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Mörder könnten freikommen Sind die Menendez-Brüder gefährliche Lügner?

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Sollten sich sowohl die Kommission als auch der Gouverneur für eine Bewährung aussprechen, könnten die Brüder nach mehr als 30 Jahren schon bald auf freien Fuß kommen.

Sollten sich sowohl die Kommission als auch der Gouverneur für eine Bewährung aussprechen, könnten die Brüder nach mehr als 30 Jahren schon bald auf freien Fuß kommen.

(Foto: picture alliance / ASSOCIATED PRESS)

Im Sommer 1989 ermorden Lyle und Erik Menendez ihre Eltern auf brutalste Weise. Das Urteil lautet auf lebenslange Haft ohne Bewährung - zumindest bis jetzt. Eine Kommission entscheidet über die Freilassung der Brüder. Druck kommt sowohl von der Öffentlichkeit als auch der Staatsanwaltschaft.

Mit zwei Schrotflinten bewaffnet, machen sich Lyle und Erik im August 1989 zur Villa ihrer Eltern in Beverly Hills auf. Aus nächster Nähe erschießen sie ihren Vater José, der nichtsahnend vor dem Fernseher sitzt. Ihre Mutter Kitty Menendez wird ebenfalls getroffen. Schwer verletzt versucht sie zu fliehen - hat jedoch keine Chance. Einer ihrer Söhne schießt noch zwei Mal auf seine am Boden kriechende Mutter, das wird die Gerichtsmedizin später belegen. Auch Kitty stirbt noch vor Ort.

Die Brutalität des Falls sorgte damals weltweit für Aufsehen. Kaum überraschend war daher auch das kollektive Aufatmen, als Lyle und Erik Menendez 1996 wegen Mordes schuldig gesprochen wurden. Der Schuldspruch für die damals 21- und 18-jährigen Brüder lautete auf lebenslange Haft ohne Aussicht auf Bewährung - zumindest bis zum Mai dieses Jahres. Fast 30 Jahre nach dem Schuldspruch wandelt Richter Michael Jesic die lebenslangen Haftstrafen der Brüder in 50 Jahre bis lebenslänglich um. Das bedeutet: Die Menendez-Brüder könnten schon bald auf Bewährung freikommen. Nun kommt es auf die Einschätzung der Bewährungskommission an - und schließlich auf die des Gouverneurs.

Lyle und Erik Menendez haben die Tötung ihrer Eltern vor Gericht nie bestritten. Warum die Brüder im Sommer 1989 zur Waffe griffen, ist allerdings bis heute umstritten. Die Staatsanwaltschaft ging damals schnell davon aus, dass die Brüder ihre Eltern ermordeten, um an das millionenschwere Vermögen zu kommen. Tatsächlich sprachen einige Indizien für dieses Motiv: Kurz nach dem Tod gaben Erik und Lyle etwa Hunderttausende Dollar aus der Erbschaft der Eltern für Autos, Armbanduhren und andere Luxusartikel aus. Die Ermittler werteten das verschwenderische Verhalten als Zeichen der Habgier - was die Brüder bis heute vehement bestreiten.

Motiv bis heute umstritten

Es sei ihnen nicht um das Vermögen ihrer Eltern gegangen, sondern um Selbstverteidigung - darauf pochen sie bis heute. Erik und Lyle sagen, ihr Vater habe sie in ihrer Kind- und Teenager-Zeit jahrelang körperlich, emotional und sexuell missbraucht. Kurz vor der Tat habe er ihnen schließlich mit dem Tod gedroht, sollten sie von den Misshandlungen berichten. Tatsächlich berichteten bereits damals zwei Verwandte, die Brüder hätten sich ihnen anvertraut, den Missbrauch durch den Vater geschildert. Die Staatsanwaltschaft hingegen sah in den Vorwürfen kaum mehr als eine Verteidigungsstrategie. Immerhin hätten die Brüder den angeblichen Missbrauch nicht gegenüber einem Psychologen thematisiert.

Die unklare Motivlage führte in einem ersten Strafprozess 1993 dazu, dass am Ende kein Urteil zustande kam. So ist ein Urteil nur einstimmig möglich - die Jury konnte sich damals jedoch nicht darauf einigen, ob sie die Brüder wegen Mordes oder Totschlags verurteilen soll. In einem zweiten Prozess 1996 kam es schließlich zur Entscheidung: Die Geschworenen plädierten einstimmig für Mord und eine lebenslange Freiheitsstrafe ohne Aussicht auf Bewährung. Allerdings gab es einen wesentlichen Unterschied zum ersten Prozess. Der Richter hatte in diesem Fall Aussagen über den mutmaßlichen Missbrauch durch den Vater untersagt, da dieser nicht bewiesen wurde. Ein möglicherweise daraus resultierendes Motiv der Brüder stand der Jury also gar nicht erst zur Auswahl.

Genau das versuchten die Brüder und ihre Verteidiger in den vergangenen Jahren zu ändern. Parallel zu dem nun ins Rollen gebrachten Bewährungsverfahren pochen sie auf eine Wiederaufnahme des Verfahrens. Ihre Argumentation: Hätte die Jury damals von dem sexuellen Missbrauch und den Indizien für diese Motivlage gewusst, hätte sich das maßgeblich auf den Schuldspruch ausgewirkt. Sie hätte sich, so die Verteidiger, kaum für eine Verurteilung wegen Mordes ausgesprochen. Als neuer Beweis würde vor allem ein Brief dienen, der erst im vergangenen Jahr auftauchte. In dem Schreiben, das von Erik Menendez wenige Monate vor der Tat an seinen Cousin verfasst worden sein soll, schrieb dieser von Nächten, in denen er wach blieb und dachte, "dass er reinkommt".

Regelverstöße in Haft

Zudem habe sich das Verständnis für sexuellen Missbrauch und dessen Folgen in der Gesellschaft seit 1996 stark verändert. Und tatsächlich: Das einstige kollektive Aufatmen über die Verurteilung der "Menendez-Monster" ist in den vergangenen Jahren einem gewissen gesellschaftlichen Verständnis für die Lage der Brüder gewichen. Sogar Prominente wie Reality-Star Kim Kardashian setzen sich für ihre Freilassung ein.

Schließlich beantragte auch der ehemalige Bezirksstaatsanwalt von Los Angeles, George Gascon, als eine seiner letzten Amtshandlungen bei Richter Jesic, den Ausschluss der Bewährung für die Brüder zu überdenken. Mit Erfolg, wie sich im Mai dieses Jahres herausstellte.

Für die nun zum Einsatz kommende Bewährungskommission geht es nun vor allem um eine Frage: Geht von den Brüdern Menendez noch eine Gefahr aus? Das Verhalten der Brüder und ihr Motiv spielen bei der Bewertung zwar eine Rolle. Die Entwicklung von Erik und Lyle in den vergangenen 30 Jahren in Haft aber ebenso. Medienberichten zufolge gelten sie zwar als unauffällige Häftlinge. Regelverstöße wie Schlägereien oder Handys in der Zelle werden allerdings trotzdem Berücksichtigung finden. Andererseits haben sich die Brüder sowohl im Gefängnis als auch durch Stiftungsgründungen engagiert.

Staatsanwalt stemmt sich gegen Freilassung

"Seit mehr als 35 Jahren zeigen sie ein kontinuierliches Wachstum. Sie haben die volle Verantwortung übernommen", heißt es von der Familie der Brüder in einer Stellungnahme vor der Anhörung durch die Bewährungskommission. Die Brüder hätten sich ein Leben aufgebaut, das von "Zielstrebigkeit und Hilfsbereitschaft geprägt ist". Die Verurteilten bereuen ihre Taten zutiefst, davon sind die Angehörigen überzeugt.

Ganz im Gegensatz zu Bezirksstaatsanwalt Nathan Hochman, der das Amt von Gascon in diesem Jahr übernahm. "Wir haben uns konsequent gegen ihre Freilassung ausgesprochen, da sie keine vollständige Einsicht in ihre Verbrechen gezeigt haben", heißt es in einer 75-seitigen Stellungnahme an den Bewährungsausschuss, wie ABC News berichtet. Die Brüder könnten in keinster Weise nachweisen, "dass sie vollständig rehabilitiert sind, sodass sie weiterhin eine Gefahr für die Gesellschaft darstellen". Die Vorwürfe des sexuellen Missbrauchs gegen ihren Vater seien schlichtweg eine "Lüge". Da sich die Brüder immer wieder widersprochen haben, sei ihnen nicht mehr zu glauben.

Hochman legt mit seiner Stellungnahme eine 180-Grad-Wende zu seinem Vorgänger hin. Er stemmt sich regelrecht gegen die Freilassung der verurteilten Brüder. Er argumentiert vor allem mit den Aussagen von Lyle und Erik in den Jahren nach der Tat. Immer wieder hätten sie versucht, sich ein Alibi zu verschaffen. Mehrmals hätten sie die Ermittler belogen und Verwandte getäuscht. Einmal haben sie die Morde sogar als Mafia-Auftragsmorde bezeichnet. Dass die Brüder ihre Eltern aus Notwehr getötet haben sollen, komme ebenfalls nicht in Betracht. So gebe es keine Beweise dafür, dass Kitty und José in der Nacht des Mordes vorhatten, ihren Kindern etwas anzutun.

Letztes Wort liegt bei Gouverneur

Der Druck auf die Bewährungskommission ist hoch. Während die öffentliche Meinung in großen Teilen auf eine Freilassung der Brüder pocht, stemmt sich die Anklagebehörde dagegen. Ein besonders wichtiges Kriterium wird daher der Eindruck aus den Anhörungen der Brüder sein. Getrennt voneinander werden sie jeweils drei Stunden befragt - sofort danach soll eine Entscheidung fallen.

Sollte die Kommission den Brüdern dann tatsächlich Freilassung gewähren, liegt das Schicksal von Lyle und Erik in den Händen von Gouverneur Gavin Newsom. Er hat 120 Tage Zeit, die Entscheidung der Kommission zu bestätigen, zu ändern - oder abzulehnen. Dass er davon ausgehen könnte, bald zur Entscheidung gebeten zu werden, deutete Newsom jüngst in einem Podcast an. Er wolle sich nicht von der öffentlichen Meinung beeinflussen lassen, schaue auch keine Dokumentationen über die Menendez-Brüder. Ihm gehe es um die unabhängige und objektive Prüfung der Fakten. Tatsächlich ist Newsom bekannt dafür, Empfehlungen für Bewährung abzulehnen - auch in öffentlichkeitswirksamen Fällen. Zuletzt lehnte er etwa die Freilassung eines Mitglieds der Manson-Familie ab, zuvor blockierte er die Freilassung des Mörders von Senator Robert F. Kennedy.

Lyle und Erik Menendez sind ihrem Ziel der Freilassung mit ihrer heutigen Anhörung vor der Bewährungskommission also zweifellos ein großes Stück näher gekommen. Die Hürden für ein Leben in Freiheit bleiben jedoch hoch.

Quelle: ntv.de

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