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Mafia im Stadion Wenn Fußballfans in Italien Waffen horten

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Die Ultra-Szene nimmt immer deutlicher kriminelle Konturen an.

Die Ultra-Szene nimmt immer deutlicher kriminelle Konturen an.

(Foto: IMAGO/ZUMA Press Wire)

Italienische Ermittler stoßen in einem Mailänder Vorort auf eine Lagerhalle voller Waffen. Die laufenden Ermittlungen weisen auf Ultras von Inter Mailand und AC Mailand hin. Offenbar setzen sie dazu an, der Mafia Konkurrenz zu machen.

Das Versteck, auf das italienische Ermittler vor einer Woche stießen, verschlug ihnen schier die Sprache. Auch die Menge und Vielfalt der Waffen, die sie gefunden haben, machte die erfahrenen Polizistinnen und Polizisten Medienberichten zufolge sprachlos. In einem Mailänder Vorort knackten sie ein Lager, das der laut der Tageszeitung "Corriere della Sera" folgende Waffen enthielt: eine Kalaschnikow, eine Uzi-Maschinenpistole mit Schalldämpfer, einen Remington-Karabiner, ein 12-Kaliber-Gewehr, eine Doppelflinte, eine abgesägte Schrotflinte, eine Remington-Pumpgun mit abgeschliffener Registriernummer, eine Galesi-Pistole und drei Handgranaten jugoslawischer Herstellung. Außerdem wurden Hunderte von Projektilen unterschiedlichen Kalibers gefunden, zwei Schutzwesten, Laserpointer und eine falsche Polizeiausstattung. Das Depot wurde der Szene der hartgesottensten Fans von Inter Mailand zugeordnet, den Ultras.

Nach Einschätzung der Experten ist das weitaus mehr, als man auch bei noch so gewaltbereiten Fanatikern erwarten würde. Das war ein Kriegsarsenal. Nur: Was wollen die Ultras mit so vielen Waffen? Schwer vorstellbar, dass sie bei Schlägereien mit verfeindeten Ultra-Gruppen eingesetzt werden sollten. Was treiben die Ultras also wirklich? In welche Machenschaften sind sie verwickelt? Die Antworten darauf, vorausgesetzt, die Ermittler finden sie, werden weitere Puzzleteile einer Ultra-Szene liefern, die immer deutlicher kriminelle Konturen annimmt.

Erst Ende September nahmen die Sicherheitskräfte 19 Mitglieder der Ultra-Gruppierungen von Inter Mailand und AC Mailand in Gewahrsam. Sie werden der Korruption, der Erpressung und der Schutzgeldforderung beschuldigt. Die dabei angewandten Methoden tragen die unverwechselbare Handschrift der organisierten Kriminalität. In diesem Fall der kalabrischen 'Ndrangheta.

Wer steckt wirklich dahinter?

Dass die 'Ndrangheta auch etwas vom lukrativen Fußballkuchen haben will, ist nicht weiter verwunderlich. Genauso wenig wie die Tatsache, dass die Clans nicht vor einem Mord zurückschrecken, wenn ihnen jemand in die Quere kommt. Wobei die letzten Hinrichtungen im Ultra-Milieu nicht zwingend mit der Mafia zu tun haben.

Der Mord an Antonio Bellocco Anfang September ist so ein Fall, bei dem das Motiv der Tat nicht eindeutig ist. Bellocco war ein Sprössling des gleichnamigen kalabrischen Clans. Erstochen wurde er aber von seinem besten Freund Andrea Beretta, einem Anführer der Inter Ultras. Was bis jetzt an die Öffentlichkeit gedrungen ist, erzählt von einem Streit der zwei, der zuerst Bellocco zur Pistole greifen ließ und dann Beretta zum Messer.

Auch die Hinrichtung von Vittorio Boiocchi im Oktober 2022 wurde noch nicht aufgeklärt. Der 69-jährige Boiocchi war erst kurz davor aus einer 26-jährigen Haft entlassen und zum Anführer der Inter Ultras gekürt worden. Bis heute wurde sein Mörder nicht identifiziert.

Wozu Handgranaten und Kalaschnikows?

Zurück zu dem Waffenarsenal. Die nahe liegende Vermutung wäre: Wer mit der Mafia unter einer Decke steckt, könnte auch mit Söldnern im Geschäft sein. Doch Anna Sergi, Professorin für Kriminologie an der britischen University of Essex, erklärt ntv.de: "Hier geht es nicht um irgendeinen Mafia-Clan, der die Ultra-Szene unterwandert, sondern um Ultras, die versuchen, sich selbstständig zu machen und eine eigene kriminelle Organisation aufzubauen."

Hört sich an wie der Schüler, der den Sprung zum Meister wagt und dafür zu allem bereit ist, auch zu Hinrichtungen. Wobei die Clans davon mittlerweile die Finger lassen, um ungestört ihren Geschäften nachgehen zu können. "Die Präsenz der 'Ndrangheta in der Ultras-Szene hat diesen Kriminalisierungsprozess beschleunigt" fügt Servi hinzu. "Und die Entdeckung des Waffenarsenals passt in dieses Schema." Mit den Waffen könne man, wie es einst die Mafia zu tun pflegte, Territorialansprüche geltend machen, wenn nötig auch durch Hinrichtungen. Sie könnten aber auch verkauft oder für jemanden gelagert werden.

Und apropos Mord. Während der Fall Boiocchi noch immer nicht gelöst ist, haben die jüngsten Ermittlungen gegen die Mailänder Ultra-Gruppen zu einem unerwarteten Durchbruch bei einem bis dato als Cold Case geltenden Fall geführt. Es geht um die Hinrichtung von Fausto Borgioli 1992 in Mailand.

In einer Aufzeichnung hören die Ermittler, wie sich der 55-jährige Giuseppe Caminiti zu dem Mord bekennt. Caminiti soll einen besonderen Draht zum Clan der Staccu haben. Die Staccu kommen aus dem kalabrischen Ort San Luca, ein Name, der jenen nicht neu ist, die die Mafiamorde von Duisburg im August 2007 näher verfolgt haben. Die Morde hatten mit der Fehde zwischen zwei Clans aus San Luca zu tun.

Ein Plakat mit einer deutlichen Botschaft an Beretta.

Ein Plakat mit einer deutlichen Botschaft an Beretta.

(Foto: Andrea Affaticati)

Zum Waffenarsenal gibt es vorläufig keine weiteren Informationen. Nicht einmal darüber, ob sich unter diesen auch jene befindet, mit der Boiocchi erschossen wurde. Noch gespannter warten die Ermittler aber auf die Aussagen von Beretta. Dieser hat nämlich beschlossen, mit der Justiz zu kollaborieren und über 30 Jahre kriminelle Machenschaften auszupacken.

Eine Kehrtwende, die die Inter Ultras aufs Heftigste verurteilen. Auf einem Transparent vor dem Mailänder Fußballstadion San Siro haben sie Beretta wissen lassen: "Deine Niederträchtigkeit hat nichts mit unserer Mentalität gemein." Zu seiner Sicherheit wurde Beretta derweil in ein anderes Mailänder Gefängnis verlegt.

Quelle: ntv.de

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