Panorama

Sorge vor neuer Mutation "Südafrika braucht Varianten-Impfstoff"

Südafrika hat damit begonnen, Lehrer und andere Mitarbeiter im Bildungssektor zu impfen.

Südafrika hat damit begonnen, Lehrer und andere Mitarbeiter im Bildungssektor zu impfen.

(Foto: picture alliance/dpa/AP)

Südafrika erlebt derzeit eine heftige dritte Infektionswelle, die sich vor allem in der bevölkerungsreichen Region rund um Johannesburg beängstigend schnell ausbreitet. In den vergangenen Tagen stieg die Zahl der Neuinfektionen auf bis zu 18.000 pro Tag. Mit 1,86 Millionen Infizierten und offiziell 59.000 Toten ist Südafrika das am schlimmsten von der Coronakrise betroffene Land auf dem afrikanischen Kontinent. Seit Beginn der Pandemie verzeichnet Südafrika eine Übersterblichkeit von 173.000 Menschen. Professor Wolfgang Preiser leitet die Medizinische Virologie an der südafrikanischen Stellenbosch Universität und war als Mitglied des NGSSA - dem Konsortium, das sich mit der genomischen Überwachung des Coronavirus in Südafrika befasst - maßgeblich an der Entdeckung der Beta Variante beteiligt. Der Frankfurter lebt seit knapp 16 Jahren in Südafrika.

ntv.de: Wie ist die Lage in Südafrika?

Wolfgang Preiser: Momentan sind wir in der dritten Welle und schauen mit Sorge, ob sie genauso schlimm oder schlimmer wird als die zweite, die uns ja ganz übel mitgespielt hat. Im Moment sieht es leider so aus. Aus Gauteng, im Zentrum des Landes kommen sehr beunruhigende Nachrichten. Die Steilheit der Kurve und auch ihre Höhe übersteigt schon die zweite Welle. Das heißt, es sieht nicht gut aus. Ob sich das in den anderen Provinzen genauso abspielt, werden wir sehen.

Was sagen Ihre Laboruntersuchungen über die derzeitig Infektionswelle?

Wir untersuchen hier Proben von Patienten, die eine Durchbruchsinfektion nach einer Impfung haben oder die schon früher einmal Covid hatten und jetzt wieder infiziert sind, sowie Cluster und importierte Fälle. Wir wollen die Varianten entdecken, wenn sie das Land erreichen, aber bislang haben wir keinen Hinweis darauf, dass insbesondere die gefürchtete Delta-Variante Fuß gefasst hätte. Es gibt sind nur sporadische Fälle, die allesamt auf einen Import direkt oder indirekt zurückzuführen sind. Und wir sehen auch relativ wenig Fälle der Alpha Variante.

Stimmt es, dass Südafrikas staatliche Labore wie das Ihrige derzeit mit sechs Wochen Verspätung Proben untersuchen und sequenzieren? Heißt das nicht, man weiß gar nicht genau, welche Varianten für den steilen Infektionsanstieg verantwortlich sind?

Ja, das mit den sechs Wochen stimmt. Es gab in Gauteng Verzögerungen mit der Sequenzierung. Das wird jetzt aufgearbeitet. Da gab es technische Störungen. Das ist natürlich bedenklich. Es ist schon alles ein bisschen auf Kante genäht hier. Wir sind am Limit dessen, was man tun kann. Andererseits, wenn die Delta-Variante vor sechs Wochen mit einstelligem Prozentsatz auftrat, dann erwarte ich jetzt nicht 30 oder 40 Prozent. Ich glaube, wir können mit großer Sicherheit sagen, dass die dritte Welle tatsächlich durch die Beta Variante ausgelöst wird, die vergangenes Jahr hier in Südafrika erstmalig beschrieben wurde.

Aber der steile Anstieg der Infektionszahlen ist dann doch schon außergewöhnlich. Wenn nicht Delta könnte dann vielleicht eine neue Variante dafür verantwortlich sein?

Dafür haben wir bislang noch keinen Anhaltspunkt, aber das ist wirklich beunruhigend. Ich spreche natürlich unter Vorbehalt. Die Ergebnisse der vergangenen Wochen stehen noch aus und auch deren Analyse. Ich glaube nicht, dass sich hinter dem starken Infektionsanstieg eine fürchterliche neue Variante verbirgt. Das können wir wohl mit einiger Gewissheit ausschließen. Aber so etwas kann sich immer noch entwickeln. Es ist enttäuschend, dass die dritte Welle so stark und steil ansteigt, denn wir hatten ja gehofft, in der heftigen zweiten Welle so etwas wie eine Herdenimmunität erreicht zu haben. Hier im Westkap haben wir in einigen Bevölkerungsgruppen einen Anteil von 50 bis 60 Prozent durchgemachten Infektionen. Das verleiht einem ja zumindest für eine gewisse Zeit eine gewisse Immunität. Jetzt handelt es sich um andere Gruppen. Hier im Westkap, wo ich mich am besten auskenne, sind es die 15- bis 25-Jährigen, also Schüler der höheren Jahrgänge und Studenten, die das Gros ausmachen.

Mangels ausreichender Impfungen wird Südafrika ja höchstwahrscheinlich an einer vierten Welle nicht vorbeikommen. Wie groß ist die Gefahr, dass hier ein Nährboden für die Entwicklung einer Variante entsteht, die den Schutzwall existierender Vakzine durchbrechen könnte?

Ja, Südafrika ist schon so ein bisschen eine Testgegend dafür. Die sind viel zu wenige Impfungen, um einen großen Unterschied zu machen. Wäre unser Impfprogramm drei Monate weiter, würde es einen Unterschied für die dritte Welle machen, aber das haben wir total verpasst. Der letzte Rückschlag war, dass die FDA in den USA Millionen von Dosen des Impfstoffs von Johnson und Johnson für unsicher erklärt hat. Davon waren zwei Millionen hier im Land und sollten eingesetzt werden. Sie müssen jetzt vernichtet werden, weil sie kontaminiert sind.

Sie sprachen anfangs von Durchbruchsinfektionen, also Reinfektionen trotz Impfung. Wie wirken die sich auf das Gesundheitspersonal in Südafrika aus?

Mich beunruhigt, dass zum Teil die Notkrankenhäuser nicht benutzt werden können, weil es nicht genug Personal gibt. Ich hatte gehofft, dass die Impfung des Gesundheitspersonals mit dem Johnson-und-Johnson-Vakzin hier doch zumindest einen Puffer schaffen. Dass wir weniger Fälle beim Gesundheitspersonal haben und die deswegen arbeiten können. Das Problem ist, wir sehen erhebliche Durchbruchsinfektionen, bei denen Geimpfte erkranken und dann in die Isolation gehen müssen. Die dürfen dann auch nicht arbeiten.

Von wie vielen Reinfektionen von J&J-Geimpften sprechen wir?

Verglichen mit den 500.000 Angestellten im Gesundheitssektor, die geimpft wurden, sind es relativ wenige Fälle, aber es sind doch jeden Tag einige Fälle. Aber unser Labor ist ja nur eins von vielen. Die Proben kommen zur Diagnose und zur Sequenzierung zu uns. Wir schauen schon, hat sich hier am Virus etwas verändert? Hat es die Immunantwort sozusagen überlistet, die aufgrund der Impfung besteht?

Überrascht Sie das doch offensichtlich beständige Auftreten von Durchbruchsinfektion?

Ja und nein. Ich hatte nicht viel anderes erwartet. Wir wissen ja, dass die J&J-Impfung gegen unsere Variante nur etwa 65 Prozent Schutz bietet. Mit anderen Worten, ob man geimpft ist oder nicht, man muss sich trotzdem nach allen Maßgaben schützen, vor allem im Gesundheitsbereich, wo wir nach einigen ruhigen Monaten nun wieder den Ansturm von Covid Patienten sehen.

In Südafrika wird mit BionTech/Pfizer und Johnson und Johnson geimpft. Gibt es Durchbruchsinfektionen bei beiden?

Wir haben bisher nur Erkenntnisse über das J&J Vakzin (Anm. d. Red.: Südafrikas Gesundheitspersonal wurde im Rahmen einer medizinischen Studie namens Sisonke ausschließlich mit Johnson und Johnson geimpft). Die Biontech/Pfizer-Impfung wurde bisher nur bei Leuten über 60 angewandt. Darunter sind nur wenige im Gesundheitssystem aktiv. Ich glaube, es ist noch zu früh, um zu sehen, wie gut Biontechtech/Pfizer bei uns gegen die Beta-Variante wirkt. Das heißt, wir sind noch nicht aus dem Schneider. Gerade im Hinblick auf unsere Beta Variante denke ich, werden wir einen Varianten-geeigneten Impfstoff benötigen. Selbst wenn wir die vierte Welle - wenn sie denn kommt und das müssen wir wohl befürchten - überstanden haben und mithilfe des jetzt angelaufenen Impfprogramms doch ein Großteil der Bevölkerung geimpft haben, wird es sicherlich um eine Auffrisch-Impfung gehen, um die Immunantwort zu verstärken und uns breiter aufzustellen gegen diese Variante. Andere Länder impfen mit Wirkstoffen, die weniger wirksam sind als unsere, das sieht man zum Beispiel in Simbabwe, den Seychellen. Wenn sich so eine Welle ausbreitet, bedeutet das die Infizierten sind nicht schwerstkrank, können aber andere anstecken. Es ist schon wichtig den bestmöglichen Impfstoff einzusetzen für die jeweilige Variante.

Südafrika praktiziert derzeit, wohl aus Rücksicht auf die durch die Pandemie hart getroffene lokale Wirtschaft, eine Art "Lockdown Light". Restaurants, Fitnesscenter und Läden sind geöffnet, Reisen zwischen Regionen nicht eingeschränkt. Sind die Maßnahmen ausreichend?

Ich denke, es wird hier wirklich schärfere Lockdown-Maßnahmen geben müssen. Es gibt in meinem Kollegenkreis durchaus kritische Stimmen, was die Maßnahmen der Regierungen anbelangt, die vergangene Woche nur sehr leicht verschärft wurden. Wir sehen Krankenhausbereich nicht den deutlichen Rückgang der Unfallopfer und Opfer von Gewalttaten wie in vergangenen strengeren Lockdowns. Das Ziel damals war ja die Krankenhauskapazität für Covid Patienten freizuhalten. Das Alkoholverbot und die Ausgangssperre hat in der Vergangenheit viel bewirkt. Das ist nun dringend nötig. Aus Gauteng hört man, dass dort die Krankenhäuser schon überlastet sind und die Patienten zwei Tage mit Sauerstoffmaske warten müssen, bis sie aufgenommen werden.

Mit Wolfgang Preiser sprach Nicole Macheroux-Denault

Quelle: ntv.de

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