Selbstbestimmungsgesetz in Kraft Tausende geänderte Geschlechtseinträge und eine Provokation?


Die Anmeldungen für die Änderung des Geschlechtseintrages müssen drei Monate im Voraus bei den Kommunen eingehen.
(Foto: dpa)
Seit November 2024 können Menschen einfacher ihren Geschlechtseintrag ändern. Erste Zahlen zeigen, dass viele Menschen diese Möglichkeit nutzen. Die ersten Wochen werden aber von einer möglichen Provokation bestimmt.
Seit November 2024 ist das sogenannte Selbstbestimmungsgesetz in Kraft, das es Menschen ermöglicht, ihren Geschlechtseintrag relativ unaufwendig und preiswert standesamtlich ändern zu lassen. Erste Meldungen der Standesämter zeigen, dass sich die Zahl der Antragstellungen bisher im einstelligen Tausenderbereich bewegt. In Hamburg oder Köln sind es demnach jeweils etwa 350 Personen, die ihren Geschlechtseintrag ändern ließen, in Berlin sind es etwa 1000.
In vielen Standesämtern liegen auch noch Anträge, die dann nach drei Monaten Wartezeit abschließend bearbeitet werden. Die drei Monate schreibt das Gesetz als Bedenkzeit vor, die bisher nötigen zwei psychiatrischen Gutachten und ein Gerichtsbeschluss gehören hingegen der Vergangenheit an. Die Antragstellenden haben bei der Änderung unabhängig vom bisherigen Geschlechtseintrag vier Möglichkeiten: männlich, weiblich, divers oder den Verzicht auf einen Eintrag.
Bevor das Gesetz in Kraft trat, erwartete die Bundesregierung, dass etwa 4000 Personen im Jahr von der Änderung Gebrauch machen würden. Im November 2024, unmittelbar nach Inkrafttreten des Gesetzes, kam der "Spiegel" nach einer Anfrage bei mehr als 50 weitgehend zufällig ausgewählten Städten und Gemeindeverbänden in einer Hochrechnung auf etwa 15.000 Anmeldungen zur Änderung des Geschlechtseintrages.
Der Bundesverband "Trans* e.V." (BVT) führt keine eigenen Statistiken. "Wir haben damit gerechnet, dass erst mal eine Welle kommt und viele Personen, die schon lange darauf warten, Änderungen anmelden", sagt Gabriel Nox Koenig vom BVT ntv.de. Der Verband beobachte aber auch, dass viele, die auf das Gesetz gewartet hätten, nun wieder zögern. Das liege beispielsweise daran, dass es Unsicherheit gegeben habe, wie die einzelnen Standesämter das Gesetz umsetzen.
Anderes Geschlecht, anderer Name
Das Gesetz verknüpft die Änderung des Geschlechtseintrags mit der Vornamensänderung. "Es gibt Personen, bei denen eine Vornamens- und Personenstandsänderung ziemlich eindeutig Diskriminierung beendet", so Koenig. Wenn der Vorname auf der Krankenkassenkarte, auf der EC-Karte, auf dem Personalausweis einfach nicht mit dem gelebten Geschlecht übereinstimmt, helfe das.
Andererseits fürchteten aufgrund des gesellschaftlichen Rechtsrucks vorrangig Personen, die sich für einen nicht-binären oder gestrichenen Geschlechtseintrag entscheiden würden, dadurch den Behörden gegenüber als trans Person oder als nicht-binäre Person erkennbar und angreifbar zu werden. Der Verband geht auch davon aus, dass es eine größere Anzahl von nicht-binären Personen gibt, die ihren Geschlechtseintrag wahrscheinlich behalten und nur den Vornamen angepasst hätten, jetzt aber durch die Formulierung des Gesetzes "keine Möglichkeit zur Änderung haben".
Nach den zum Teil sehr leidenschaftlichen Debatten über das Gesetz sind bei den meisten Menschen die Änderungen mit einfachen Verwaltungsentscheidungen vollzogen worden. Nur für einen Fall gab es eine gewisse Aufmerksamkeit, als beim Standesamt im sächsischen Schkeuditz Marla-Svenja Liebich den Geschlechtseintrag auf weiblich ändern ließ.
Provokation mit Folgen?
Liebich ist mehrfach wegen rechtsextremer Straftaten verurteilt worden, zuletzt hatte das Landgericht Halle einen Berufungsantrag verworfen und gegen Liebich eine Gefängnisstrafe von eineinhalb Jahren unter anderem wegen Volksverhetzung, übler Nachrede und Beleidigung bestätigt. Der Jurist und Journalist Christian Rath geht in diesem Fall von einer Provokation aus. "Wenn jemand, der bisher gezielt gegen Transmenschen gehetzt und da ideologisch ganz klar feindliche Haltung eingenommen hat, etwas tut, was dazu geeignet ist, das Selbstbestimmungsgesetz lächerlich zu machen, dann liegt dieser Verdacht nahe", sagt Rath ntv.de.
Auch Liebich profitiere natürlich davon, dass der Akt der Eintragung ins Personenstandsregister einfacher geworden ist. Das spreche aber nicht gegen das Gesetz, so Rath. "Die Änderung des Personenstandsregisters führt nicht dazu, dass eine Person nun automatisch immer als Frau behandelt werden muss. In der Regel sind Einzelfallprüfungen möglich, sodass auf Provokationen flexibel reagiert werden kann." Im Diskussionsprozess seien viele Bedenken geäußert und berücksichtigt worden, weiß Rath. "Mein Eindruck ist, dass die allermeisten Personen, die jetzt die Änderung des Geschlechtseintrages vornehmen, es ernst meinen."
Koenig gibt zu bedenken, dass prinzipiell jedes Gesetz Schlupflöcher oder Möglichkeiten bietet, missbraucht zu werden. "Das Problem ist in diesem Fall aber nicht das Gesetz, sondern, dass eine rechtsradikale Person, aus welcher Motivation auch immer heraus, eine Vornamens- und Personenstandsänderung vollzogen hat." In der Community frage man sich schon, inwieweit das auf einer gelebten Realität der Person basiert. Was damit aber auch für Liebich Realität werde, sei die Gefahr, Diskriminierungserfahrungen zu machen. "Liebich würde im Gefängnis wahrscheinlich in Einzelhaft landen", so Koenig. Das passiere vielen trans Personen, weil angenommen wird, dass sie in Haft mehr Gewalt ausgesetzt sind als andere Personen.
Koenig sieht als wichtigsten Punkt des Selbstbestimmungsgesetzes, dass es für eine Gesellschaft steht, die mehr authentische Möglichkeiten ermöglicht, das eigene Frau- oder Mannsein nicht-binär zu leben. Im Grundgedanken gehe es darum, dass Menschen leben können, wie es für sie richtig ist. "Und da ist das Selbstbestimmungsgesetz ein Fortschritt für alle."
Quelle: ntv.de