Panorama

Liebevolle, fördernde Betreuung? "Team Wallraff" erlebt Kita-Horror

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Mangelndes Fachpersonal, Überforderung und grober Umgang mit den Kindern - das kommt in Kitas häufiger vor, als Eltern lieb sein kann. Investigative Recherchen des "Team Wallraff" zeigen, dass systemische Probleme im Kita-Alltag nicht nur zur Vernachlässigung vieler Kinder führen, sondern sogar in Gewalt enden können.

Eine Betreuung für Kinder in der Kita ist für immer mehr Eltern selbstverständlich. Sie gehen davon aus, dass ihre Kinder dort in sicherer Umgebung spielen, lernen und sich ausprobieren können, während sie von fachkundigem Personal betreut werden.

Doch deutschlandweit fehlen mehr als 98.000 Erzieherinnen und Erzieher und über 380.000 Kitaplätze. Und dieser Mangel hat Folgen. Seit Jahren erhält das "Team Wallraff" Hinweise, in denen verunsicherte Eltern und verzweifelte Fachkräfte nicht nur von fehlender Arbeitsmoral und Empathie mancher Mitarbeitenden berichten, sondern auch von teils rabiatem Umgang mit Kindern.

Diesen Hinweisen ist eine RTL-Reporterin des "Team Wallraff" in zweijähriger Recherche nachgegangen und hat in zwei privaten sowie einer kirchlichen Kindertagesstätte erlebt, wie fehlerbehaftet das deutsche Kita-System sein kann. RTL zeigt die neue Folge "Team Wallraff: Undercover in Kitas - Was passiert mit unseren Kindern?" heute um 20:15 Uhr.

Fatale Folgen

Die Recherchen zeigen überforderte pädagogische Fachkräfte, fehlende Kompetenzen im Umgang mit Kindern mit besonderem pädagogischen Förderbedarf sowie Kontrollversagen seitens der Behörden. Es sind oft systemische Probleme, die im Kita-Alltag nicht nur zur Vernachlässigung vieler Kinder führen, sondern in manchen Fällen sogar in physischer sowie psychischer Gewalt enden können.

Besorgniserregende Hinweise führen die Reporterin unter anderem nach Süddeutschland in eine private Kita für unter Dreijährige. Mehrere Informantinnen berichten, dass hier einige Erzieherinnen manchmal recht grob mit den Kindern umgehen sollen. Während ihres Einsatzes kann die Undercover-Reporterin mehrfach beobachten, wie weinende Kinder manchmal längere Zeit von den Fachkräften ignoriert werden, statt sie zu trösten. Im Falle eines Einjährigen vergehen über zehn Minuten, bis eine Kollegin die Mittagspause abbricht und den weinenden Jungen so tröstet, dass er aufhört.

In einem ähnlichen Fall erlebt die Reporterin, wie eine Mitarbeiterin einem Kind sogar droht, es allein in den Schlafraum zu schicken, wenn dieses nicht aufhört zu weinen. Hierzu teilen die Anwälte der Kita mit: "In der Einrichtung unserer Mandantin wird kein Kind bewusst weder über einen Zeitraum von wenigen noch über einen Zeitraum mehrerer Minuten weinen gelassen. Wenn ein Kind weint, wird die Situation pädagogisch beurteilt, was der Anlass ist und es wird versucht dem Kind bestmöglich zu helfen." Weiter heißt es: "Es sind unserer Mandantin auch keine Beispiele bekannt und kann daher auch nicht sein, dass 'Kindern z.B. gedroht wird, allein in den Schlafraum geschickt zu werden, wenn sie nicht aufhören zu weinen'".

Unter den Kindern befindet sich ein Junge, der laut Aussage der Erzieherinnen einen besonderen Förderbedarf hat. Doch die notwendige Betreuung können die Mitarbeitenden im normalen Kita-Alltag kaum leisten, weder zeitlich noch vom Fachwissen her, wie sie der Reporterin anvertrauen. Immer wieder kommt es zu Situationen, in denen das Kita-Personal überfordert wirkt und scheinbar nicht weiß, wie es mit dem Verhalten des Jungen richtig umgehen soll. Als der Zweijährige einmal nicht, wie von einer Erzieherin verlangt, still sitzen bleibt, schnappt sie sich den Jungen, setzt sich gemeinsam mit ihm auf den Boden und umklammert ihn mit ihren Beinen. Der Junge kann sich nicht mehr eigenständig aus dieser Situation befreien.

In einem Anwaltsschreiben der Kita heißt es hierzu, dass in der Einrichtung weder psychische noch körperliche Gewalt eingesetzt werde: "Es kann nicht 'vorkommen, dass Kinder, wenn sie sich nicht an die Regeln halten, fixiert werden, bspw. durch das Einklemmen zwischen den Beinen einer Erzieherin gegen den Willen des Kindes'".

Wie gut gelingt Integration?

In einer weiteren Kita in Süddeutschland werden insgesamt 14 Kinder in der Gruppe der Reporterin betreut, darunter drei mit erhöhtem pädagogischen Förderbedarf. Bereits an ihrem ersten Arbeitstag fällt der Reporterin der strenge Umgangston einer Kollegin und gelernten Kinderpflegerin auf. Vor allem eines der drei Integrationskinder, ein Junge, wird von ihr immer wieder gemaßregelt, egal ob beim Essen oder beim Spielen. Bis vor kurzem konnte er noch nicht einmal sprechen. Theoretisch sollten diese Kinder zusätzliche Förderunterstützung von erfahrenem Fachpersonal wie Heilpädagogen, Logopäden und Ergotherapeuten erhalten.

Während des zweiwöchigen Einsatzes bekommt die "Team Wallraff"-Reporterin nur ein einziges Mal mit, dass eine Therapeutin in die Kita gekommen ist. Auch eine besondere Förderung durch das Kita-Personal kann sie zumindest in dieser Zeit nicht erkennen. In einer Stellungnahme gegenüber RTL heißt es seitens des Kita-Trägers: "Das Personal für die Therapiestunden wird von der Frühförderstelle angestellt und an die Kita entsandt. Unabhängig von den wöchentlichen Therapiestunden fördern wir die Kinder täglich im Freispiel und durch gezielte Förderangebote. Aufgrund der durch unseren Träger bei Personalmangel eingesetzten mobilen Reserven sind wir so gut wie immer in der Lage, diese tägliche Förderung zu gewährleisten."

Dass es besser geht, zeigt das Beispiel einer Kindertagesstätte in Ostdeutschland. Mit ihrem Konzept für Integration im Kita-Alltag wurde sie vom "Deutschen Kita-Preis" mit dem zweiten Platz geehrt.

Teure Privat-Kita

Kinder, die aus fragwürdigen Gründen nach Hause geschickt werden, sowie angeblich teilweise unmotiviertes Personal - das berichten Informantinnen über eine weitere private Kita in Süddeutschland. Hier kostet ein Ganztagsplatz für Kinder bis zu drei Jahren insgesamt 1150 Euro im Monat. Dass eine hochpreisige Kita nicht immer auch für gute Qualität steht, zeigt sich der RTL-Reporterin.

Als ein kleiner Junge morgens leicht hustet und schließlich trotz Skepsis seiner Mutter aufgrund von vermeintlich erhöhter Temperatur nach Hause geschickt wird, wird bei fast allen Kindern Fieber gemessen. Doch dem Anschein nach weiß das Kita-Personal nicht, wo das Stirnthermometer richtig angesetzt wird. Je nachdem, wo die Stirn des Kindes berührt wird, erhalten sie unterschiedliche Werte. Dennoch müssen schließlich zwei weitere Elternteile ihre mutmaßlich fiebernden Kinder abholen. Eine leitende Angestellte gibt zu, dass auch sie mit der Arbeitsleistung einiger Mitarbeiterinnen oft unzufrieden sei. Doch aufgrund von Personalmangel seien ihr die Hände gebunden. Die Kita selbst äußerte sich gegenüber RTL nicht zu diesen Vorwürfen.

Auch das Wickeln ist eine Aufgabe, vor der sich scheinbar manche Erzieherinnen gerne drücken. So bekommt die Undercover-Praktikantin mit, wie eine Mutter freundlich darum bittet, ihre Tochter aufgrund eines wunden Pos etwas häufiger zu wickeln. Doch trotz angeblich fester Wickelzeiten wird die Reporterin Zeugin, wie eine Mitarbeiterin so lange abwartet, bis Miras Vater sie mittags abholt. Angeblich würden die anderen den Geruch nicht mögen, das Kind rieche ihnen zu sehr nach "ausländischem Essen". Auch zu diesen Vorwürfen blieb eine Stellungnahme der Kita aus.

Keine der Einrichtungen, in der die Reporterin als Praktikantin im Einsatz war, wollte vor Arbeitsbeginn eine Kopie ihres Personalausweises haben. Wie die neuen Recherchen von "Team Wallraff" außerdem ergeben: Die meisten Bundesländer führen nach wie vor keine Statistiken über besondere Vorkommnisse in Kindertagesstätten. Wie hoch mag die Dunkelziffer nicht gemeldeter Übergriffe sein? Was passiert mit Kindern, die schon in der Kita nicht die Betreuung bekommen, die sie bräuchten? Wie wirken sich diese Erfahrungen auf ihr späteres Leben aus? Für Investigativ-Journalist Günter Wallraff steht fest: "Es fehlen zuallererst mehr Personal und bessere Arbeitsbedingungen, aber auch unangekündigte Kontrollen zur Aufrechterhaltung der Qualität unserer Kitas und der Mitarbeitenden." Sollten Missstände auftreten, müssten diese klar benannt werden. "Wir brauchen noch mehr gut ausgebildete Erzieherinnen und Erzieher, die Spaß an ihrem Beruf haben und den Umgang mit Kindern als Berufung sehen."

Quelle: ntv.de, sba

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