum soll Wissen über Polizei und Justiz vermitteln.
"Das ist für uns ein unglaublicher Schatz, dass wir teilnehmen dürfen", sagt Lehrerin Kohl. Die Kinder könnten üben, zu argumentieren. Zudem stünden zu Beginn des Schuljahres Kinderrechte im Lehrplan, da passe das ganz gut.
Drei Fälle aus dem echten Leben
Richterin Melanie Binninger vom Verwaltungsgericht und ihr Kollege Christian Wohlfahrt waren vor dem Prozesstag in der Schule und haben unter anderem Unterschiede zwischen Straf-, Zivil- und Verwaltungsrecht erklärt, was der Staat ist und wer die Regeln macht. Für den Besuch im Gericht haben sie drei echte Fälle kindgerecht angepasst und dann die Rollen verteilt.
Einmal geht es um Schuhdiebin Langfinger. Im zweiten Verfahren streitet Anika Tierlieb mit dem Landratsamt, weil sie 19 Waschbären hält und Frau Sorgfalt von der Behörde das Tierwohl in Gefahr sieht. Zudem hat sich Nachbarin Schlafnichtgut über nächtliche Ruhestörung beschwert. Und im dritten Fall geht es um Schmerzensgeld nach einem Unfall in einer Trampolinbude. Beim Salto landete Pan Hinkebein auf dem harten Boden und brach sich ein Bein.
Die beiden letzten Verfahren enden ohne Urteil, weil sich die Parteien jeweils auf Vergleiche einigen. Lehrerin Kohl überrascht das nicht, auch im Klassenrat gehe es darum, Konsens zu finden. Kinder seien oft auf Kompromisse aus, hat Richterin Binninger festgestellt. "Ein Fall muss nicht zwingend schwarz-weiß gelöst werden." Kinder wüssten auch, dass es wichtig ist, anderen zuzuhören.
Einschätzung einer Expertin
Ab etwa drei Jahren könnten Kinder begreifen, dass es Regeln gibt, erklärt Eva Möhler von der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie. Spätestens ab sechs wüssten sie, dass solche Regeln sinnvoll für das Zusammenleben seien und man manchmal Hilfe "von oben" brauche, um sie durchzusetzen - weil sich nicht immer alle daran halten. "Diese letztgenannte Erfahrung wird ja schon allein durch die Sozialisation im Kindergarten reichlich vermittelt."
Das Grundschulalter sei eine ideale Zeit, um das Thema Rechtsstaatlichkeit einzuführen, erläuterte Möhler, die am Universitätsklinikum des Saarlandes arbeitet. Das kindliche Gehirn könne aus konkreten Lernerlebnissen ein übergeordnetes Weltverständnis ableiten.
Kinder machen sich der Expertin zufolge durchaus vielschichtige Gedanken zu Meinungsverschiedenheiten und Konflikten. Sie setzten sich auch emotional damit auseinander, dass Sichtweisen sich unterscheiden können und teils gegensätzliche Positionen ihre Berechtigung haben können.
Kinder vom Ausflug ins Gericht begeistert
Das berichtet auch Staatsanwältin Annika Hasenpflug, die im Diebstahlfall die Vorsitzende Richterin gespielt hat. Ihre Kolleginnen und Kollegen aus der vierten Klasse seien beim Beraten über das Urteil aufgeweckt gewesen. "Da kamen viele gute Sachen." Am Ende hätten sie einen Kompromiss ausgehandelt.
Gohan hat sich dabei zurückgehalten, wie der Schüler erzählt. Im Trampolinfall war er dann Anwalt: "Das war viel schwerer, weil man was sagen musste."
Ein anderer Junge lobt vor allem, dass es kein "komplettes Theaterspiel war, wo jeder weiß, was der andere sagt". Und auf die Frage von Richterin Binninger, wie sie künftig Streits lösen, antwortet ein Kind: "Ich gehe zum Gericht!"
Quelle: ntv.de, Von Marco Krefting, dpa